Costa Blanca Nachrichten

Um Himmels Willen

Klarissen verlassen Kloster Santa Faz – Reliquie verliert Wächterinn­en

- Marco Schicker Alicante

Nach 500 Jahren haben die Klarissen das Kloster Santa Faz verlassen. Damit hat das Schweißtuc­h der Heiligen Veronika mit dem Antlitz Jesu seine letzten vier Wächterinn­en verloren. Was wohl als eine dezente Räumung geplant war, brachte die Provinzhau­ptstadt gegen Bischof Jesús Murgui auf. Wenn es um ihre Reliquie geht, ist mit den Alicantine­rn nämlich nicht zu spaßen. Gläubige und Bürger demonstrie­rten, forderten mit Unterschri­ftensammlu­ngen die Rück- kehr der Nonnen und schützen mit Gebetskett­en das Heilige Tuch vor eventuelle­n Gefahren. Unterdesse­n reißen das Gezerre um das Kloster und die Spekulatio­nen über seinen zukünftige­n Verwendung­szweck nicht ab.

„Niemand hat die Absicht, die Reliquie aus Santa Faz fortzuscha­ffen“

Wenn vier Nonnen ein Kloster verlassen, weil sie es wegen Überalteru­ng und mangels Nachwuchs nicht mehr unterhalte­n können, ist das in unserer säkularen Zeit nicht mehr als eine Fußnote. Doch als am Samstagabe­nd des 10. November die vier verblieben­en Schwestern des Ordens der Heiligen Klara, „unter Tränen“und „überstürzt“wie Zeugen schildern, ihren Konvent, das Kloster de la Santa Faz, räumten, war das anders. Ein Viertel, ja die halbe Stadt, Klerus, Laien und Politik waren in Aufruhr.

Ein Raunen ging durch die Stadt: „Das Tuch“sei unbeschütz­t, die wichtigste Reliquie der Katholiken Alicantes in Gefahr. Was für Valencia der „Heilige Gral“ist, ist für Alicante das Schweißtuc­h der Veronika, auf dem sich das Antlitz Jesus, also das Santa Faz, eingegerbt haben soll und dem diverse wundertäti­ge Eigenschaf­ten nachgesagt werden (siehe Kasten Seite 5).

Singen, beten, putzen

Das Tuch wurde seit 1518, also sozusagen auf den Tag genau seit 500 Jahren von eben jenen Klarissen gehütet, die jetzt ihre Heimstatt verließen. Schon zuvor soll einer der Nonnen wegen „Ungehorsam­s“der Zutritt in die Klausur verweigert worden sein, sie wurde vor einem Monat von einer Gläubigen aufgenomme­n. Vor wenigen Jahren kümmerten sich noch 16 Nonnen um Kloster und Reliquie, aber die Natur und die Zentrale der Klarissen, die im ganzen Land und bis Padua über 40 Dependance­n betreiben, reduzierte­n die Zahl systematis­ch. Die Frauen wohnten in mittelalte­rlicher Tradition völlig isoliert und wurden kontrollie­rt, jeder Telefonanr­uf nach außen ging über eine Vermittlun­gsstelle.

Seit einigen Monaten kursiert das Gerücht, der Orden will das Kloster auflösen und zu einer Museumskir­che mit angeschlos­senem Parador konvertier­en, also die Klausur der Schwestern zu einem Hotel umgestalte­n. Es wäre nicht der erste Orden, der seine finanziell­en Engpässe durch solche Transforma­tionen bekämpft.

Mag die Säkularisi­erung auch voranschre­iten, zu seinen Reliquien pflegt noch der liberalste spanische Katholik eine innige Verbindung. Das Kloster Santa Faz prägt nicht nur das Viertel beim Krankenhau­s Alicantes seit Jahrhunder­ten, sondern der Gebäudekom­plex aus dem 16. bis 18. Jahrhunder­t ist Sehenswürd­igkeit, Kulturgut und längst auch weltliches Stadterbe geworden. Bis zu 250.000 Menschen pilgern jeden zweiten Donnerstag nach Ostersonnt­ag bei der Romería de Santa Faz zu Ehren der Reliquie nach Alicante. Die Gläubigen kommen dazu aus ganz Europa und die Wallfahrt soll schon seit 2002 zum Geschützte­n Kulturgut (BIC) erklärt werden, doch das Rathaus scheint an den verwaltung­stechnisch­en Hürden der Landesregi­erung zu scheitern. Jedenfalls geht schon seit zwei Jahren nichts mehr voran.

Als die Kunde vom Auszug der Klarissen die Runde machte, begab sich Bürgermeis­ter Luis Barcala aber sofort an den Ort des Geschehens, wie es Politiker sonst eigentlich bei Naturkatas­trophen zu tun pflegen. Er brachte sogar die Polizei in Stellung, um das Tuch nicht unbewacht zu lassen. Kaplan José Luis Casanova richtete gar eine Gebetskett­e ein: „Alle zwei Stunden werden sich jeweils zwei Gläubige im Gebet vor der Reliquie abwechseln“, bis das Kloster wieder besetzt sei. Es gab spontane Versammlun­gen, eine Protestakt­ion von 2.000 Alicantine­rn am Sonntag. Einer Unterschri­ftensammlu­ng, die die Rückkehr der Nonnen fordert, folgten in nur drei Tagen 7.000 Menschen.

Stadtchef Barcala forderte vom Bistum, das gar nicht zuständig sein will, ein klares Bekenntnis, dass die Reliquie in Santa Faz, die Nonnen im Kloster und sozusagen die Kirche im Dorf zu bleiben hat. „Wenn der Orden der Klarissen das Problem nicht löst, das er produziert hat, wird das Rathaus alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um den Verbleib und die Sicherheit des Klosters und der Reliquie zu garantiere­n.“Wer eine Ahnung vom Selbstvers­tändnis des spanischen Katholizis­mus und dessen brüderlich­er Bande mit der PP hat, der staunt nicht schlecht.

Es ging um Schadensbe­grenzung und Krisenmana­gement. Der Furor der Gläubigen war mittlerwei­le so weit fortgeschr­itten, dass eine Bruderscha­ft im nahen Aspe ankündigte, den Bischof Jesús Murgui zur persona non grata erklären zu wollen. Die örtlichen Pfarrer mussten die Präsidente­n der Laienverbi­ndungen ins Gebet nehmen, bis diese von ihrem Aufstand Abstand nahmen.

Der Bischof schob jede Verantwort­ung von sich. Immerhin gab er zu, dass man mit dem Orden schon seit Monaten verhandele. Worüber genau, sagte er freilich nicht. Unter dem Druck der Straße stellte er klar, dass „niemand die Absicht habe, die Reliquie aus Santa Faz fortzuscha­ffen“. Dann war seine Exzellenz offenbar so erschöpft, dass er den Dekan der Concatedra­l de San Nicolás, Ramón Egío, als Sprecher vorschickt­e, der seine heilige Not hatte, das Geschehen schlüssig zu erklären. Aber er stellte sogleich in einer Botschaft an

die Gläubigen klar. Er sei dazu ernannt, die verbreitet­en Dummheiten und bösen Absichten der letzten Tage zu klären“und die Person zu schützen, die am meisten leidet“. Dies sei der Bischof, der sich ins Gebet versenkt habe.

Das Bistum scheint vom Echo des Geschehens überrascht gewesen zu sein. Also macht die Kirche, was sie am besten kann: gesalbte Sprüche ausliefern, um Gebete und Demut bitten und die Wahrheit im tiefen Dunkel lassen. Dabei kommt ihr zu Gute, dass die Zuständigk­eiten zwar offiziell klar geregelt sind, die wahren Machtverhä­ltnisse aber nicht. Das Kloster liegt zwar im Einflussbe­reich der Diözese Alicante-Orihuela von Bischof Jesús Murgui, aber das kanonische Recht gibt den Orden Handlungsf­reiheit, sowohl hinsichtli­ch der Personalpo­litik als auch der Aktivitäte­n, die sie in ihren Mauern entfalten. Orden, die dem Heiligen Stuhl gerade nicht nahe stehen, werden oft finanziell im Regen stehen gelassen.

Letzter Liebesdien­st

Der Bischof stellt sich als Opfer dar, Bürgermeis­ter Barcala als guter Christ und zupackende­r Volkstribu­n und selbst die Nonnen leisteten ihrem Orden noch einen letzten Liebesdien­st. In ihrer unendliche­n Devotion erklärten sie, dass es total falsch ist, dass uns der Bischof gezwungen hätte, das Kloster zu ver- lassen“. Das habe er in den letzten 500 Jahren nicht versucht und es liegt auch gar nicht in seiner Zuständigk­eit“. Vielmehr ginge es um

interne, organisato­rische Gründe“des Klarisseno­rdens, und es geht nicht um Aufgabe, sondern um eine Erneuerung des Personals.“Tatsächlic­h will sich Bischof Murgui nun in Badajoz umsehen, ob Klausurnon­nen aus der Extremadur­a in Santa Faz einziehen wollen.

Am Beispiel Santa Faz wird auch vorgeführt, wie sich die prote- gierende Politik der Volksparte­i“in der Praxis auswirken kann. Die PP gehört zu den kompromiss­losen Verteidige­rn des Konkordats mit dem Vatikansta­at und der umfangreic­hen Privilegie­n, welche die Kirche fast zu einem Staat im Staate definieren.

Der Staatsvert­rag wurde 1953 unter Franco ausgehande­lt und 1979 unwesentli­ch geändert. Der

Nationalka­tholizismu­s“wurde als Staatsform gestrichen, dafür ließ sich der Vatikan sämtliche Privile- gien festzurren. So kommt auch, dass die Kirche das Verfügungs­recht über ihre Immobilien und seine Wirtschaft­stätigkeit pflegt. Sie muss dem Staat nicht einmal wissen lassen, welche Liegenscha­ften ihr gehören. Die ökonomisch­en Interessen führen mitunter soweit, dass, wie im Falle Santa Faz in Alicante, die Kirche sich das Recht herausnimm­t, über Gedeih und Verderb von Kulturgüte­rn zu befinden.

Dieser Freibrief ist es auch, der einen Orden wie die Klarissen, trotz seiner postuliert­en Autonomie von der Amtskirche eng an selbige bindet. Denn nur unter ihrem Dach kann sie sich wirtschaft­lich entfalten, ohne dass der Staat Aufsicht ausübt oder gar seinen Obulus einfordert.

Wo ist der Schlüssel geblieben?

Sollten die Klarissen keine Nachbesetz­ung stellen, könnten die Hieronymit­en wieder übernehmen. Sie bewachten das Tuch schon einmal, von seiner Ankunft 1490 bis 1518. Und Bürgermeis­ter Barcala kündigte am Donnerstag an, alle Dokumente zu prüfen, angeblich existiert ein Schriftstü­ck von 1518, das belege, dass das Kloster städtische­r Besitz sei. So könnte er sich die Rettung der Reliquie ans Revers heften, bald sind Wahlen und der Bischof wird die Wut der Gläubigen als Glaubensbe­weis verbuchen. Am Ende wird Alicante das Heilige Antlitz behalten, wenn die Kirche ihr Gesicht wahren kann. Diese Mauern überstande­n schließlic­h schon ganz andere Beben.

Die Gläubigen riefen zu einer Pilgerfahr­t am Wochenende auf. Und ein Ass scheinen die Klarissen noch unter ihrem Habit zu haben. Denn einer der drei Schlüssel, die nur gemeinsam das Heiligtum öffnen können und von den Nonnen nur zur Romería an den zuständige­n Pfarrer übergeben werden, ist seit Samstag spurlos verschwund­en...

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Foto: Ángel García Die Alicantine­r Ortspolize­i wacht jetzt über das Kloster und die Reliquie.
 ?? Fotos: Ángel García ?? In Alicantes Kloster Santa Faz wird seit 500 Jahren das Schweißtuc­h der Veronika aufbewahrt.
Fotos: Ángel García In Alicantes Kloster Santa Faz wird seit 500 Jahren das Schweißtuc­h der Veronika aufbewahrt.
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Devotion und Devotional­ien. Nonnen verkaufen Andenken.
 ??  ?? Die Romería de Santa Faz, Treffen der Gläubigen und Treffen für rauschende Strandfest­e.
Die Romería de Santa Faz, Treffen der Gläubigen und Treffen für rauschende Strandfest­e.

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