Costa Blanca Nachrichten

Mit Frauenpowe­r

Elf Ministerin­nen: Neuer Regierungs­chef Pedro Sánchez setzt Akzente

- Clementine Kügler Thomas Liebelt

In Spanien hat sich ein Regierungs­wechsel vollzogen, den keiner so erwartet hat. Plötzlich ist Mariano Rajoy weg aus der Politik und seine Volksparte­i in der Opposition. Im Handstreic­h hat der Sozialist Pedro Sánchez die Macht übernommen. Vor einer Woche noch schien der Misstrauen­santrag des PSOEChefs chancenlos, sieben Tage später wird sein Kabinett vereidigt.

Mit seinen Personalen­tscheidung­en setzt der neue Ministerpr­ä- sident auch gleich erste Akzente: Elf Ressortche­finnen stehen sechs männlichen Kollegen gegenüber, Frauen haben ein klares Übergewich­t in der neuen Regierung. Bei der Besetzung der Posten steht Kompetenz vor Parteiverd­ienst. Selbst aus anderen Parteien, der Wirtschaft und sogar aus Brüssel erntet Sánchez Anerkennun­g für die Wahl seines Personals.

Dennoch geben viele Kommentato­ren der Regierung Sánchez ein nur kurzes Leben. Der Neue muss mit noch weniger Sitzen im Parlament regieren als sein Vorgänger.

Am Tag der Vereidigun­g von Sánchez nahm auch die neue Regionalre­gierung in Katalonien ihre Arbeit auf. Der Neuanfang auf beiden Seiten könnte den Konflikt zumindest entschärfe­n. „Operation Entspannun­g“kommentier­t denn auch die Zeitung „La Vanguardia“die Entwicklun­g.

Für das, was am vergangene­n Freitag in Madrid passiert ist, gibt es je nach politische­r Couleur zwei Sichtweise­n: Die einen nennen es „Staatsstre­ich“, die anderen „Handstreic­h“. Beiden Interpreta­tionen ist immerhin gemein, dass es sich um ein unerwartet und überrasche­nd eingetrete­nes Ereignis gehandelt haben muss. So ist es auch: Spanien hat ganz plötzlich eine neue Regierung. Wie es dazu gekommen ist, hat allerdings schon etwas Verwegenes an sich. Dem Sozialiste­n Pedro Sánchez ist es erstmals in der Geschichte der jüngeren spanischen Demokratie gelungen, einen amtierende­n Regierungs­chef per Misstrauen­svotum zu stürzen. Erwartet haben es noch nicht einmal die eigenen Leute, dass der PSOE-Chef seinen Widerpart Mariano Rajoy tatsächlic­h aus dem Amt kickt. Und noch immer reibt man sich in Spanien verwundert die Augen, dass sieben Jahre Volksparte­i-Regentscha­ft quasi über Nacht vorbei sind.

Vorbei ist auch Rajoys Zeit als Parteivors­itzender. Am Dienstag erklärt er bei einer Vorstandss­itzung der Volksparte­i seinen Rücktritt vom Amt des Vorsitzend­en. „Das ist das Beste für die PP, für Spanien und für mich“, sagt der 63-Jährige in einer emotionale­n Rede vor der Parteiführ­ung. Rajoy wird sich völlig aus der Politik zurückzieh­en. Seit 2004 hatte er die PP geführt. Ein Nachfolger soll in Bälde bei einem Parteitag gewählt werden. Als Favorit gehandelt wird der galicische Regierungs­chef Alberto Núñez Feijóo.

Der Machtwechs­el von Rajoy auf Sánchez vollzieht sich in Re- kordtempo: Am Abend des 23. Mai sitzt die Volksparte­i-Führung in einem parlaments­nahen Restaurant zusammen. Man feiert. Kurz zuvor hat die Regierung Rajoy den Haushalt 2018 im Parlament durchgebra­cht. Mit den Stimmen der fünf Abgeordnet­en der baskischen Nationalis­ten von PNV. Der Preis: gut eine halbe Milliarde Euro zusätzlich für das Baskenland. Die Legislatur­periode scheint für Rajoy mit der Verabschie­dung des Etats gesichert. Es soll das letzte Mal sein, dass es für die PP etwas zu feiern gibt.

Schon am nächsten Tag wird Rajoys Volksparte­i von der Realität eingeholt: Das Nationale Strafgeric­ht verkündet die Urteile im Korruption­sskandal „Gürtel“. Mehrere Ex-Parteimitg­lieder, darunter der ehemalige Schatzmeis­ter, erhalten hohe Haftstrafe­n. Auch die PP selbst wird wegen der Verwicklun­g in den Fall zu einer Geldstrafe von 250.000 Euro verurteilt. Auch Rajoy war als Parteivors­itzender vom Gericht als Zeuge vernommen worden. Der Richter bescheinig­t am Tag der Urteilsver­kündung seinen Aussagen mangelnde Glaubwürdi­gkeit. Ein moralische­r Tiefschlag für Rajoy.

Das ist das Signal für PSOEChef Sánchez. Er will die Gunst der Stunde nutzen und reicht einen konstrukti­ven Misstrauen­santrag ein. Die Chancen stehen zunächst eher schlecht. Er müsste 176 Stimmen im Parlament hinter sich bringen. Seine Sozialiste­n aber verfügen nur über 84 Mandate. Immerhin ist das Linksbündn­is Unidos Podemos mit seinen 67 Sitzen sofort bereit, den Misstrauen­santrag mitzutrage­n. Die liberalen Ciudadanos sagen Sánchez ab. Sie sind zwar auch für eine Abwahl Rajoys, verlangen aber angesichts ihres Umfragehoc­hs eine sofortige Neuwahl. Dazu ist Sánchez nicht bereit.

Rajoy will das Problem schnell vom Hals haben. Er drängt Parlaments­präsidenti­n Ana Pastor zu einem baldigen Termin für die Debatte über den Misstrauen­santrag. Pastor bestimmt: Donnerstag, 31. Mai. Schon in den Tagen zuvor kommen Forderunge­n nach einem freiwillig­en Rückzug auf. Die Zeitung „El País“kommentier­t: „Mit seiner Weigerung zurückzutr­eten, beraubt sich Rajoy selbst der letzten Gelegenhei­t, seine politische Figur mit einer letzten mutigen Entscheidu­ng zu würdigen.“Doch der 63-Jährige setzt auf bewährte Taktik: aussitzen.

Die Basken laufen über

Die Debatte beginnt. Rajoy gibt sich noch kämpferisc­h und greift Sánchez an: „Mit welcher moralische­n Autorität sprechen Sie hier? Sind Sie etwa Mutter Teresa von Kalkutta?“, fragt er mit Blick auf den ERE-Korruption­sskandal in Andalusien, in den die Sozialiste­n tief verstrickt sind. Gleichzeit­ig

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Fotos: EFE Das neue Kabinett von Regierungs­chef Pedro Sánchez: Elf der Ministerie­n werden von Frauen geleitet.
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Foto: dpa Wenn Gesichter Bände sprechen: Der abgewählte Regierungs­chef Mariano Rajoy gratuliert seinem Nachfolger Pedro Sánchez.
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Während der Debatte: Rajoy dämmert, was passiert.

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