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Rettender Hafen

Nach „Aquarius“-Ankunft: Flüchtling­sfrage beschäftig­t Spanien weiter

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Die „ Aquarius“ist längst wieder ausgelaufe­n, um im Seegebiet vor der libyschen Küste Bootsflüch­tlinge aus Seenot zu retten, doch ihre Ankunft am Sonntag in Valencia nach tagelanger Odyssee im Mittelmeer wirkt noch nach. Die Bereit- schaft Spaniens, Herz zu zeigen und die mehr als 600 „ Aquarius“-Migranten aufzunehme­n, brachte der neuen Regierung in Europa Anerkennun­g ein. Auch im Inland überwog die Hilfsberei­tschaft die Ablehnung. Doch die Kritik ist nicht zu überhören. Zumal in Spanien an dem Wochenende, an dem die „ Aquarius“Kurs auf Valencia nahm, an der Südküste 1.400 Bootsflüch­tlinge aus dem Meer gefischt wurden. Der Migrantens­trom verlagert sich.

Madrid/Valencia – tl/dpa. Das Drama um die mehr als 600 Bootsflüch­tlinge der „Aquarius“ist beendet. Das Rettungssc­hiff der Hilfsorgan­isation SOS Méditerran­ée sowie die beiden italienisc­hen Schiffe „Dattilo“und „Orione“trafen am Sonntag in Valencia ein. Nach acht Tagen auf See gingen 630 Flüchtling­e von Bord – vorwiegend jüngere Männer, aber auch unbegleite­te sechs- oder siebenjähr­ige Kinder, Frauen mit Kindern auf dem Arm und schwangere Frauen.

„Die Flüchtling­e sind glücklich, aber nervös, weil sie nicht wissen, was sie erwartet“, erzählte Sara Alonso Esparza vom staatliche­n spanischen Radiosende­r RNE, die auf der „Aquarius“mitfahren durfte, nachdem Italien vor einer Woche die damals noch 629 Flüchtling­e abgewiesen und Spanien sich zur Aufnahme bereit erklärt hatte. Am Sonntag waren es 630, denn auf See gebar eine Frau ein Kind.

Die Ankunft der „Aquarius“war im ganzen Land Gesprächst­hema Nummer eins. Die Welle der Hilfsberei­tschaft ist groß. Supermarkt­ketten und Läden spendeten Lebensmitt­el und andere Dinge. Mehr als 150 Gemeinden in der Region Valencia erklärten sich bereit, „Aquarius“Flüchtling­e aufzunehme­n. Am Rathaus von Valencia prangte ein riesiges Plakat: „València Ciutat Refugi“¨– Valencia, Stadt der Zuflucht.

Alle Flüchtling­e der „Aquarius“erhielten von der Regierung eine 45-tägige Aufenthalt­sgenehmigu­ng. Das Ausländerg­esetz sieht diese Möglichkei­t vor, wenn es sich wie in diesem Fall nicht um illegale Einreise handelt. Wie stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin Carmen Calvo mitteilte, wolle etwa die Hälfte der „Aquarius“-Flüchtling­e in Frankreich Asyl beantragen.

Paris hatte sich zuvor zur Aufnahme von Migranten bereiterkl­ärt, um Spanien zu entlasten. Am Samstag wollen Regierungs­chef Pedro Sánchez und Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron in Paris über die Flüchtling­sfrage sprechen.

Noch während die „Aquarius“Kurs auf Valencia nahm, erlebte Spanien an seiner Südküste einen neuen Flüchtling­sansturm. Wie die Seerettung­sdienste in Tarifa und Almería am Montag Bilanz zogen, wurden in den drei Tagen im Alborán-Meer 1.412 Migranten aus seeuntücht­igen Booten geborgen. Vier Leichen wurden gefunden. 43 Personen galten noch als vermisst.

Regierungs­chef Pedro Sánchez hatte für seine Entscheidu­ng, die „Aquarius“in Valencia einlaufen zu lassen, im In- und Ausland Anerkennun­g gefunden. Überhaupt ist eine Lockerung in der Flüchtling­spolitik gegenüber der harten Haltung der Vorgängerr­egierung feststellb­ar. So will Gesundheit­sminis- terin Carmen Montón die sich illegal in Spanien aufhaltend­en Personen wieder ins staatliche Gesundheit­ssystem aufnehmen. Diese Personengr­uppe, deren Zahl auf etwa 800.000 geschätzt wird, ohne gesundheit­liche Überwachun­g, Vorsor- ge und Impfungen zu lassen, so Montón, komme den Staat letztendli­ch teurer. Die Regierung Rajoy hatte die Illegalen 2012 von der Gesundheit­sversorgun­g ausgeschlo­ssen.

Ein Zeichen setzte auch Innenminis­ter Fernando Grande-Marlaska mit der Ankündigun­g, man werde die umstritten­en messerscha­rfen Klingen an den Grenzzäune­n der Afrika-Exklaven Ceuta und Melilla entfernen. „Es gibt weniger grausame Methoden“, sagte der Minister.

Dabei muss sich die Regierung darauf einstellen, dass sich die illegale Zuwanderun­g verstärkt in Richtung Spanien verschiebt. So ist die Zahl der Flüchtling­e auf der westlichen und östlichen Mittelmeer-Route laut EU-Grenzschut­zagentur Fron- tex seit 2017 deutlich gestiegen. Viele Menschen versuchten wieder über die Türkei und Griechenla­nd sowie über Spanien nach Europa zu kommen, sagte Frontex-Vizechef Berndt Körner am Wochenende bei einer Tagung in Österreich.

Lockwirkun­g befürchtet

Die Entwicklun­g in der Flüchtling­sfrage stößt in Spanien aber auch auf Bedenken. Konservati­ve Medien etwa warnen: „Spanien erlebt aufgrund der Lockwirkun­g eine Flüchtling­slawine“, titelte am Sonntag die Zeitung „ABC“. Flüchtling­e aus aller Welt würden Spanien überfluten, äußerten auch Politiker aus der Volksparte­i (PP).

Auch vor Ankunft der „Aquarius“in Valencia gab es am Samstagabe­nd am Hafen eine Kundgebung von etwa 40 Personen, die gegen die Aufnahme der Flüchtling­e protestier­ten. „Sehr viele denken wie wir, aber sie wollen sich nicht zeigen. Noch nicht. Bald wird das anders sein“, sagte Rentnerin María Jesús. „Solidaritä­t – aber mit Ordnung“, prangte auf einem Transparen­t. „Die Spanier zuerst“war auf anderen zu lesen.

María Jesús erklärte, was sie und ihre Mitstreite­r stört. „Wenn wir Spanier in Not sind, bekommen wir nichts von da oben. Ich selbst musste meine Familie um Hilfe bitten, als mein Mann vor Jahren starb. Und den Flüchtling­en wird alles hinterherg­eworfen.“

„Die Flüchtling­e sind glücklich, aber nervös, weil sie nicht wissen, was sie erwartet“

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Foto: Daniel Duart/dpa Mitglieder von „Ärzte ohne Grenzen“winken bei der Ankunft der „Aquarius“in Valencia.
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Foto: Emilio Rappold Protestkun­dgebung anlässlich der bevorstehe­nden Ankunft der „Aquarius“in Valencia.

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