Auff dem Ziiegenpffad
Panoramatour an Benitachells Steilhängen bietet Bergbauernhöhlen, Schmugglergeschichten und imposante Klippen
Die wildromantische Bucht Cala Llebeig in Benitachell ist unbedingt einen Ausflug wert. Einen tollen Blick auf die Idylle erhascht man bei der Steilhangführung Ruta de los Acantilados, die auch Eindrücke vom Leben der Schmuggler und Bauern vermittelt.
Bis zu 100 Meter hohe, zerklüftete Felswände, Schmugglerhöhlen, Rosmarin- und Lavendelduft, eine einsame Bucht – und hinter jeder Ecke öffnen sich neue, spektakuläre Seeblicke: Der Wanderweg an Benitachells Steilhängen „ Ruta de los Alcantilados“ist wirklich beeindruckend. Und ideal für den Sommer. Der Pfad liegt ab 17 Uhr im Schatten der Felswände, eine kühle Meeresbrise begleitet die Wanderer und nach einer ersten, kurzen Steigung sind keine weiteren zu erwarten.
„ Diesen Weg gingen früher viele Landarbeiter und Fischer jeden Tag“, berichtet Maribel Bertomeu von Benitachells Tourismusbüro. „ Er verbindet die Buchten Cala Moraig und Cala Llebeig.“Diesen Weg? Es handelt sich eher um einen Bergziegenpfad über Stock und Stein, der sich zunächst einige Minuten steil aufwärts zu den Klippen schlängelt. Doch die Anstrengung lohnt sich: Oben erwartet die Wandergruppe, die sich sprachlos am Abgrund drängelt, ein atemberaubender Blick auf das tiefblaue Meer.
Die Wanderführerin nutzt diese erste kleine Pause, um die typisch mediterrane Vegetation zu erklären. Sie zeigt auf hohe Halme, das Espartogras, aus dem früher Schnüre, Körbe oder Sohlen für Espandrilles-Schuhe hergestellt wurden. „ Das war für viele Familien ein wichtiges Zubrot“, erklärt sie. „ Vor allem Frauen verarbeiteten dieses Gras. Die Männer halfen nur an Regentagen, wenn sie nicht auf dem Feld arbeiten konnten.“
Denn die Landwirtschaft war damals die Haupteinnahmequelle der Menschen in Benitachell – der Reichen wie der Armen. „ Heute wachsen hier am Steilhang Stechginster, Mastixsträucher und andere Pflanzen der freien Natur“, sagt Maribel Bertomeu. „ Doch damals nutzten die armen Leute dieses karge Land, um Oliven-, Feigenoder Johannisbrotbäume und andere Nutzpflanzen anzubauen. Während arbeitsintensiver Epochen, wie der Ernte, lebten sie dabei hier oben in Höhlen, um sich den weiten Weg vom Dorf zu ersparen.“
Auch einige dieser Höhlen liegen an diesem Pfad. Zunächst warten auf die Wanderer jedoch nach jeder Biegungen malerische Blicke auf die Playa de Moraig mit ihrer Wasserhöhle, die Felsnase Moro Falquí und auf die nördlich von der Moraig-Bucht liegende, kleine Cala dels Testos, zu der man nur mit einem Boot oder zu Fuß gelangt. Im Laufe der Wanderung erscheinen dann auch der Cabo de la Nao mit dem Leuchtturm und die geologische Erdverwerfung Falla del Moraig – eine kuriose, wie abrupt abgeschnitten wirkende Felsformation – am Horizont.
Tabak und edle Stoffe
Vorbei an wilden Brombeeren und duftendem Thymian geht es aber zunächst zu den Höhlen, den covas. Hier fallen die Felswände nicht nur steil ins Meer ab. Sie türmen sich in allen Farbtönen von Orangebraun bis Grauschwarz über dem Wanderer auf und bieten einen schwindelerregenden Ausblick nach oben auf tiefe Löcher und zerklüfte Felsnasen. „ Pressen Sie sich eng an die Felswand, falls Sie das Geräusch rollender Steine hören, dann fallen sie über Sie hinweg“, warnt die Spanierin, beschwichtigt aber gleichzeitig: „ Keine Sorge, das passiert praktisch nie.“
Die Häuschen in der Cala gehörten Carbineros, die hier Schmuggler jagten
Auch Schmuggler nutzten die Höhlen an Benitachells Klippen. Sie warteten dort auf Boote, die ihnen Tabak, edle Stoffe, Seidenstrümpfe und die reich bestickten, schweren Seidenstolas Mantón de Manila brachten.
„Diese Höhle hier heißt eigentlich Cova de les Morretes, wird aber die Höhle der Bäckerin genannt, denn ihre Eigentümerin hatte einen Ofen und verkaufte an die Bewohner der anderen Höhlen Brot“, berichtet Maribel Bertomeu und zeigt auf eine Wand aus Natursteinen mit einem kleinen Durchgang. „Die Leute verschlossen die großen Höhleneingänge mit diesen Steinen, um sich vor dem Wetter zu schützen.“
In den covas lebten auch Tiere, so zum Beispiel in der nächsten Höhle Cova del Ti Domingo L’Abiar, wo in einen Stein die Jahreszahl 1937 eingeritzt ist. Sie wird gelegentlich noch von Klippenfischern genutzt, wie einige Matratzen auf dem Boden verraten.
In der nächsten Höhle, Cova de Pepet del Morret, kann man kaum stehen, so niedrig ist sie. Doch es gibt eine Feuerstelle und darüber ein Loch, das als Rauchabzug diente. Ein Steinbecken wurde als Spüle genutzt, ein paar Nägel in der Wand als Schrank, und rudimentäre Stufen führen in den Oberstock, der als Stall diente.
Eng mit der Geschichte der Höhle ist die der Pesqueras verbunden. An den Steilhängen gelegene Angelplätze, die früher vielen Männer das Leben kosteten. Teilweise werden sie noch heute von Hobbyanglern genutzt. Es handelt sich um Felsvorsprünge über dem Wasser, auf die Plattformen aus Schilfrohr gebunden wurden und zu denen man nur gelangte, indem man die Felswand herunterkletterte. Die Männer – in der Regel arme Landarbeiter, die viele hungri- ge Mäuler zu stopfen hatten – verbrachten im Winter oft viele Nächte auf den Pesqueras.
Die Ruta de los Acantilados endet an einer Art natürlichem Aussichtspunkt, einer kleinen Felsplattform, von der aus man zur ansons- ten schwer zugänglichen Cala Llebeig absteigt. Von oben sieht die kleine Bucht mit dem türkisblauen Wasser und den weißen Häuschen nach Fischerromantik aus. Doch weit gefehlt: „Diese Gebäude gehörten den Carabineros, die hier Schmuggler jagten, und nach der Abschaffung dieser Polizei über- nahm sie die Guardia Civil“, berichtet Maribel Bertomeu.
Die einfachen Leute aus Benitachell hätten in die Felswände der Bucht Höhlen gegraben, um ihre Boote aufzubewahren. „Sie übernachten auch manchmal dort, zum Beispiel an Brückenwochenenden“, erzählt sie. „Ganze Familien bringen dann eine kleine Gasflasche mit und richten sich provisorisch ein.“
In Benitachell sei es Brauch, sich dreimal im Jahr in der Cala Llebeig zu baden, zu der man nur per Boot oder über lange Fußwege gelangt. „Der Fels dort“, sagt die Spanierin und zeigt darauf. „An dem hat die Mehrheit der Leute im Dorf schwimmen gelernt.“Früher sei es Tradition gewesen, nach dem Patronatsfest im Juli, aber noch vor der Traubenernte einige Tage Feri- en in der Bucht zu machen. „Viele Leute schliefen dann dort einfach im Freien auf selbstgemachten Matratzen aus trockenen Algen“, berichtet die Wanderführerin.
Auf dem Rückweg kommt die Gruppe an drolligen Steinmännchen vorbei, die frühere Klippenwanderer unter der Steilwand zusammengesetzt haben. „Es heißt, man muss einen Stein oben auf ein Männchen legen, das bringt Glück und man kommt bald wieder“, sagt Maribel Bertomeu.