Die Welt des Joan Miró
Ausstellung „Orden y Desorden“in Valencias Ivam zeigt auch die Brüche im Werk des katalanischen Künstlers
Sie sind alle da: Die schwungvollen tiefschwarzen Linien, die knalligen Grundfarben, die sympathischen Monster, die Himmelskörper, Frauen, Vögel und hunderte Knopfaugen. Doch die Ausstellung „Orden y Desorden“(Ordnung und Unordnung) in Valencias Ivam zeigt bis zum 17. Juni auch unbekanntere Seiten des katalanischen Künstlers Joan Miro (1893-1983), dessen populäre Werke noch heute auf unzähligen Postkarten, Tassen und anderen Gebrauchsgegenständen prangen. Seine Eltern wollten ihn angeblich zum Buchhalter machen. Und so sieht er auf Fotos und in Videos auch aus, mit Stehkragen und Krawatte, die dünnen Haare exakt auf den Kopf geklebt – sogar der gebügelte Arbeitsoverall mit elegantem Gürtel verströmt Spießigkeit. Nur die Werke in seinen Händen passen so gar nicht zu diesem Bild: Joan Miró malte seit seiner Pariser Zeit in den 20er Jahren mit kindlicher Ausgelassenheit, in fröhlichem Aufbegehren gegen die damalige konventionelle Kunst. Er schuf eine poetische, ganz eigene Welt, die in ihrer Einfachheit und energiegeladenen Absurdität den Betrachter verzaubern soll – aber auch provozieren.
Der Kurator der Ivam-Ausstellung, der Kunsthistoriker Dr. Joan María Minguet, will gerade die Gegensätze und den Facettenreichtum des Künstlers zeigen. Gleich am Eingang hängen Frühwerke: Ein Stillleben, eine ländliche Szene mit einem Pinselstrich wie bei Cezanne – alles sehr realistisch und ein Beweis, dass Miró das Handwerk der Malerei gut beherrschte. Daneben impressionistische Landschaften wie beim frühen Kandinski, mit phantasievollen Pastellfarben, die die Betrachter bei Mirós erster Kunstausstellung in Barcelona aber eher verwirrten. Sie wurde ein Flopp, er verkaufte kein einziges Werk.
„Jeden Tag brauche ich mehr harte Disziplin – der einzige Weg zur Malerei klassischer Schule, zu der wir alle streben sollten“, hatte er bis dahin gesagt. Doch die bösen Kritiken machen dem ein En- de. Miró geht nach Paris, streift das selbst auferlegte Korsett ab und sucht nun seine eigene Ordnung in seiner eigenen surrealistischen Welt. In der Ausstellung hängen drei dieser neuen Miró-Bil- der seinem Frühwerk gegenüber. Unter anderem „Libelle mit roten Flügeln eine Schlange jagend“, dessen leuchtende Farben den Betrachter gleich in den Bann ziehen. Dann steht er aber vielleicht etwas ratlos vor dem surrealistischen Werk. Sind da zwei menschliche Wesen zu sehen? Und das schwarze Tierchen da oben, ist das vielleicht die Libelle? „Miró geht von der Realität aus, aber er transfor- miert sie. Er übersetzt sie in Zeichen, die sie abstrahieren und für den Betrachter vielleicht zunächst beunruhigend sind“, erklärt der Ausstellungskurator dazu. Für ihn ist diese Freiheit der Interpretation aber auch genau das Schöne an Miró und das, was sein Werk so zeitlos macht. „Wir sollten uns beim Schauen die gleichen Freiheiten nehmen, die er sich beim Schaffen genommen hat und sein Werk von der Warte des 21. Jahrhunderts aus betrachten“, regt der Kunsthistoriker an. Der zweite Raum widmet sich diesem surrealistischen Miró-Kosmos. In dieser Schaffensphase tragen die Werke sogar oft nur kurze Titel – etwa „Figur“–, die alles offen lassen. Der Künstler entwickelt dabei eine so eigene, unverwechselbare Bildersprache – wenn er einen Tonblock nimmt und ein paar Linien hineinkratzt, ist sofort erkennbar, dass es von ihm stammt, wie im Fall vom „Relief auf gebranntem Ton“.
Der dritte Raum der Ivam-Ausstellung zeigt eine völlig rebellische Epoche, die der Künstler erst mit 80 Jahren erreichte. Schon 1927 hatte Miró gesagt, er wolle die Malerei ermorden. Doch da seine „Mörder“sich als sympathische Monsterchen herausstellten, blieb diese jedem Avantgardisten gutstehende Ankündigung eher rhetorisch.
Das änderte sich, als er alt wurde – statt im Seniorenheim hübsche Aquarelle zu malen, schüttete er jetzt auf riesige Leinwände Farbe direkt aus der Dose, zündete sie dann an und löschte die Flammen mit einem nassen Wischmopp. Das Ergebnis – „Verbrannter Stoff“– hängt im dritten Raum der
Ausstellung von der Decke und wird zusammen mit seinem Schatten zu einem Gesamtkunstwerk, das trotz all dieser Zerstörungswut eine erstaunliche Schönheit ausstrahlt. „Ich weiß nicht, wohin wir gehen. Für mich ist nur sicher, dass ich alles zerstören will, alles, was in der Malerei existiert“, schreibt Miró damals. Er schlitzt Leinwände auf, schneidet in ein aggressiv-rotes Gemälde ein riesiges Loch und reißt auch mal die gesamte Leinwand ab, die er dann zu einer Kugel geformt in einen leeren Rahmen hängt. Vier Jahre zuvor hatte sich Miró bereits als Graffiti-Künstler versucht – er will nicht mehr für die Museen malen, sondern für die Leute auf der Straße. Im vierten Raum der Ivam-Ausstellung sieht man dazu ein Video. Der Künstler drückt einem Helfer seinen Kamelhaarmantel in die Hand, greift sich einen Besen und versieht die Architektenkammer in Barcelona energisch mit seinen schwungvollen schwarzen Linien – denselben, die Kritiker oft veranlassten, zu meckern, er male wie ein Vorschulkind. Ein Vorwurf, den er einmal mit dem Satz konterte: „Das stimmt vielleicht, aber das Kind zeichnet diese Linie in einem Moment. Ich muss monatelang überlegen, wie sie verlaufen soll.“ 200 Exponate Die Schau im Ivam besteht aus rund 200 Exponaten, darunter Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Keramik, Buchillustrationen, Plattencover, Plakate und Videos. Doch die kuriosesten Exponate sind zwei große Puppen mit phantasievollen Theaterkostümen, die 1978 auf der Bühne zum Leben erweckt wurden. Das Ensemble Claca Teatre feierte damals mit dem Werk „Mori el Merma“den Tod des Diktators Franco. Der Protagonist, der Diktator Merma, verteilte dabei bis zum bitteren Ende Prügel an alle – zur Freude von zahlreichen Zuschauern auf der Spanienund der Welttour. „Joan Miró. Orden y desorden“, zu sehen bis 17. Juni im Ivam in Valencia. Calle de Guillem de Castro 118, Di-So. 11-19.30 Uhr, Fr. 11-21 Uhr, Montag geschlossen.