Smarte Städte
Die Urlaubsmetropole Benidorm plant mit Hilfe neuer Technologien eine intelligente Touristendestination zu werden
Der Begriff Smart City geht um die Welt und macht auch vor der Costa Blanca nicht Halt. Die Touristenhochburg Benidorm wusste sich schon anzupassen, als sie noch ein Fischerort war. Jetzt stellt sie sich zur intelligenten Touristendestination um und rüstet sich mit Sensoren, intelligenten Bojen, IP-Kameras, Drohnen und vielem mehr aus.
Vernetzt und intelligent sollen sie sein: die Städte der Zukunft. Der zeitgemäße Begriff dazu: Smart Cities (intelligente Städte). Die Küstenortschaft der Costa Blanca Benidorm setzt nun noch einen drauf: Smart Playa (intelligenter Strand). Damit will es nicht nur eine Smart City, sondern ein intelligente Touristendestination, kurz DTI (destino turístico inteligente), werden und verspricht sich einige Vorteile davon.
Digitaler Wandel
Der digitale Wandel ist voll im Gange. Das „ Öl“, dass das Ganze am Laufen hält sind unzählige – die Rede ist von etwa 2,5 Trillionen Bytes täglich – Daten. Experten rechnen damit, dass bis 2020 jeder Bürger bis zu zehn vernetzte Geräte besitzen wird, darunter Smartphones, Tablets, Autos, Haushaltsgeräte. Und in den Städten werden Millionen von Senso- ren ihre Arbeit aufnehmen. Die Ära der Smart Cities hat begonnen
– dank Big Data, Internet of Things, 4 bald 5 G-Netzen.
Zum digitalen Wandel gesellt sich ein weiterer Trend: Urbanisierung. Laut einer UN-Studie werden bis zum Jahr 2050 über 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben. Zur Zeit gibt es 28 Mega-Cities mit mehr als zehn Millionen Einwohnern. 2030 sollen es doppelt so viele Mega-Cities sein. Als komplexe Ökosysteme, in welchen Menschen, Unternehmen, Infrastrukturen, Gebäude, Fahrzeuge, Geräte und Maschinen miteinander interagieren müssen, steigen damit die Anforderungen an die Städte. Die Folgen: Städte am Rande des Wahnsinns, angeheizt unter anderem durch Staus, überfüllte öffentliche Verkehrmittel, Hektik, Verspätungen, Parkplatzmangel, Vermüllung, schlechte Luft.
Akkordeon-Stadt
Was anfangs Probleme vieler Großstädte waren, bekommen nun auch kleinere Städte zu spüren, darunter Benidorm. Hauptauslöser: der enorme Anstieg saisonaler Touristenströme. Der Küstenort verzeichnet offiziell 66.642 Einwohner (Stand 1. Januar 2016). Je nach Jahreszeit kann dieser Wert auf etwa 400.000 Bewohner hochschnellen. Also etwa sechsmal so viel wie üblich. Bestes Beispiel ist Ostern. Treffend bezeichnet Luis Manuel García Felones, Leiter der Abteilung IT und Kommunikation der Stadt, Benidorm als „ Akkordeon-Stadt“.
In der Verwaltung ist man sich einig. Benidorm habe sich schon immer anpassen müssen und sei deshalb wegweisend vor allem in punkto Strandtourismus, national sowie international. Als attraktive Alleinstellungsmerkmale sieht die Stadt primär ihre Strände, die als „ Kronjuwelen“, bezeichnet werden. Hinzu kommt: Das überwiegend gute Mikroklima, das für laue Winter und mäßige Sommer, dank Meeresbrise, sorgt.
Benidorms Pioniergeist hat seinen Ursprung in einer bewegten Vergangenheit. Im 18. Jahrhundert war die heute so quirlige Tourismusmetropole ein ruhiger, kleiner Fischerort. Die Haupteinnahmequelle bestand aus dem Fischfang. Erster nennenswerter Touristenanreiz war das Heilbad Virgen de Sufragio im 19. Jahrhundert. Mit dem Bau erster Chalets am LevanteStrand wurde 1925 begonnen. Als dunkles Jahr ging dann 1952 in die Geschichte Benidorms ein. Die wichtigste Thunfischfangflotte stellte ihre Tätigkeit aufgrund mangelnder Fangquoten ein. Bürgerkrieg und Diktatur taten ein Weiteres. Mit dem Ende des Fischfangs brach der dominierende Wirtschaftssektor weg – mit fatalen Folgen für Arbeiter und Fami-
lien. Alternativen zum Fischfang mussten her.
Es war die Geburtsstunde des Strand-Tourismus. In der neuen Tourismusstrategie sowie im Städtebau sollte das Meer der Protagonist sein. 1956 hob Bürgermeister Pedro Zaragoza die Höhenbeschränkung für Gebäude auf. Gesetzt wurde auf das „ vertikale Modell“, allerdings mit viel Freiraum, um „ Licht und Meerblick“garantieren zu können. Bis heute hält Benidorm an diesem urbanistischen Modell fest, obwohl das Bild der vielen Wolkenkratzer immer wieder mal für Diskussion sorgt. Nichtsdestotrotz soll das
„ vertikale Modell“nachhaltiger als das „ expansive horizontale Modell“– wie es beispielsweise Jávea, Torrevieja und Dénia pflegen
– sein. Als Begründung werden geringere Instandhaltungskosten und Asphaltierung, bessere Trinkwasserversorgung, weniger Umweltbelastung, bessere Anbindungen und Mobilitätsmöglichkeiten genannt.
Benidorm im digitalen Wandel
Nun will sich Benidorm einmal mehr anpassen: an globale Trends, größere Touristenströme und eine neue Art von Touristen, die ständig und überall vernetzt und interaktiv sein wollen. „ Das erfordert andere Dienstleistungen“, so ITExperte Felones. Die Technologie soll helfen. Benidorm strebt danach, die weltweit erste zertifizierte intelligente Touristendestination (destino turístico inteligente, kurz: DTI) zu werden. Für diesen Zweck enthält der Stadtmobiliarsvertrag, der am 31. Oktober diesen Jahres ausläuft, bereits Spezifikationen über technologische Elemente wie interaktive Anzeigetafeln (Mupis), 4G oder Glasfaser.
Wie jede Stadt, generiert Benidorm täglich unzählige Daten und damit Informationen über Menschen. Diese sollen nun unter anderem mittels smarter Sensoren, Kameras, Bojen und Drohnen abgefangen, zusammengeführt und analysiert werden. Die Auswertung der Daten erlaube effizientere Entscheidungen, so die Stadtverwaltung.
Dass es Benidorm ernst ist, beweist auch, dass es im Komitee saß, als es darum ging, der Norm UNE 178501 eine Form zu geben. Diese behandelt die Regulierung von smarten Tourismusdestinationen. Gefördert wird das Projekt von Red.es, eine Initiative des Ministeriums für Wirtschaft und Unternehmen, das für die Koordination und Bearbeitung der Fördergelder aus der EU verantwortlich ist.
Die „ intelligente Touristendestination“soll auf drei Säulen stehen: 1.) Nachhaltigkeit. Benidorm, Gandía und Benicàssim werden die ersten intelligenten Playas haben und einen richtungsweisenden Plan zur Eindämmung des Klimawandels erarbeiten.
2.) Barrierefreiheit. Barrierefreier Tourismus ermöglicht, dass auch Menschen mit körperlichen, geistigen oder sensorischen Behinderungen ihren Urlaub genießen können.
3.) Innovation und Technologie. In der Stadt sowie an den Stränden werden verteilte Sensoren Daten in Echtzeit aufzeichnen und weiterleiten. Ebenso werden das netzwerkfähige Geräte wie Maschinen, Autos oder Smartphones tun. Der Sammelbegriff dazu: Internet der Dinge. Kurz: IoT (Internet of Things). Die Unmengen von anfallenden Daten werden mit einer Big Data Software verarbeitet, analysiert und visualisiert. Eine weitere Schlüsselrolle zur Optimierung der Abläufe kommt der Künstlichen Intelligenz (kurz: KI) zu. Letztendlich bieten dann Open Data Portale oder Apps Serviceleistungen an wie: „ Wo findet ich den nächsten freien Parkplatz?“
Benidorms Liste für eine „ intelligente Touristendestination“ist lang. Manches gibt es schon, wie die Drohne der Ortspolizei, die bereits seit 2016 in Benidorms Stränden und Buchten patrouilliert. Mit ihr können gefährdete Schwimmer erkannt, Notfallwarnungen bestätigt, treibende Boote identifiziert oder Rauchspuren nachgegangen werden. 30 Netzanschlussstellen sorgen dafür, dass 20.000 User gleichzeitig das kostenlose Wlan in der Altstadt und an den Stränden nutzen können. Und auch dem Trend E-Mobility kommt man nach. Mit vier öffentlichen Aufladestationen für Elektroautos ist Benidorm führend in der gesamten Region Valencia.
Demnächst wird mit großer Wahrscheinlichkeit das Unternehmen Aquambiente die Kläranlage Benidorms betreiben. Die Firma hebt sich von ihren Mitstreitern ab, indem es die Wiederverwendung und Nutzung der Wasserressourcen voranzutreiben weiß.
Davon wird die Landwirtschaft profitieren. Des weiteren will Aquambiente eine intelligente Steuerungsplattform implementieren, um Verluste zu reduzieren. Photovoltaikanlagen sind für das Laden von Fahrzeugen vorgesehen und Biogas, das bei der Behandlung des Schlamms entsteht, könnte mit einer speziellen Anlage zu Biomethan umgewandelt werden.
Weitere Punkte auf Benidorms Smart-Liste sind: Strand-Monito- ring in Echtzeit via IP-Kameras mit fünf integrierten Funktionen: 1.) Überwachung von Abwässern in Badegewässern. 2.) Erkennung der Strandbelegung. 3.) Vorhersage der stündlichen Entwicklung der Strandauslastung. 4.) Lokalisierung gefährlicher Zonen für Badegäste wie zum Beispiel Unterströmungen. 5.) Unterstützung bei der EchtzeitErkennung von gefährlichen Situationen als Orientierung für Strandrettungsdienste. Die IP-Kameras werden an neun Kontrollpunkten installiert: Zwei am Levante Strand, drei am Poniente Strand, eine am Malpas-Strand, jeweils eine in der Tio Ximo und Almadrava-Bucht sowie bei der Kläranlage.
Für das Qualitätsmanagement der Badegewässer werden intelligente Bojen zuständig sein. Diese werden Boote überwachen, die die Qualität des Wassers analysieren und das Vorhandensein von schwimmenden Objekten oder lebenden Organismen wie Quallen erkennen. Vorgesehen ist jeweils eine Boje am Levante- sowie am Poniente-Strand. Zusätzlich werden beide Strände über Wetterstationen verfügen, die Windgeschwindigkeit und -richtung, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Taupunkt, Druck, Niederschlag, UVIndex und Feinstaub messen.
Eine Sonnenschutz- und Diagnosekabine soll über die gesundheitlichen Risiken von zu viel Sonneneinstrahlung aufklären. Hintergrund ist die Zunahme von Hautproblemen wie Sonnenbrand, Erythmen, Hautalterung und Hautkrebs. Individuell kann der jeweilige Hauttyp bestimmt werden und damit der korrespondierende Mindestschutzfaktor. Auch die ultraviolette Strahlung wird erfasst.
Um Touristen sowie Einheimi- sche auf dem Laufenden zu halten, werden digitale interaktive Anzeigetafeln (Mupis) sowie Infosäulen installiert. Letztere senden Informationen zu kulturellen Veranstaltungen oder anderen Angeboten direkt via Bluetooth aufs Smartphone. Um herauszufinden, wie es um die Luft in der Stadt steht, messen Umweltsensoren den Gehalt von Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Stickoxide und Feinstaub. Ein intelligentes Parksystem wird freie Stellplätze anzeigen. Vorgesehen ist dieser Dienst für 400 Parkplätze.
Das ist erst der Anfang. Wenn Autos miteinander kommunizieren, Smartphones die Laufwege von Menschenströmen analysieren und Sensoren alles und jedes messen, gehören viele Alltagsprobleme der Vergangenheit an. Das ist zumindest das, was man sich von einer Smart City erhofft.
Multifunktionales Strand-Monitoring mit Hilfe von IP-Kameras