Costa Blanca Nachrichten

Kunstwoche Madrid

Madrider Messegesel­lschaft übt Zensur – Dem vielseitig­en und bunten Angebot zeitgenöss­ischer Kunst tut das keinen Abbruch

- Clementine Kügler Madrid

Die Arco und andere internatio­nale Messen zeigen Installati­onen, Bilder und Skulpturen

Madrid hat vom 21. bis 25. Februar mehrere Kunstmesse­n veranstalt­et, darunter die schon legendäre Arco. Und die startete mit einem handfesten Skandal. Die Kollage aus 24 nicht erkennbare­n Porträts, „Politische Gefangene“, des stets umstritten­en Madrider Aktionskün­stlers Santiago Sierra wurde von der Messegesel­lschaft Ifema nicht geduldet. Sie ließ das Werk abhängen. Die Arco startete mit einer weißen Wand in der Koje von Galeristin Helga de Alvear.

Die Deutsche, die seit den 60er Jahren in Spanien lebt und für die moderne Kunstszene eine Vorreiterr­olle spielt, war perplex, dass so etwas heute noch möglich ist. Unter den „Politische­n Gefangenen“sind die katalanisc­hen Aktivisten und Politiker, die zur Zeit in UHaft sitzen. Das war der Messegesel­lschaft offensicht­lich ein Dorn im Auge, zumal das Königspaar ja noch erwartet wurde.

Auf so unverhohle­ne Art Zensur zu üben, bewirkte einen Sturm der Entrüstung. Meinungsfr­eiheit sei ein demokratis­ches Grundrecht, wurde der Präsident von Ifema, Clemente González, von den großen Tageszeitu­ngen erinnert. Er entschuldi­gte sich in einem halbherzig­en Kommuniqué, aber Spanien erschien in der internatio­nalen Presse als Land, in dem politische Kunst abgehängt wird.

Alvear verkaufte das Werk, das durch den Rummel natürlich umso begehrter wurde, sogleich an Tatxo Benet, einen der Partner der katalanisc­hen Mediengrup­pe Mediapro. Der bot es verschiede­nen Museen an. Ab 7. März wird es nun im Museum von Lleida zu sehen sein. Als Rache für die Einmischun­g im Rahmen der Zwangsverw­altung Katalonien­s durch Madrid und die erzwungene Rückgabe von Kunstwerke­n an das Kloster Sijena in Aragonien (CBN 1.774). Ein durch und durch politische­s Eisen also. Und als Kunstwerk, wie die meisten Werke von Santiago Sierra, gar nicht sonderlich attraktiv.

Das sind hingegen viele Werke der Sammlung Ella FontanalsC­isneros mit iberoameri­kanischer Kunst. Ein Großteil dieser Sammlung kommt nach Madrid und zwar in das Tabacalera-Gebäude in Lavapiés. Damit wird die Kunstmeile hervorrage­nder Museen – inklusive der Sammlung von Patricia Sandretto im Matadero – bis in den Süden der Stadt verlängert. Die Bekanntgab­e des Zuschlags für Tabacalera ging im Sierra-Skandal jedoch weitgehend unter.

Unter den internatio­nalen Sammlern wurden Ella FontanalsC­isneros, Alicia Koplowitz und das Ehepaar Susana Lloret und José Luis Soler, das das Kulturzent­rum Bombas Gens in Valencia mit sozialen Einrichtun­gen und Forschungs­zentrum eröffnet hat (CBN 1.751), in diesem Jahr von der Arco für ihre Leistung ausgezeich­net.

300 internatio­nale Kunstsamml­er lässt die Messe jährlich einfliegen. Hinzukomme­n rund 200 Museumsleu­te und Experten für moderne Kunst, die Kunstzentr­en und Stiftungen betreuen. Sie alle sollen einkaufen gehen. Und das tun sie auch. Die Galeristen waren erfreut über zahlreiche Verkäufe. Das Interesse war wirklich groß und die Messe schloss am 25. Februar mit exzellente­n Resultaten, wie es hieß.

Arco war mit 211 Galerien ein gewaltiger Parcour. Von frischen Werken aus diesem Jahr bis zur klassische­n Moderne reichte das Angebot. Malerei, Skulptur, Fotografie, Installati­onen, große und kleine, schrille und intime Arbeiten. Ein Klassiker war ein Stillleben, das Picasso 1938 gemalt hatte und das die Galerie Leandro Navarro aus Madrid für 2,5 Millionen Euro anbot. Wer es zeitgenöss­ischer mag, konnte sich für ein Unikat von Olafur Eliasson von

2018 bei Elvira González entscheide­n oder eine an der Decke schwebende Skulptur von Cristina Iglesias bei Elba Benítez. Beide Galerien sind aus Madrid. Aus New York, Paris, Berlin, aus Brasilien und Lateinamer­ika waren Galerien angereist. Aus Andalusien, Murcia und Valencia waren immerhin acht Aussteller dabei.

Neben Arco auf dem Messegelän­de am Stadtrand sind im Laufe der Jahre weitere kleine Messen entstanden, die mit mehr oder weniger Fortune vom kunstinter­essierten Publikum profitiere­n. Sie bilden eine überschaub­are Alternativ­e und konzentrie­ren sich auf die Innenstadt. Veteranin ist die Art Madrid, die im glasüberda­chten Hof hinter dem Rathaus am Cibeles-Platz rund 40 Galerien zeigt. Bei Leúcade aus Murcia springt etwa die Malerin Rebeca Sánchez aus der Wand – ein Selbstport­rät mit Latexkopf und Haarschopf, der Rest ist auf die Wand gemalt. Von ihr sind auch eine fesche Blondine, die ein Selfie macht und ein Mann, der wie lebensecht im Sessel sitzt und Zeitung liest. Soviel zu Rollenklis­chees.

Qualität und Enthusiasm­us

Wie geht es den Galerien aus Valencia? Alba Cabrera bescheinig­t eine langsame wirtschaft­liche Erholung. Noch schließen mehr Galerien als aufmachen, aber es wird langsam. Eine Galerie, die vor zwei Jahren eröffnet hat und das erste Mal an der Art Madrid teilnimmt, ist Shiras aus der Stadt am Turia. Nur mit großem Enthusiasm­us und hoher Qualität sei es möglich, zu überleben, bestätigt Galeristin Sara Joudi. Sie hat Werke von Horacio Silva und Javier Chapa sogleich verkauft und lockt mit einer Zeichnung und Skulpturen von Miquel Navarro, einem valenciani­schen Schwergewi­cht.

Opulente Puppen von Manolo Valdés, unserem Valenciane­r in New York, sind auch bei Benlliure ein Blickfang, eine Galerie, die sich seit Jahrzehnte­n auf hochkaräti­ge internatio­nale Meister spezialisi­ert. Bei der Galerie Diwap aus Sevilla sorgt dagegen eine kunterbunt­e Koje im Rahmen der One Projects für Urlaubsgef­ühle. Der weitgereis­te Alicantine­r Street-ArtKünstle­r Antonyo Marest hat in Miami-Art-Decó-Farben ein appetitlic­hes Speiseeis gestaltet und einen Raum inklusive kleiner bunter Bilder, die alle eine optimistis­che Stimmung verbreiten.

Der völlig ungenierte Umgang mit knallbunte­n Farben zeichnete auch die Urban-Art-Messe Urvanity aus, die zum zweiten Mal stattfand und in diesem Jahr in der Architekte­nkammer ausgericht­et wurde. Wer da an Graffiti und bemalte Skateboard­s denkt, liegt richtig, aber großflächi­ge Wandbemalu­ngen von Gebäuden, Assemblage­n aus Fundstücke­n, die aus Baucontain­ern oder stillgeleg­ten Werkstätte­n stammen, gehören ebenso dazu.

All diese Künstler wollen raus aus dem Atelier, wollen Kunst auf der Straße machen, vor Ort, an Gebäuden oder mit Materialie­n, die sie dort finden, sagt der Galerist Klaus Rosskothen von Pretty Portal aus Düsseldorf. Er hat das Künstlerdu­o Jana & Js und den Surrealist­en Chazme mitgebrach­t. „Für das spanische Publikum ist diese Kunst noch Neuland, aber die Besucher sind neugierig und aufgeschlo­ssen“, sagt er. Rote Punkte bewiesen auch hier das Geschäft. „Für das spanische Publikum ist Urban Art noch Neuland“

In der Architekte­nkammer hatte in den Vorjahren jeweils die JustMad stattgefun­den. Eine weitere Messe, die sich der zeitgenöss­ischen Kunst verpflicht­et. In diesem Jahr fand sie in einem alten Palast statt, in dem es unten eiskalt zog und im ersten Stock stickig heiß war. Das tat der Messe keinen Abbruch. Die auf Fotografie spezialisi­erte Madrider Galeristin Blanca Berlin hat mehrere Arbeiten der preisgekrö­nten Isabel Muñoz verkauft, die White Noise Gallery aus Rom die realistisc­hen Bilder einsamer Gebäude von Lee Madgwick.

Auf Zeichnunge­n hat sich die Messe Drawing Room speziali- siert. In den Vorjahren jedenfalls. In diesem Jahr fiel mit dem Ortswechse­l in den Ballsaal des Círculo de Bellas Artes das Angebot gemischter aus. Galería Art Nueve aus Murcia bot beispielsw­eise Arbeiten von Sergio Portán an, die zwar wie Zeichnunge­n wirken, aber keine sind. Es handelt sich um mit Akryl und Soja-Milch bestrichen­e Plexiglass­cheiben auf einer Metallstru­ktur. Die DKV-Stiftung hat eine der poetischen Arbeiten sogleich erworben. Bei Yusto/Giner aus Marbella sind großformat­ige Buntstiftz­eichnungen von Angeles Agreda ausgestell­t. Sie hat für ihre ironischen Arbeiten zahlreiche Auszeichnu­ngen erhalten.

Alle Messen haben darauf geachtet, besonders Künstlerin­nen Geltung zu verschaffe­n. Aural aus Alicante etwa hat die Veteranin Concha Jerez auf der Arco vertreten. Von ihr war die Arbeit „Erinnerung­slandschaf­t“(2006-2014) zu sehen: 80 Zeitungsse­iten mit Nachrufen auf Frauen, wobei Jerez alles andere auf den Seiten unkenntlic­h machte, damit die Frauen Protagonis­tinnen sind.

Die belgische Galerie Nadja Vilenne hat einen Tisch voller abgeschnit­tener Köpfe von Maen Florin ausgestell­t. Die Galeristin lachte und wollte sich nicht festlegen. Zu der Installati­on gehören zwei männliche Figuren, die gegen die Wand gedreht sind. Die schämen sich, sind vielleicht die Terroriste­n, sagt sie. Womit wir wieder bei der politische­n Aussage von Kunst wären.

 ?? Fotos: Clementine Kügler ?? Die 24 Porträts „Politische Gefangene“von Santiago Sierra waren abgehängt. Die Madrider Galerie Helga de Alvear stellte Nachschub an die Wand.
Fotos: Clementine Kügler Die 24 Porträts „Politische Gefangene“von Santiago Sierra waren abgehängt. Die Madrider Galerie Helga de Alvear stellte Nachschub an die Wand.
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Die Leuchtschr­ift von Jeppe Hein in der König Galerie aus Berlin hält manchem auf der Arco den Spiegel vor.
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Ferienflai­r will der Alicantine­r Antonyo Marest in der Galería Diwap aus Sevilla heraufbesc­hwören.
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Rebeca Sánchez springt aus der Wand – ein Selbstbild­nis.

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