Ein Tag ohne uns
Alle Frauen sind am 8. März zu einem Generalstreik aufgerufen
Geschichte schreiben wollen Spaniens Frauen am 8. März. Zum Internationalen Tag der Frau wird mit Unterstützung der großen Gewerkschaften zu einer Art Generalstreik aufgerufen. Alle Frauen des Landes sollen an diesem Tag alle Arbeiten ruhen lassen, um zu zeigen, dass „ohne uns die Welt stillsteht“, wie das Streikmotto lautet. Gründe zur Teilnahme gibt es reichlich: Ungleichheit beim Lohn, sexuelle Belästigung oder Häusliche Gewalt. Derweil zeigt die Lebensgeschichte einer Frau aus dem ländlichen Vall de Gallinera, wie rasant sich in den zurückliegenden Jahrzehnten die gesellschaftliche Stellung der Frau in Spanien entwickelte und Benachteiligungen überwunden wurden.
Geschichte schreiben will in Spanien der kommende 8. März. Zum Tag der Frau haben Frauenvereine, von Gewerkschaften unterstützt, zu Streiks und Großdemonstrationen aufgerufen. Erwartet werden ausdrucksstarke Zeichen gegen finanzielle Ungleichheit, Sexismus und Häusliche Gewalt. Zwei bis 24 Stunden sollen die Proteste andauern (Hintergrund Kasten nächste Seite). Zumindest für einen Tag übernehmen also die Spanierinnen das Zepter in den Innenstädten.
Eine Zeitlang könnte eine Stadt wie Alicante so aussehen, wie es sich María Ángeles Seguí einst vorstellte. Als Kind, erzählt die Rentnerin, dachte sie, Alicante sei nur von Frauen bewohnt. Wenn in das abgelegene Dorf Benissili, in dem sie geboren wurde, sich nämlich jemand aus der großen Stadt verirrte, war es zufälligerweise immer eine Frau. „Ich kann mich erinnern, wie überrascht ich beim ersten Besuch in Alicante war, als ich Ehemänner und Verlobte sah.“Wie lange das her ist? 400 Jahre.
Waschen als Whatsapp
Zumindest bildlich. Denn fragt man Seguí, wie das Leben ihrer Kindheit aussah, nennt sie „Die Alte, die Eier brät“, von Velázquez 1618 gemalt. „Wenn ich die Frau sehe, sehe ich meine Großmutter“, sagt die 70-Jährige. „Ein solches Kopftuch trugen im Tal alle Frauen. Und die Pfanne aus Ton von meiner Oma habe ich noch.“
An ferne Jahrhunderte erinnerte nicht nur die Ästhetik jener Zeit: „Geboren wurde ich 1947. Wie damals üblich, geschah dies zu Hause. Jemand musste ins übernächste Dorf laufen, um eine Frau zu holen, die bei Geburten half. Der Arzt war weit weg, Telefon gab es gar nicht.“Zwar erhielten die Dörfer im Tal Strom, jedoch nur abends. „Die Küche war das Kaminfeuer. Darauf wurde alles gemacht. Reis, sogar Kaffee.“
Schwere Bedingungen? Seguí: „Es war ein ruhiges Leben, doch eines voller Arbeit. Alles musste man selbst machen, Weizen oder Kichererbsen. Nur Reis holten wir in Pego, tauschten ihn gegen Olivenöl. Dort gab es auch Orangen. Die wurden nicht nur gegessen. Auch reinigte man damit die Inne- reien des geschlachteten Schweines.“Gänzlich fremd gewesen sei den Menschen Müll.
„Reste gaben wir den Tieren zu essen oder verwendeten sie. Ein entkernter Maiskolben etwa wurde getrocknet und diente als Schwamm zum Schuheputzen. Und abends machten wir Rechenaufgaben nicht im Heft. Sondern mit dem Finger auf der ausgestreuten Asche des Kaminfeuers.“
Die Seniorin macht die Bewegungen mit ihrer Hand vor: Linien, rechte Winkel. Als wolle sie die geordnete Welt jener Tage darstellen. „Alles folgte einem festen Rhythmus“, erzählt Seguí. „Man stand früh auf. Die Männer gingen aufs Feld. Die Frauen fegten vorm Haus und putzten den Kamin. Dann kochten sie und gingen zum Lavadero, dem Waschplatz. Das war der Treffpunkt, alles wurde hier besprochen. Die damalige WhatsApp-Gruppe.“Seguí lacht.
„Mittags kam der Mann zum Essen und ging danach wieder aufs Feld. Oder widmete sich körperlich schweren Aufgaben. Die Frauen hingegen nähten. Dazu setzten sie sich nach draußen. An sonnigen Tagen war das sehr angenehm. Jeder Moment wurde genutzt. Man verlor nicht soviel Zeit wie heute.“
Ob Zeit für die Kinder blieb? „Die waren bei allem dabei. Als
„Als die Jungs zum Fußball durften, und wir die Gläser spülen mussten, war es zu viel.“
kleines Mädchen säte ich schon Weizen. Das Feld war unser Spielplatz. Im Dorf nebenan, Llombai, ist ein Hügel, den rutschten wir runter wie von einer Rutsche. Wir lebten etwa so wie Heidi aus dem Trickfilm. Da war es hier auch fast genauso grün. Der Fluss floss ohne Pause und nährte das Tal.“ Sachen, die niemand konnte Heute plätschert der Río Gallinera nur bei Starkregen durch das Tal. Das Klima hat sich gewandelt, die Hänge sind karger, die Winter milder. „In meiner Kindheit lag regelmäßig Meter hoher Schnee. Wir hatten keine Winterschuhe, blieben daher tagelang zu Haus.“
Eine besonders lange kalte Phase führte zum Einschnitt in Seguís Familie. „Die Kälte ruinierte die Ernte. Uns fehlten die Mittel zum Leben. Viele Spanier emigrierten damals nach Venezuela. Mein Vater beschloss, dies ebenfalls zu tun. Ich war neun, als er ging. Ich weiß noch, dass er sein Schiff in Barcelona nehmen musste.“
Für das Mädchen war es nicht der letzte Schicksalsschlag. „Wegen irgendwelcher damaliger Umstände bekam mein Vater keine Arbeit, wenn die Ehefrau nicht vor Ort war. Somit musste meine Mutter nachkommen. Also ging sie. Sie fand Arbeit in einem Restaurant. Er arbeitete als Gärtner.“
Seguí kam bei Bekannten unter – in Alicante. „Das war eine Weltreise. Ein Bus fuhr hin, es ging stundenlang durch Kurven. Auch die Ankunft war schwierig. Als ich in der Stadt eingeschult wurde, sprach ich nur Valenciano, konnte mich nicht richtig verständigen. So war ich zunächst für alle nur das Mädchen vom Land. Dabei konnte ich Sachen, die in der Klasse niemand konnte. Wie man Konserven aus Gemüse macht zum Beispiel. In Alicante kauften sie alles ein.“
Doch die Anpassung gelang dem Mädchen. So gut, dass auch ihre Mutter nach der Rückkehr aus Südamerika – Seguí war zwölf – dort blieb. „Meine Mutter gehörte schon einer anderen Generation an als meine Großmutter“, sagt die Alicantinerin. „Zwar hatte sie, wie ihre Mutter, nicht die Schule besucht, aber hatte schon die Welt gesehen. Sie trug auch kein Kopftuch. Doch hatte sie die Kenntnisse vom Dorf, konnte perfekt Reis kochen und Tomatenmarmelade machen. Auch meine Oma war sehr klug. Die Sachen fürs Leben lernt man halt nicht in der Schule.“
Trotzdem drückte Seguí die Schulbank, auch als der Vater aus Südamerika nach Alicante folgte. Ein Ziel hatte die junge Frau nämlich vor Augen: Ingenieurin werden. „Die Mädchen, die studieren gingen, wählten meistens die Geisteswissenschaften. Doch mir lag einfach die Naturwissenschaft.“
An der Hochschule in Alcoy, wo sie studierte, war sie im Jahrgang zunächst eine von vier Studentinnen, machte den Abschluss jedoch als einzige. „Zwei absolvierten nur ein Jahr, eine wurde nach mir fertig.“Die Jahre in dieser Männerwelt bezeichnet sie als „wunderbare Zeit“– trotz einiger Unannehmlichkeiten. „Ich musste