Flamenco Blues
Auszug aus Birgit Karwaths Roman, der zwischen Ostsee und Andalusien spielt
„Ins Candela bitte, soll eine Flamenco-Bar für Einheimische sein, nicht wahr?“
Er nickt mir abgeklärt zu und beginnt seine Fahrt hinein in das dunkle, frivole, verbotene Kleid der Nacht.
Ich bin neugierig und gespannt, was mir der Taxi-Fahrer vor vier Tagen auf der Fahrt vom Flughafen Málaga nach Marbella anvertraut hatte. Ob sich ein kleiner Ausflug in diese Flamenco-Bar auch wirklich um diese späte Uhrzeit lohnen würde... denn, nach meiner herrlichen Kopfmassage heute, möchte ich nur noch eines: leben, tanzen, lachen und fühlen. Vamos! Mit Rotwein habe ich den Abend im Hotel beendet. Mit Rotwein, dem berühmten Barbadillo aus der Region „Cádiz“werde ich ihn hier im „La Candela“einläuten.
Die Atmosphäre ist ohrenbetäubend.
Es ist der pure Wahnsinn. Ich habe schon vieles gesehen auf der Welt, Bühnenauftritte, Shows und Jazzkneipen, aber das was hier abgeht, ist dermaßen inspirierend und mitreißend. Es ist die pure Leidenschaft, Erotik, es ist Energie, welche die verrauchte Luft im dunklen Schimmer der Tischkerzen auseinander zu sprengen droht.
Das „La Candela“– die Flamme – macht seinem Namen alle Ehre. Hier züngelt es vor Begierde. Hier wird hemmungslos das ausgetobt, was in den Adern der Südspanier lodert und pulsiert, seitdem die Zigeuner aus Indien und Pakistan einwanderten und ihre Gefühle in der Musik zum Ausdruck brachten.
Eine völlig andere Welt
Der Taxifahrer vom Flughafen hatte Recht: ich sehe nur Einheimische. Der Weg hierher war schon abenteuerlich genug. Zuerst dachte ich, dieser zahnlose Chauffeur würde mich entführen und anschließend ausrauben oder sich an mir vergehen.
Er hätte auch ein leichtes Spiel gehabt mit seiner deutschen Lady. Der Weg ging immer steiler den Berg hinauf. Die Straße wurde holpriger und immer schmäler. Die Gegend immer einsamer. Bis wir endlich an diesem alten, von außen unscheinbaren, ja fast bäuerlich wirkenden Steinhaus anhielten. Eine alte, heruntergekommene Finca.
Als ich in die Bar eintrat, erfasste mich eine völlig andere Welt, und es war nicht einfach, in diesem feucht schwülen Gedränge zwischen jungen und alten Menschen, die sich rhythmisch zur Gitarrenmusik bewegten – tanzend, stehend – einen Weg zu finden, der mich zur Theke führte. Zuerst einen Rotwein. Und dann einfach hineinstürzen. In diese poetische Zigeunermusik.
Sie lachen, singen, sprechen, das Volk bewegt seine Hüften wie die Wogen des Mittelmeers bei aufkommenden Solano-Winden. Sie klatschen rhythmisch mit den Händen. Die Alten sitzen auf ihren Stühlen, rauchen, trinken, lachen und strecken ebenfalls ihre Arme in die Höhe. Sie schwingen ihre Stola und vergessen die Zeit und ihre Lebensjahre. Eine Tänzerin in einem feurig-roten FlamencoKleid steht etwas oberhalb auf einer provisorischen Holzbühne.
Mit schwarzem, strengen Dutt, erhabenem Blick, Hohlkreuz, die Brüste dadurch stolz zeigend, klatscht sie in die Hände, feuert die grölende Masse weiter an und schreit: „Olé! Sí! Vamos!“Und nickt, ihr Schritt hämmert unablässig auf den alten Holzboden. Sie greifen nach ihr. Doch sie folgt ihrem stolzen Tanz und genießt das tobende Bad in der Menge. Als der Schweiß zwischen ihren Brüsten das eng anliegende Kleid dunkelrot färbt, werfen sie ihr einen roten Fächer zu. Sie wirft ihren Kopf stolz in den Nacken und fächert sich etwas Abkühlung in ihr makellos ebenes Gesicht und in ihr tiefes Dekolleté. Die Lippen purpurrot, die Augen dunkel wie die Nacht, hält sie schließlich inne und die Menge grölt. Sie klatschen weiter, zum Klang der Gitarre.
Ein alter Mann erhebt sich und singt das Leiden der Zigeuner aus voller Brust heraus. Die Tragik dieses Volkes, vermischt mit dem arabischen Einfluss, ist unverkennbar und die Tänzerin beginnt erneut, ganz sanft zuerst, dann intensiver mit ihren Hüften zu schwenken, ihr Blick zum Publikum betörend, der Ausschnitt und Rücken sichtbar von ihrem Körperschweiß dunkelrot gefärbt. Hier wird der Flamenco nicht nur gelebt, hier wird er gefühlt, mit jeder Faser der Seele. Sie verkörpern den klassischen Flamenco durch alle Generationen hindurch, hier im „La Candela“. Die Flammen schlagen längst zur Decke und niemand, niemand möchte dieses lodernde Feuer löschen. Im Gegenteil. Es soll brennen. Wie die Glut am nächtlichen Lagerfeuer der Zigeuner.
Vor Begeisterung habe ich nicht bemerkt, dass mein erstes Glas Barbadillo längst leer ist. Die Bedienung bewegt sich selbst zu der nun mehr schreiend klingenden Musik. Schmerz erfüllt den Raum. Der Ober lächelt mir nebenbei zu und ich nicke, er schenkt mir nach. Längst hat mich der Flamenco erfasst, ich kann nicht mehr loslassen vom Anblick, von der Akustik der Rhythmen. Diese Musik hat seine eigene Magie. Hat einmal die Seele Blut daran geleckt, kommt sie nie mehr davon los. Eso es!
Auf in den Kampf, Torero
Letizia hatte an diesem Tag all meine Poren geöffnet. Die Kopfmassage war wie eine Vorbereitung auf die folgende nächtliche Seelenmassage und so kann es nur eine logische Schlussfolgerung sein, dass ich, während ich ebenfalls beginne, meine Hüften im Rausch der Musik zu bewegen, langsam meine Arme hebe, die Spanierinnen beobachte und sie in ihren Bewegungen nachahme. Längst ebenso verschwitzt mit feuchter Haut und glasigen Augen, eingesogen von den aufgebrochenen Grenzen zwischen Tabu und Losgelöstheit.
Mein Barhocker wird zu meinem Pendant. Ich beginne um diesen Stuhl herum zu schwingen, erst schüchtern, dann immer mutiger recke ich meine Schultern, Kopf und Kinn nach oben, strecke meine prallen Brüste heraus und kreise fächerartig mit den Händen über meinem Kopf. Ich will auch eine von ihnen sein und diesen grauen, muffigen Alltag in Deutschland hinter mir lassen. Nur für einen Augenblick oder doch für die Ewigkeit?
Genau in diesem Moment schiebt sich aus der schamlosen Nacht, ein großer dunkelhaariger Mann zu mir. Sein Blick ist bewegungslos und ernst auf mich gerichtet. Er kommt aus dem Nichts und nickt mir erhaben, auffordernd, zu, hebt ebenfalls seine Arme und klatscht in die Hände, sein weißes, hochgekrempeltes langärmeliges Hemd ist beinahe bis zum Bauch geöffnet. Schwarze Körperhaare bedecken seinen muskulösen Brustkorb. Auf seiner Stirn schimmern Schweißperlen, seine Hüften sind schmal, die Beine lang unter einer schmalen schwarzen Stoffhose versteckt, sein Schritt maskulin und rhythmisch zur Musik. Ich zögere, er nickt mir erneut zu.
„Auf in den Kampf, Torero!“Lese ich in seinem fordernden Blick und folge ihm bedächtig wie in Hypnose, bewege mich mit meinen weiblichen Hüften langsam zu ihm hin.
Der alte Mann singt eine Oktave höher, er schreit seinen Schmerz inzwischen so sehr heraus, dass der Masse der Atem stockt, die Gitarre schneller wird, und mit ihr der Spanier mit seinem schlagenden Absatz seiner Schuhe auf dem Holzboden. Er dreht sich vor mir und immer wenn ich mich drehen will, nähert er sich rasch mit seiner behaarten Brust wie ein tollkühner Stierkämpfer.
Siegessicher sein Blick.