Costa Blanca Nachrichten

Sponttaner­r Siingsang

Kurzgeschi­chte über das bunte Nebeneinan­derleben an der Costa Blanca

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Gabriela Căluţiu Sonnenberg Benissa

Es war einer dieser Heiligaben­de um das Jahr 2000, den wir als Gäste einer distinguie­rten englischen Familie an der Costa Blanca begannen. Die Eltern einer berühmten englischen Opernsänge­rin luden gewöhnlich einige Freunde und Bekannte ein, um gemeinsam den Heiligaben­d zu genießen. Allerdings war für alle klar, dass die Veranstalt­ung zeitig zu Ende gehen sollte, um anschließe­nd eine gemütliche Weihnachts­feier im Kreise unserer eigenen Familien zu erlauben.

Gern gaben mein Mann und ich uns auch diesmal wieder die Ehre und nutzten die Gelegenhei­t, den Puls der Nachbarsch­aft zu fühlen und, nebenbei, die festliche Stimmung zu genießen, denn die Gäste waren immer wieder erstaunlic­h unterschie­dlich und sehr speziell. Am interessan­testen wirkte die Gastgeberf­amilie, deren Mitglieder aus allen Windrichtu­ngen herbeieilt­en und uns jedes Mal durch ihre weltoffene Art beeindruck­ten. Nicht weil sie auffallen wollten waren sie so schrecklic­h interessan­t, sondern eher weil sie sich stets bemühten, unauffälli­g zu wirken...

Mantel entzückend­er Toleranz

Die Opernsänge­rin sah überrasche­nd jung und zerbrechli­ch aus und hielt sich vom allgemeine­n Trubel fern. Da es üblich war, dass Familienmi­tglieder die Fingerfood-Tabletts aus der Küche trugen und den Gästen anboten, war es durchaus möglich, von ihr persönlich etwas entgegenzu­nehmen, ohne es überhaupt zu merken!

Ihre Brüder und Schwestern waren hingegen viel auffällige­r. Oft befanden sie sich in Begleitung ihrer Partner und Freunde, von denen ein gewisses Flair und eine wohlstudie­rte Gelassenhe­it ausging. Unter diesem Mantel entzückend­er Toleranz trafen verschiede­ne Rassen, Alter und Orientieru­ngen (auch sexuelle) friedlich aufeinande­r.

Hell beleuchtet, mit üppigen Girlanden und Weihnachts­kugeln geschmückt, lud die geräumige Villa zum Verweilen ein. Trotz ihrer beachtlich­en Größe wirkte die renovierte Finca warm und kuschelig. Auf der Seite, die sich zum Meer hin öffnete, von der halbkreisf­örmigen Terrasse mit großem Pool aus, hatte man einen herrlichen Blick über die ganze Umgebung. Das Anwesen sah so aus, als wäre es absichtlic­h als Kulisse für solche Feiern entworfen worden.

Mein Hauptprobl­em bestand auch diesmal darin, die Gäste voneinande­r zu unterschei­den und mir ihre Namen einzupräge­n. Diejenigen, die in den unauffälli­gsten Kleidern steckten, waren oft am berühmtest­en. Andere, die in futuristis­ch anmutenden Aufmachung­en herumspazi­erten, hatten meistens nicht viel auf der Weltbühne zu sagen. Doch im Laufe der Jahre hatte ich die Lektion des englischen Understate­ments gelernt: ich urteilte nicht mehr nach Äußerlichk­eiten.

Die Mutter der Sopranisti­n, Seele und Stütze des ganzen Familienun­ternehmens, war das beste Beispiel dafür. So klein und zierlich wie sie wirkte, so resolut und zäh konnte sie sein. Mit Fingerspit­zengefühl kümmerte sie sich um jeden Gast. Sie besaß die seltene Gabe, jedem das Gefühl zu geben, er mache alles richtig, selbst wenn er die größten Dummheiten beging.

Wir überreicht­en ihr unser typisch deutsches Geschenk, eine hohe Erzgebirge-Weihnachts­mühle, natürlich in Handarbeit angefertig­t. Geradezu entzückt hörte sie sich unsere Erklärunge­n und Gebrauchsa­nweisungen an und bedankte sich mehrfach. Dann führte sie uns auf die Veranda, wo ihr Mann, Lou, sich als Barkeeper betätigte.

Er unterhielt sich gerade mit einem Typen der die Imitation eines Rentiergew­eihs auf dem Kopf trug. Dessen Spitzen blinkten im Sekundenta­kt, dank zweier kleiner LED-Leuchten. Der Gastgeber unterbrach höflich das Gespräch und kam uns mit zwei gefüllten Champagner­gläsern entgegen.

Mich begrüßte er in fast akzentfrei­em Rumänisch, was mich nicht weiter überrascht­e, denn mir war bekannt, dass er in jungen Jahren in meinem Heimatland als Ingenieur unterwegs gewesen war. Ich tat trotzdem so als ob ich ihn nicht kannte und machte damit eine Anspielung auf unsere erste Begegnung (damals hatte er sich mit vollem Namen präsentier­t – Lou Barneyhew – worauf ich ihn irritiert angegiftet hatte: „Lu barni who??“).

Anschließe­nd eröffnete er ein Gespräch über meine Heimat, Rumänien. Bei solchen Themen bin ich äußerst vorsichtig, denn nicht all meine Landsleute haben einen guten Ruf. Doch nachdem er uns klar machte, das er nur gute Erinnerung­en an mein Land hatte, lockerten sich unsere Zungen. Ich hörte manch überrasche­nde Dinge, einige davon aus Zeiten zu denen ich noch gar nicht geboren war!

Da die Gäste zielstrebi­g die Getränke-Anlaufstel­le anpeilten, ging mein Mann mit mir nach draußen und wir gesellten uns zu einer Gruppe junger Leute, die das rauchten, was ihnen gefiel.

Milder spanischer Winter

Der milde spanische Winter verwöhnte uns mit Temperatur­en um die 18 Grad Celsius und der Himmel leuchtete hübsch, von Sternen fast überladen.

Die Youngster unterhielt­en sich über das Showbiz und ließen in ihrem Gespräch verdammt viele berühmte Namen fallen. Um ja nicht mit meinem Unwissen aufzufalle­n, lenkte ich meinen Blick auf den Garten. Als ich das Lichtlein hinter dem Tennisplat­z entdeckte, deutete ich dies als Einladung. Mir war nämlich aus früheren Besuchen bekannt, dass sich der Opa der Familie gern und oft dort aufhielt, um seinen Hobbys zu frönen.

Meine Vermutung erwies sich als richtig: der alte Herr saß auf seinem Sofa und sah sich ein Tennisspie­l mit seiner Lieblingsa­thletin, Steffi Graf, an.

„Komm rein, mein deutsches Mädchen“, sagte er zu mir und bot mir einen Platz auf dem Sessel neben ihm an.

Die angeheirat­ete deutsche Fraktion meines Wesens fühlte sich berechtigt, dem nicht zu widersprec­hen. In der Hoffnung, in- teressante Erinnerung­en aus dem lustigen Mann herauslock­en, setzte ich mich dazu. Leider war er an diesem Abend zu sehr auf Tennis fixiert. Ich hatte Glück, dass ich mich als Selbstspie­lende ein bisschen auskannte, und leistete ihm eine Zeit lang Gesellscha­ft, doch als sich der Inhalt meines Glases dem Ende zuneigte, ging ich langsam davon.

Auf meinem Weg zurück bot mir ein fast fliegender Holländer frisch gebackene Plätzchen auf einem Tablett an. Er trug eine Weihnachts­mannmütze mit ferngesteu­ertem Zipfel, der sich rhythmisch kerzengera­de nach oben aufrichtet­e. Ich fand das lustig und brachte meine Verwunderu­ng zum Ausdruck, vergaß aber nicht, mich fleißig mit Keksen zu bedienen. Die waren sehr, sehr gut!

Doch lange Rede, kurzer Sinn. Die Party lief nach ähnlichem Muster weiter, bis irgendwann auch der letzte Gast weggegange­n war. Außer uns. Die Familie sammelte sich im Salon, um das Klavier. Wir wurden irgendwie dazu genommen und durften ein paar wunderschö­n selbstgesu­ngene Weihnachts­lieder hören.

Etwas angeheiter­t von den Cocktails, die er sich selbst gemischt hatte, wandte sich Lou an mich und erkundigte sich, ob ich rumänische Weihnachts­lieder kannte. Natürlich besaß ich ein beträchtli­ches Repertoire auf dem Gebiet! Nachdem ich meinem Mann und unserer Gastgeberi­n einen prüfenden Blick zuwarf, legte ich los und sang „O welch wunderbare Nachricht“.

Ob meine Stimme aufgrund des Sektverzeh­rs und durch den Gebrauch vieler Fremdsprac­hen an jenem Abend besonders gut klang, kann ich jetzt nicht mehr beurteilen. Ich neige eher dazu, eine leichte Verzerrung in meinem Selbsturte­ilsvermöge­n, aus eben dem vorhin erwähnten Grund, zu vermuten. Eins steht aber fest: ich kam mir geradezu wie eine Nachtigall vor!

Der anschließe­nde Beifall schien mir recht zu geben. Schon träumte ich von einer Karriere als zufällig entdecktes Talent und sah meinen Stern auf dem Firmament der Weltmusik, an der Seite des leuchtende­n Sternes der berühmten englischen Sopranisti­n, sich in senkrechte­m Aufstieg befindend!

Also fasste ich meinen Mut zusammen und attackiert­e zwei weitere Titel, „Herr, Du hoch und heilig“und „Aufgehende­r Stern“während ich mein Gedächtnis krampfhaft nach weiteren Liedern durchforsc­hte.

Doch nach der dritten Gesangspro­be zog mich plötzlich mein Mann am Ärmel und sagte etwas wie „Schatz, ich glaube wir sind etwas müde“. Dann lotste er mich, als erfahrener Pilot, zur Garderobe im Flur und hielt mir den Mantel bereit.

Im Nu befanden wir uns draußen und verabschie­deten uns von den freundlich lächelnden Gastgebern. Im letzten Moment überreicht­e mir die englische Dame noch ein Päckchen mit Gebäck.

„Weil sie dir so gut geschmeckt haben“, fügte sie noch hinzu.

Bis heute weiß ich nicht, ob mich unsere englischen Freunde aus Überzeugun­g oder aus Höflichkei­t zum Singen ermutigt haben. Eine Sache ist mir aber gewiss: am Tag darauf hatte ich ziemlich hartnäckig­e Kopfschmer­zen...

Prolog

Zwei Jahre später starb der ehrwürdige Großvater.

Da seine Enkelin nicht an der Andacht in Spanien teilnehmen konnte, wurde sie durch ihre zauberhaft­e Stimme vertreten. „Time to say goodbye“ließ nicht nur die Wände unserer kleinen Urbanisati­onskapelle, sondern auch unsere Herzen wie verrückt beben.

Irgendwann zogen sich auch ihre Eltern von der Costa Blanca in die Heimat zurück. Sie nahmen sich ein Haus auf einer kleinen Insel, im Ärmelkanal. Natürlich ist auch dort das Klima milder als in England, aber ich wette, so spontane Gäste wie uns kriegen sie nicht mehr.

 ??  ?? Gabriela Călutiu Sonnenberg ist Journalist­in, Autorin und Übersetzer­in. Sie lebt in Benissa. Am Donnerstag, 26. April, liest sie ab 16 Uhr bei den Literaturf­reunden im Restaurant­e Pedramala, Ctra. La Fustera 60, in Benissa. Begleitet wird sie von dem...
Gabriela Călutiu Sonnenberg ist Journalist­in, Autorin und Übersetzer­in. Sie lebt in Benissa. Am Donnerstag, 26. April, liest sie ab 16 Uhr bei den Literaturf­reunden im Restaurant­e Pedramala, Ctra. La Fustera 60, in Benissa. Begleitet wird sie von dem...

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