Eine Chance verdient
Als „Staatsfeind“hat Volkspartei-Generalsekretärin María Dolores de Cospedal den PSOE-Chef Pedro Sánchez wegen seines Misstrauensantrags gegen Mariano Rajoy bezeichnet. Sie hat es immer noch nicht verstanden. Staatsfeinde sind diejenigen, die Millionen in die eigene Tasche wirtschaften, während Schulkinder in Containern unterrichtet werden müssen. Es ist gut, dass die Volkspartei, so wie sie sich derzeit darstellt, nicht mehr an der Regierung ist.
Man wird Rajoy sicherlich nicht unterstellen können, dass auch er korrupt ist. Von seiner Regierung aber sind keine Impulse mehr ausgegangen. Sie hat tatenlos zugesehen, wie in Spanien trotz der wirtschaftlichen Erholung die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergegangen ist. Auch der Katalonien-Konflikt hätte sich mit Rajoy niemals entschärfen, geschweige denn lösen lassen. Es ist daher gut, dass er nicht mehr Ministerpräsident ist.
Ist Pedro Sánchez nun die Alternative, die Spanien braucht? Zunächst einmal nötigt sein Coup gegen Rajoy Respekt ab. Der Vorgang zeugt von politischem Instinkt. Möglicherweise wurde „Pedro, der Schöne“unterschätzt. Gleichwohl wird man keine Wunderdinge von dem Neuen erwarten können. Dazu ist die PSOE mit ihren nur 84 Sitzen im Parlament zu schwach. Eine Mehrheit zu zimmern wird immer wieder mühsam sein.
Auch aus der eigenen Partei können Störfeuer kommen. Das PSOE-Establishment hat sich mit dem Mann an der Spitze noch immer nicht anfreunden können. Die andalusische Partei- und Regierungschefin Susana Díaz, die den mächtigsten Landesverband anführt, ist seine große Widersacherin. Sie hat Sánchez schon immer Steine in den Weg gelegt.
Im Grund bleibt Sánchez nur eine Möglichkeit. Er muss die Zeit an der Regierungsspitze schnell nutzen, um Wirkung zu erzielen. Er muss Akzente setzen, die das Wahlvolk davon überzeugen, dass hier eine neue Politik am Entstehen ist. Dann kann er getrost in eine Neuwahl gehen. Die muss Sánchez auch bald ansetzen, um sich bestätigen zu lassen. Er ist ein Regierungschef, der ohne Wahl an die Macht gekommen ist und noch nicht einmal ein Abgeordnetenmandat besitzt.
Die Zusammensetzung seines Kabinetts mit einer 11:6-Mehrheit der Frauen ist bereits ein solcher Akzent. Auch bei der Auswahl der Personen nach ihren Eigenschaften beweist er eine glückliche Hand: kompetent, modern, europäisch. Sánchez hat offenbar einen konkreten Plan. Eine Chance hat er also verdient.