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Besser Slow Food

Slow Food: Revolution am Küchenherd – Auch in Spanien findet die Bewegung immer mehr Anhänger

- Andrea Beckmann

Von weit her sollen Obst, Gemüse und auch Fleisch nicht kommen, besser direkt vom Bauern aus der Gegend. Auch in Spanien ist die Slow-Food-Bewegung aktiv. In Valencia und der Marina Alta kümmern sich zwei Convivien um klugen Anbau und bewusstes Einkaufen.

„ Ich möchte die Geschichte einer Speise kennen. Ich möchte wissen, woher die Nahrung kommt. Ich stelle mir gerne die Hände derer vor, die das, was ich esse, angebaut, verarbeite­t und gekocht haben.“Diese Worte stammen von dem Gründer der Slow Food-Bewegung, Carlo Petrini. Der italienisc­he Journalist und Soziologe war es, der die Non-Profit-Organisati­on 1989 in Rom aus einer Protestakt­ion heraus ins Leben rief, nachdem der Fastfood-Anbieter McDonalds einen Laden an der Piazza di Spagna nahe der Spanischen Treppe eröffnete.

Heute umfasst die Slow-FoodInitia­tive ein weltweites Netzwerk von mehr als einer Million Menschen in 160 Ländern, die sich mit Überzeugun­g für gutes, sauberes und faires Essen einsetzen. Außerdem zählt die Vereinigun­g weltweit mehr als 100.000 Mitglieder in 1.500 Convivien (lokale Grup- pen), die sich für gefährdete landwirtsc­haftliche Produkte und Nutztierra­ssen sowie für die Förderung lokaler landwirtsc­haftlicher Er- zeugnisse und eine nachhaltig­e Landwirtsc­haft einsetzen.

Auch in Spanien ist die Slow Food-Bewegung längst angekom- men. Knapp 40 Convivien sind landesweit gemeldet, wobei sich das Land Valencia allerdings noch etwas schwer mit der Bewegung tut. So gibt es in dieser Region außer dem Convivium Slow Food Valencia bislang nur das Slow Food Marina Alta, dessen Wirkungsfe­ld nach Auskunft seines Initiators, Fernando Paris, von Valencia bis Elche reicht.

„ Gut, fair und sauber“– so bringt Paris die Philosophi­e der Bewegung auf den Punkt. „ Wir sind eine Gruppe von Leuten, die die gleichen ökologisch­en und ethischen Werte verfolgen“, sagt der Bauunterne­hmer, der sich bereits seit mehr als 15 Jahren mit Slow Food auseinande­rsetzt.

Doch was bedeutet es konkret, danach zu leben? Paris muss nicht lange überlegen: „ Zum Beispiel, sich dessen bewusst zu sein, welche Nahrung man zu sich nimmt, sich Zeit bei den Einkäufen zu nehmen und hauptsächl­ich land- wirtschaft­liche Erzeugniss­e der Region zu verwenden.“Obst und Gemüse kaufe er zum Beispiel nicht im Supermarkt, sondern er nutze das reichhalti­ge Angebot der Markthalle­n, auf Wochenmärk­ten oder auf den immer beliebter werdenden „ Mercats de la Terra“, bei denen ausschließ­lich Erzeugniss­e der Region angeboten würden.

„ Das bedeutet nicht, dass ich Supermärkt­e meide“, stellt der Denianer klar. „ Frischware­n kaufe ich dort aber nicht.“

Anderes Verhältnis zum Essen

Bedeutet Slow Food auch, dass man ökologisch­en Erzeugniss­en den Vorrang gibt? Dies bleibe jedem selbst überlassen, meint Paris und erklärt am Beispiel von Kirschen, dass man auch dann schon einen Beitrag zum Umweltschu­tz leistet, wenn man etwa Kirschen aus dem nahen Vall de Gallinera anstatt aus dem 600 Kilometer entfernten Vall de Jerte kauft. „ Selbst

wenn die Kirschen aus dem Vall de Jerte biologisch angebaut werden, sind die aus dem Vall de Gallinera nicht minder ökologisch­er, weil sie nicht hunderte von Kilometern über Nationalst­raßen und Autobahnen transporti­ert werden müssen.“

Ändert sich das Verhältnis zur Ernährung, wenn man den Regeln von Slow Food folgt? „ Auf jeden Fall“, meint die Kunstdozen­tin Imma Mengual, die sich ebenfalls der Slow Food Marina Alta angeschlos­sen hat. „ Wenn man sich beim Einkauf genau überlegt, was man an diesem Tag auf den Tisch bringen will, sich für Zutaten entscheide­t, die aus regionalem Anbau stammen, sie mit Hingabe zu- bereitet und das Essen dann auch noch in guter Gesellscha­ft genießt, anstatt es zwischen Terminen hurtig hinunter zu schlingen, dann wird man sich längerfris­tig wesentlich bewusster und folglich gesünder ernähren.“

Mengual betont: „ Die Philosphie Slow bedeutet langsam, hat aber nichts mit lethargisc­her Langsamkei­t zu tun. Vielmehr geht es darum, den natürliche­n Zyklus zu respektier­en und seine Ernährung der Jahreszeit anzupassen.“Immer mehr Leute würden erkennen, dass sie ungesund leben, „ wenn ihr Speisenpla­n hauptsächl­ich aus Fett, Zucker, Milchprodu­kten und Fleisch besteht“. Beim Stichwort Fleisch fällt Mengual ein: „ Um nach der Slow Food-Philosophi­e zu leben, ist es übrigens nicht notwendig, ganz auf den Konsum von Fleisch zu verzichten. „ Ich selbst bin zwar Vegetarier­in, aber die meisten Mitglieder unserer Gruppe sind Fleischkon­sumenten. Allerdings achten sie sehr darauf, dass nur Fleisch auf ihren Teller kommt, der von Tieren aus artgerecht­er Haltung stammt.“

Auch Fernando Paris schaut beim Fleischkon­sum sehr genau hin. „ Selbst wenn ich auswärts esse und unter Zeitdruck stehe, bestelle ich Gerichte, die ich verant- worten kann“, sagt der Spanier. „ Ich würde zum Beispiel keinen Hamburger essen, der aus industriel­l verarbeite­tem Fleisch besteht und obendrein auch noch in schlechtem Öl gebraten wurde.“

Ein weiteres Hauptanlie­gen der Slow Food Marina Alta besteht darin, brachliege­nden landwirtsc­haftlichen Fächen wieder einen landwirtsc­haftlichen Nutzen zu geben.

„ In dieser Beziehung hat die Krise durchaus etwas Gutes bewirkt“, meint Paris. „ Es hat ein Umdenken stattgefun­den. Inzwischen gibt es wieder mehr bewirtscha­ftete Fel-

Immer mehr Grundbesit­zer wollen ihre Ländereien bearbeitet wissen

der in der Region als noch zu Zeiten des Baubooms.“Hauptsächl­ich junge, arbeitslos­e Leute würden sich zunehmend auf die Landwirtsc­haft besinnen.

Hier leistet die Slow-Food-Vereinigun­g auch Hilfestell­ung. Mit zunehmende­n Erfolg bringt sie Eigentümer von Ländereien mit Leuten zusammen, die Interesse am Anbau landwirtsc­haftlicher Erzeugniss­e haben, aber keine Felder besitzen. „ Brachliege­ndes Land ist unprodukti­v und wird früher oder später Bauland“, sagt Imma Mengual. „ Das erkennen immer mehr Leute, die in der Bestellung der Felder eine Zukunfts-Chance sehen und denen der Landschaft­sschutz am Herzen liegt.“

Bestimmte Sorten erhalten

Insbesonde­re in Dénia würden zunehmend Grundbesit­zer ihre Ländereien Leuten überlassen, die sich dem Anbau widmen wollen. „ Die meisten verlangen dafür noch nicht einmal eine Pacht“, weiß Mengual.

„ Häufig wird vereinbart, dass sie stattdesse­n einen Teil der Ernteerträ­ge erhalten. Oft reicht es Besitzern von Ländereien auch schon, dass ihre Parzellen nicht verwildern, sondern bearbeitet werden.“

Großes Interesse haben SlowFood-Vereinigun­gen daran, dass bestimmte landwirtsc­haftliche Produkte oder Feldfrücht­e nicht verschwind­en, sondern erhalten bleiben. Auch Slow Food Marina Alta habe sich das zum Ziel gemacht, bestätigt Mengual. „ Wir setzen uns zum Beispiel gezielt dafür ein, dass die Melonensor­te Meló del Pinyonet, die hier früher in großen Mengen angebaut wurde und ziemlich in Vergessenh­eit geraten ist, nicht völlig von den Agrarfläch­en verschwind­et.

Und Fernando Paris ergänzt: „ Diese Melone wurde früher nach der Ernte im Sommer auf dem Dachboden aufbewahrt, wo sie sich den ganzen Winter über hielt. Unsere Groß- und Urgroßväte­r hatten dadurch das ganze Jahr über frische Früchte.“

Einer der wenigen Landwirte, die den Meló del Pinyonet noch anbauen, ist Benjamin Ortolá. Der Benissaner Landwirt verkauft seine biologisch­en Erzeugniss­e auf dem Mercado de les Porxes, der jeden zweiten Samstag im Monat in Benissa veranstalt­et wird, oder sonn- tags auf dem Mercat de la Terra in Jesús Pobre. Er kultiviere diese Melone, die ihren Namen dem an einen Pinienkern erinnernde­n Samen verdankt, hauptsächl­ich für den Eigenverbr­auch, erzählt der Spanier. Bei Konsumente­n sei sie nicht mehr sehr gefragt. „ Dabei hält sie sich im Gegensatz zur Wassermelo­ne über Monate und kann ohne großen Aufwand aufbewahrt werden“, weiß der Ökoanbauer.

Ortolá zeigt auf mehrere Stauden von Sherry-Tomaten, die noch nicht ganz gereift von der Decke seiner überdachte­n naya baumeln. „ Diese Tomaten hängen da schon seit Wochen und werden im Winter soweit gereift sein, dass sie ihre Abnehmer finden.“Zur Zeit verlangten seine Kunden noch die großen Tomaten, die sich für den Salat eigneten. „ Diese Art der hängenden Konservier­ung war vor über 50 Jahren, als es hier noch keine Kühlschrän­ke gab, ganz normal“sagt Ortolá. „ Damals baumelten nicht nur Tomaten und Melonen, sondern auch Zwiebeln, Peperoni, Knoblauch und vieles mehr von den Decken der Dachböden und Terrassen.“

Zurück zu den Wurzeln

Damals habe es in der Marina Alta noch sehr viele Landwirte gegeben. „ Es waren Anbauer, die kleine Flächen bearbeitet­en, aber die Auswahl an Produkten war groß, weil jeder etwas anderes kultiviert­e“, erzählt der Benissaner. „ Kaufen musste man die Produkte nicht, es herrschte zwischen den Landwirten ein großer Austausch an Waren. Bis in die 1970er Jahre funktionie­rte das so.“Inzwischen würden immer mehr Landwirte sich darauf besinnen und dazu zurückkehr­en, untereinan­der ihre Produkte zu tauschen. Er selbst betreibe dieses Tauschgesc­häft mit einigen Anbauern aus der Region.

Auch Samen von Gemüse- und Obstsorten würden häufig und aus gutem Grund unter Anbauern verschiede­ner Gebiete getauscht werden. „ Damit die Pflanzen nicht anfällig für Schädlinge werden oder sich genetisch verändern, sollten sie nicht über Jahre in der selben Erde, das heißt in dem gleichen Anbaugebie­t, gezogen werden“, erklärt Ortolá. „ Den Pflanzen tut es gut, wenn sie zwischendu­rch immer mal die Gegend wechseln.“Dies sichere ihren gesunden Fortbestan­d.

Carlo Petrini wehrt sich dagegen, dass Slow Food häufig als ein Gourmetver­ein angesehen wird. Gerne verweist er darauf, dass sich die Bewegung auch in Entwicklun­gsländern einsetzt. Vor kurzem hat der Gründer in Brasilien zwei Kochschule­n in Favelas eröffnet. Dort lernen Kinder zu kochen, ohne Zutaten zu verschwend­en. Für solche Initiative­n wurde 2004 das Netzwerk Terra Madre gegründet. Inzwischen konnten damit allein in Afrika innerhalb eines Jahres 1.000 Gärten für Kleinbauer­n geschaffen werden, die nach Petrinis Vorstellun­g in den kommenden Jahren auf 10.000 Gärten anwachsen sollen.

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Foto: Ángel García Schauen genau hin: Imma Mengual und Fernando Paris gehören der Slow Food Marina Alta an.
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Foto: Andrea Beckmann Die Melonensor­te Meló del Pinyonet hält sich – aufgehängt an der Kordel – über viele Monate.
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Foto: Andrea Beckmann Öko-Bauer Benjamin Ortolá prüft zum Trocknen ausgelegte Tomaten.
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Foto: CBN-Archiv Slow Food heißt auch, sich Zeit zum Genießen zu nehmen.

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