Hippes Ruzafa
Ruzafas Wandel vom verschmähten Drogenviertel zum hippsten Bezirk der Stadt
In weniger als zehn Jahren wandelte sich Ruzafa vom verrufenen Drogenkiez hinter dem Bahnhof zum alternativen Trendviertel im Zentrum Valencias. Bunte Fassaden, Hipster-Kultur und Bioläden bestimmen das Straßenbild. Doch der neue Lifestyle fordert seinen Tribut.
Vor zehn Jahren hat sich hier nach 20 Uhr kein Fremder hergetraut, die Drogen wurden direkt aus den Fenstern in den Parterrewohnungen verkauft, alles war schmutzig und die einzigen Geschäfte, die es gab, waren schmierige Bars und chinesische Ramschhändler.“Das erzählt uns Teofila Rodríguez, eine Kubanerin in fortgeschrittenem Alter, über Ruzafa. Das kleine Barrio im Distrikt Eixample, unmittelbar hinter dem Nordbahnhof Valencias, ist ihr Viertel, sie lebt hier seit über 30 Jahren. Ausgerechnet in der Calle Cuba. „ Es ist schöner und sauberer heute, auch sicherer, doch ich kenne immer weniger Leute. Der Kiez ist wie ausgetauscht. Alles ist teurer. Die Neuen reden nicht mit uns“, sagt sie, schaut uns skeptisch an und zieht mit ihren Einkäufen im Rentner-Rolli von dannen.
Politisch korrekte Elite
Was Teofila beschreibt, verharmlost die Soziologie mit dem Begriff Gentrifizierung: den Bevölkerungsaustausch durch ökonomische Zwänge. Im Grunde ist es ein Kulturkampf zwischen Wohlhabenden und relativ Armen, bei dem ein unausgesprochener Elitarismus sich zwar politisch korrekt artikuliert, aber die gewachsene Bevölkerungsstruktur gnadenlos aussiebt. Solidarität ist in solchen Vierteln ein abstrahiertes Luxushobby geworden und nicht mehr die konkrete Basis des Zusammenlebens.
Auf den ersten Blick hat Ruzafa in der letzten Dekade natürlich gewonnen. Farbenfrohe Fassaden aus der Gründerzeit um 1880 durchziehen die meist nach Ländern benannten Straßenzüge, dazu kreativ gestaltete Balkons mit vielen Pflanzen. Ein paar verfallene Ecken harren noch ihrer Renovierung, liefern Kontraste und einen letzten Gruß aus der schmuddeligen Zeit.
Die Geschäfte – Leerstand sieht man kaum – teilen sich auf in alteingesessene Tante-Emma-Läden, Halal-Geschäfte und eine Welt, die an den Prenzlauer Berg der 90er Jahre erinnert. Oder an eine unfreiwillige Parodie davon. In Ruzafa mit seinen 25.000 Einwohnern fin- den wir all diese verschiedenen Lebenskonzepte und Moden mit denen sich die Angesagten ihrer Epochen Lebenswelten nach ihrem Bilde modellierten. In Ruzafa sind sie gedrängt auf sehr kleinem Raum und wie im Zeitraffer zusammengefasst: Alles muss „ artesanal“sein, vom Fahrrad bis zu den Churros del autor – personalisiertem Spritzgebäck. Bioläden, Ökobäcker – natürlich mit einer großen Auslage an laktose-, zucker- und vor allem glutenfreiem Backwerk – Cafés mit bärtigen Hipstern als „ Baristas“, die uns den handgefilterten Single-SortedJahrgangs-Filterkaffee aus der kolumbianischen Hochebene nicht servieren, sondern auf einer neuen, ganzheitlichen Erfahrungsebene präsentieren wollen.
Der hier manifestierte Lebensstil ist eher spleenig als wirklich alternativ. Der Bobo (bohémien bourgeois) in Valencia unterscheidet sich weder im quasi uniformierten Äußeren, noch in seiner globalisierten Lebensphilosophie kaum von jenem in Paris, Berlin, Budapest oder Barcelona. Er kommt praktisch ohne Geographie aus. Man kann nur schwer sagen, was an Ruzafa valencianisch wäre.
Geheimtipp: Markthalle
Mit Ausnahmen wie dem großen Markt in der Mitte des gerade zwei Quadratkilometer umfassenden Viertels. Die Markthalle ist sein Zentrum und das pulsierende Herz. Die Preise sind nicht niedrig, aber deutlich günstiger als im touristisch belagerten Mercado Central. Die Markthalle wurde 1953 eröffnet und wirkt wie ein Möbelstück aus der Zeit der Nierentische und Furnierorgien. Angenehme Pastellfarben geben dem Platz einen in Stein gehauenen ultimativen Vintage-Look. Gegenüber noch mehr Retro: die Kirche San Valero y San Vicente Mártir.
Das Innere der Markthalle gleicht einem Vogelbauer, wo neben den einheimischen viele neue, bunte Vögel um Kundschaft zwitschern. Auch hier wird wieder viel
„ artesanal“feilgeboten, davon lobenswert viele regionale Marken. Allerdings findet man den Käse, die Embutidos oder Olivenöle in den Dörfern Valencias viel günstiger, nur nicht mit solch phantasievollen Kunstnamen und ländlich bedrucktem Butterbrotpapier umhüllt, einem Labeling, das die Preise vervielfacht. Doch ohne BioSiegel verkauft man hier heute keinen Blumentopf mehr.
Das hat auch Micaela erkannt, ihren Gemüsestand hat sie mit Girlanden aus Lauch und Petersilie behängt, hinter denen ein orthodoxer Patriarch wacht, als Kirchenmann auch ein Experte für florierende Geschäfte. Aus Moldawien oder Rumänien, so genau gibt sich Micaela nicht zu erkennen. „ Ich muss den Kunden jetzt immer öfter erklären, woher der Porree kommt“, lacht sie. „ Ich sage dann immer: vom Feld hoffentlich.“
Sterne und Vinyl
Das Café Ubik in der gegenüber dem Markt liegenden Calle Azorín ist nicht nur Kaffeehaus, sondern auch Kulturzentrum, Bühne, Lesecafé, permanente Bürgerversammlung und die urbanistische Kommandozentrale der Soja-Latte-Mütter. Gastronomisch hat das Viertel viel zu bieten aus dem ganzen lukullischen Spektrum: Sushi-Bars neben Craft-Beer-Braustuben mit schmerzhaft kreativen Namen wie Olhöps oder Ruzanovol. Konditoreien, deren Kreationen aus Feenstaub geformt scheinen, wie das „ Dulce de Leche“oder „ La Más Bonita“.
Der Michelin-Stern-Träger Quique Dacosta mit seiner „ Mercatbar“und Ricard Camarena mit dem „ Canalla Bistró“dekonstruieren die valencianische Küche zum Plaisier der zahlungskräftigen Zugezogenen Ruzafas. Ein paar Meter weiter gibt es einen Kebab für 2,50 Euro, der die These vom Berlin-Verschnitt bitter widerlegt. Die Nacht lädt in Clubs und Diskotheken wie das Nylon, Electropura oder das Play. Selbstredend alles Vinyl und informell.
Maurische Ursprünge
Erst 1877 wurde Ruzafa von Valencia eingemeindet. Der Name geht auf die Mauren zurück, ein reicher Händler soll sich im 9. Jahrhundert hier eine Gartenanlage mit Villa geschaffen haben, um die sich nach und nach mehr Familien ansiedelten. Diese lag damals zwei Kilometer von der Stadt Balansiya entfernt. Aus dieser Zeit sollen noch Fundamente unter einigen Häusern vorhanden sein. Ein im islamischen Kulturraum berühmter
Dichter und Mystiker nannte sich Al-Russafi, weil er hier 1117 geboren wurde, und schaffte es an den Hof von Granada. Seine Poesie ist heute Teil des literarischen Kanons von Al-Ándalus und die zwei städtischen Bibliotheken im Viertel tragen seinen Namen.
Die Basare der Neu-Araber, Teestuben mit Schischas wie man sie aus Granada kennt, beleben das Bild, freilich verhipstert, denn alles muss immer etwas ironisiert werden, wie es guter Ton ist in der Szene. Diese ist weitgehend un-, höchstens noch lokalpolitisch. Man findet Graffitis, einst Propaganda-Mittel der Unterprivilegierten. Heute heißen sie aber Street Art, haben einen eigenen Markt und Kuratoren und die gesprühten Forderungen nach mehr Terrassen für die Cafés, die „Leben bedeuten“, bleiben fast die einzige politische Äußerung, die dem Besucher geboten wird. Dabei gäbe es mehr zu schimpfen, nur immer weniger, die den Mund aufmachen. Dass sich ausgerechnet Ruzafa so gemausert hat, um bei dem Käfig voller Vögel zu bleiben, wo sogar Teile des Altstadtzentrums leerstehen, ist eine reine Frage der Effizienz. Das Preisniveau in dem zentralen Viertel war extrem niedrig und die verfallenen oder abgeliebten Häuser unterstanden viel weniger städtebaulichen Limitationen als die teilweise 500 Jahre alten Gemäuer der Ciutat Vella.
Feuchter Traum der Makler
Und so wurde die Legende vom angesagten „In-Viertel“Ruzafa auch nicht unwesentlich von Bauentwicklern und Immobilienmaklern vorangetrieben, die ihre Lofts im „Industriedesign“im „charismatischsten“Viertel Valencias in Hochglanzkatalogen anpreisen. Die Rechnung ging auf: Die Preise sind in den letzten Jahren explodiert, es werden um die 2.000 Euro pro Quadratmeter verlangt, in manchen Straßenzügen sogar 3.000. Die Mieten ziehen entsprechend mit, die Lebenshaltungskosten nach.
Mit dem Preisanstieg kam Airbnb. Es sind nicht nur knallhart kalkulierende Geschäftemacher, die gezielt Wohnungen kaufen und „couchsurfing“-gerecht umbauen. Einige vermieten aus Notwehr, um sich ihre teure Wohnung überhaupt leisten zu können. Andere werden verdrängt, ziehen weg, bald wird man die Teofilas nicht mehr auf der Parkbank ausruhen sehen, dafür springen dann mehr Lasse-Bertomeu, Thor-Ximo oder ChoanaLeias über das Pflaster. Nordische Götternamen valencianisch fusionieren, das ist tatsächlich gerade der letzte Schrei.
Die alternative Lebensweise, die Ruzafa ausstrahlen will, ist zum großen Teil genauso eine gekünstelte Hülle wie das karierte Hemd mit extrabreiten Hosenträgern aus dem Vintage-Laden. Doch das alternative Ruzafa gibt es noch. Die wichtigste Plattform, „Russafa resiste“– die valencianische Schreibweise ist schon ein Statement – beklagt die „verlorene Insel“und will den sozialen Aspekt der Umbruchsjahre bewahren, was aber einen Kampf gegen Windmühlen darstellt. Mit Glück werden sie den winzigen Park Manuel Granero als grünen Flecken retten können.
Karneval, Fallas und Co.
Immerhin: Der Karneval der Kulturen (23. Februar 2019), auch so ein Berlin-Franchise, wird jährlich für den guten Zweck ausgerichtet und auch bei den traditionellen Fallas (ab 15. März 2019), bei denen das Viertel praktisch zu 100 Prozent verkehrsberuhigt wird, lassen sich viele gemeinnützige Vereine sehen. Bei den Balkonaden Mitte April gibt man die Korruption der valencianischen Politikerkaste dem allgemeinen Gespött preis. Für ein paar Tage. Den Alteingesessenen hat man die Fiesta San Blas um den 3. Februar überlassen.
Nach einem langen Tag sehe ich den gestylten Barista aus dem „Bluebell Coffee“wieder. Er gönnt sich im Ubik einen Absacker. Und kein Scherz: In Ruzafa besäuft man sich sogar politisch korrekt. Auf dem Etikett der Flasche Rum prangt groß das blaugrüne Fair-Trade-Label. Der avantgardistische Kaffeebrüher streicht sich zufrieden durch den millimeterfein gestutzten Bart – natürlich ironisch gemeint.