In aller Munde
Chupa Chups feiert: Wie clever der Lolli aus Spanien die Welt eroberte, und wie traurig er ein Dorf in Asturien machte
Ob das Feuer, das Rad oder der Fußball. Alle großen Ideen des Menschen waren im Grunde nicht komplex. Nötig war nur der entscheidende Schritt eines unruhigen Erfindergeistes, der eins und eins zusammenzählte und etwas schaffte, das die Welt gerade brauchte. Eine solcher Geist, der des Katalanen Enric Bernat, wurde vom folgenden Problem gequält: die klebrigen Hände von Kindern, wenn sie viel zu große Bonbons aßen.
Statt auf „ Was hast du denn für Probleme“-Blicke zu achten, formte Bernat kleine Zuckerkugeln in Optimalgröße für den Kindermund und steckte sie auf Holzstäbchen. Fertig war das Produkt, der Lutscher Chupa Chups, den Bernat im WM-Jahr 1958 noch Gol taufte.
Erdbeere, Zitrone, Orange, Cola und Minze waren vor 60 Jahren die ersten Sorten der aufgespießten Süßigkeit, mit der Bernat eine pleitegegangene Marmeladenfabrik in Asturien flott machen wollte. Da kein Investor an den Erfolg glaubte, finanzierte Bernat seine Vision durch einen innovativen Selbstvertrieb mittels einer Handelsgesellschaft – und sicherte sich alle Patente für seinen Lolli.
Für den setzte er eine Peseta als Preis fest – ein horrender Betrag für die Zeit. Doch so verlieh Bernat seinem Leckerli die Wirkung eines Qualitätsproduktes, das er mit manch „ Guerilla-Methode“, wie man heute sagen würde, in die Läden gebracht haben soll. Demnach ließ Bernat Pesetas an Grundschüler verteilen und diese in Geschäften nach dem Lutscher fragen, der so nach und nach an jeder Ladenkasse erschien.
Vorname dank Ohrwurm
In Sachen Cleverness machte Bernat keiner etwas vor. Der erste, der auf das Bonbon am Stiel kam, wie es die Chupa-Chups-Chronik behauptet, war der Katalane jedoch nicht. 1908 erfand die Variante bereits ein US-Amerikaner namens George Smith, und auch schon der Adel des Mittelalters steckte in Honig kandiertes Süßes auf Stäbe, übrigens ähnlich wie auch schon die alten Ägypter, Araber oder Chinesen. Doch muss 1958 ein besonderes Jahr für den Lolli gewesen sein, nicht nur weil der Song
„ Lollipop“die Charts stürmte.
Die süße, bunte Kugel war offenbar das, was die Zeit gerade brauchte. Keine 15 Jahre zurück lag der Weltkrieg, keine 20 in Spanien der Bürgerkrieg. Spürbar wa- ren noch die tragischen Folgen, ob in den Köpfen oder in den Städten, als wieder dunkle Wolken aufzogen, in Form des Kalten Krieges und der atomaren Bedrohung.
„ Ein Gol würde der Welt gut tun“, hätte ein Sportreporter kommentieren können. Dass der Produktname abseits des WM-Jahres nicht ganz zog, merkte die Marketingabteilung 1960. Aus Gol wurde Chups, von chupar, lutschen, zu dem ein Werbelied den Vornamen „ Chupa“beitrug. „ Obtén algo dulce para chupar, chupar, chupar como un Chups“(Erhalte etwas Süßes zum Lutschen, Lutschen, Lutschen wie ein Chups) trällerte 1963 das Radio, und die Käufer munter mit.
Als der neue Name einschlug, setzte die Firma bald auch bei Geschmäckern auf die Kundenmei- nung. So kamen Kombi-Sorten wie Sahne-Erdbeere oder SchokoVanille heraus. Um Milch bei deren Herstellung zu verwenden, war neue Maschinerie notwendig, die wiederum die Massenherstellung möglich machte. 1967 war der von Hand gemachte Lolli ausgelutscht.
Stattdessen produzierte das neue Werk 3.000 Stück am Tag und steckte die Chupa Chups nicht mehr auf Holz-, sondern auf als sicherer und sauberer empfundene Plastikstiele. Eine Filiale entstand im französischen Perpignan. Der Lolli war bereit für die Welt.
Von Weltformat war längst das Marketing von Bernats Firma. Ältere Spanier erinnern sich an Aktionen wie die Flotte von Seat 600, die mit Chupa Chups dekoriert durch Spanien tourte. 1968 kassierte der Lolli in Cannes für die beste Werbung den ersten Preis.
Was noch fehlte, war ein Logo, das höchsten Ansprüchen genügte. Für das gewann Bernat einen prominenten Freund, Surrealist Salvador Dalí. Im Handumdrehen kritzelte der ein Gänseblümchen auf eine Serviette – und kassierte dafür Millionen. Doch die Spesen lohnten sich für Chupa Chups. Das Blümlein mit dem Mix aus Früh-
Bernat fehlte noch ein erstklassiges Logo, also fragte er Salvador Dalí
ling, Unschuld und Pep wurde zum weltbekannten Emblem.
In Dalís Blume erschien 1977 asiatische Schrift, als Chupa Chups bis Japan vordrang. Eine Filiale regelte da bereits den Vertrieb in den USA. 1990 leckten 164 Länder die surreale Zuckerkugel. Längst zierte ihr Logo nicht nur den Lolli, sondern auch Poster, Shirts oder Spielzeug wie den Windball, ein mit Hello-Kitty-Figur versehenes Körbchen, das 1986 eine Kugel zum Schweben brachte.
Kein Wunder, dass der Katalane, der König darin war, eins und eins zusammenzuzählen, zum Vorreiter des Co-Brandings, der gemixten Vermarktung verschiedener Produkte, wurde. Der King of Pop, Michael Jackson, verkuppelte den Lutscher mit der Musik, als er 1988 von Chupa Chups gesponsort in Barcelona sang. Als sexy Attribut steckten ihn in den 90ern die Spice Girls in den Mund – mit Klischees, die freilich schon im „ Lollipop“-Lied der 50er steckten.
An Bord der Mir ins Weltall
Coolness bewies der Schleckstängel als TV-Star, zu dem er in den 70er Jahren wurde: Dank Telly Savalas, der als Ermittler Kojak lieber zum Zucker als zur Zigarette griff. Diese verborgene Tugend, eine Alternative für Raucher, nahm Chupa Chups unter anderem in Australien als Werbestrategie auf.
Das Bonbon am Stiel bewies perfektes Timing, als sich die Einstellung zum Rauchen änderte, Ärzte nicht mehr in Prospekten mit Zigarette in der Hand posierten, sondern energisch vor ihren Risiken warnten. Dass Zucker schädlich ist, erkannte Kojak übrigens in den späteren Folgen der Serie. Ei- ne Zahnbehandlung zwang ihn, das Markenzeichen abzulegen.
Eine zuckerfreie Sorte brachte Chupa Chups erst 1988 auf den Markt. Lustigerweise nicht in Spanien, wo Süßigkeiten ohne Zucker das Gesetz verbot. Nicht aus dem Grund hob 1995 der Lolli sogar in den Weltraum ab. Raumstation Mir hatte eine Kiste zur Umrundung der Erde bestellt. Der erste Lolli im All hielt 2000 in die Wissenschaft Einzug, als Forscher in der Antarktis ein Meerestier wegen der Form „ Chupa Chups“nannten.
2003 starb Enric Bernat, und mit ihm für viele die Seele von Chupa Chups, das sich noch heute als „ Familienunternehmen“bezeichnet. Der Gründer war es, der sich, trotz schmackhafter Angebote, immer gewehrt hatte, das Werk in Piloña in Asturien zu schließen. Wo Chupa Chups geboren wurde, müsse es für immer produziert werden, meinte der Wahl-Asturier.
Doch Verluste zur Jahrtausendwende durchkreuzten den idealistischen Plan. 2002 verkaufte Bernat als Notmaßnahme die von Gaudí gebaute Casa Batlló in Barcelona, die er einst erstanden hatte, und kurbelte die Vermarktung von Artikeln mit dem Chupa-Chups-Logo an. Doch 2004 – Bernat war gestorben, der Euro gegenüber dem Dollar gefallen – stürzte Chupa Chups um elf Prozent ab und schloss die Filiale in den USA.
Vermutlich hatte sich der Firmengründer selbst auch verschätzt, als er nach dem durchschlagenden internationalen Erfolg stark in die Produktion im Ausland investierte. Die Fabriken, die Enric Bernat in Russland, China, Indien, Brasilien und Mexiko installierte, stellten sich für das Unternehmen wohl als zu große Belastung heraus.
Gänseblümchen in Flammen
Bernats ältester Sohn Xavier sah sich 2006 zum Verkauf der Firma gezwungen. Die italienisch-niederländische Gruppe Perfett-Van Melle, die mit Chupa Chups beim Vertrieb in Deutschland kooperiert hatte, bot 400 Millionen Euro, und verpflichtete sich, die Produktion in Spanien nicht einzustellen. Der Lutscher war verkauft.
Kurz ging es mit Chupa Chups bergauf, das Anfang 2006 in Spanien acht Millionen mehr Stücke verkaufte als im Jahr zuvor. Der Grund war freilich eine glückliche Fügung: das Anti-Tabak-Gesetz war in Spanien in Kraft getreten. Den Abwärtstrend konnte das aber nicht stoppen, zu dem sich bald die Weltwirtschaftskrise gesellte. Perfetti-Van Melle baute um und setz-