Ruf nach Gleichheit
Feminismus, Frauenrechte und Forderungen: Reflexionen zum Tag gegen die Gewalt an Frauen am 25. November
43 Frauen sind in diesem Jahr von ihrem (Ex-)Partner umgebracht worden. Die düstere Statistik verdeutlicht, dass für die Gleichberechtigung noch viel getan werden muss. Angesichts des Tags gegen die Gewalt an Frauen für die CBN ein Grund, um zu hinterfragen, wie es um die Frauenbewegung bestellt ist.
Spanien ist weltweit eines der fortschrittlichsten Länder, wenn es darum geht, die Gleichheit der Geschlechter zu fordern und das, obwohl es mit der kollektiven Frustration leben muss, dass im Schnitt alle fünf Tage eine Frau Opfer der Häuslichen Gewalt wird. An sie und alle, die unter physischer oder psychischer Gewalt leiden, wird am 25. November im Rahmen des Tags gegen die Gewalt an Frauen erinnert. In diesem Jahr sind in Spanien nach offiziellen Angaben 43 Frauen von ihren Partnern oder Expartnern ermordet worden. Die düstere Statistik führt Andalusien mit zwölf Opfern an, im Land Valencia wurden zwei Frauen ermordet.
Der Protagonismus der Frauenbewegung in Spanien und der Erfolg ihrer Forderungen ist eng verknüpft mit der tiefen Wirtschaftskrise, die die Gesellschaft in den vergangenen zehn Jahren durchlebt hat, und deren politischen Folgen: der 15-M-Bewegung und dem Hereinbrechen von Podemos in die öffentliche Szene.
Die Gender-Spezialistin Sílvia Claveria erklärt in ihrem Buch
Der Feminismus ändert alles“, dass während der Krise neue Erwartungshaltungen geboren wurden und sich eine neue Gelegenheit ergab, von Null anzufangen. Für Claveria ruht die spanische Führungsrolle in dieser Materie auf drei Pfeilern: der Wirtschaftskrise, der Krise der Zukunftsaussichten sowie den neuen Medien.
Von den beiden ersten hat Spanien eine Überdosis abbekommen, vielleicht gingen deshalb Millionen von Spanierinnen am vergangenen 8. März auf die Straße, während andere Länder in Nord- und Zentraleuropa, eingelullt von ihrem wirtschaftlichen Wohlstand, den sozialen Frieden mit der Abwesenheit von Machismo verwechselten.
Wenn jede Generation aufs Neue die Gelegenheit hat, die Spielregeln zu ändern, dann besteht kein Zweifel, dass die vierte Feminismus-Welle, die gerade wie ein Tsunami über die Küste hereinbricht, die Dinge verändern wird. Es handelt sich logischerweise um eine junge Bewegung, die auf der Fähigkeit beruht, zu mobi- lisieren, zu organisieren und die Frauen aus aller Welt über das Internet miteinander in Verbindung zu bringen.
Die drei ersten Wellen
Die vier Feminismus-Wellen stehen für die vier großen Impulse in der Geschichte der Menschheit, bei denen Frauen mehr Rechte für sich einforderten. Die erste war äußerst modern, denn sie geht zurück bis in die letzten Jahre des 18. Jahrhunderts und reduziert sich auf gerade einmal zwei Namen: die Französin Olympe de Gouges und die Engländerin Mary Wollstonecraft. Erstere war eine Schriftstellerin und Frauenrechtlerin, die 1791 Mensch und Bürgerin. Die Rechte der Frau“schrieb, im Kontext der Französischen Revolution, die für sie eine Revolution von Männern für Männer war. Sie en- dete zwei Jahre später auf der Guillotine.
Mary Wollstonecraft war eine englische Schriftstellerin, die 1792 Die Verteidigung der Frauenrechte“schrieb, einen Text, in dem sie nicht nur politische und soziale Gleichheit verlangte, sondern auch Geschlechter-Stereotypen kritisierte und eine Gleichheit in der Erziehung forderte. Sie starb 1797 mit 38 Jahren, bei der Geburt ihrer zweiten Tochter Mary Schelley, spätere Autorin des Romans Frankenstein“.
Die zweite Welle war mehrheitlich angelsächsisch, liberal und von den Sufragetten angeführt. Ihre Hauptforderung: das Wahlrecht für Frauen. In den Vereinigten Staaten Mitte des 19. Jahrhunderts merkten die Upper-Class-Damen, die in politischen Versammlungen für die Abschaffung der Sklaverei eintraten, dass sie das, was sie für die Schwarzen wollten Freiheit und Wahlrecht selbst nicht hatten. Die Sklaven erreichten dies 1866, und sie im Jahr 1922. In der konservativen Schweiz erhielten die Frauen 1971 das Wahlrecht.
Die „Bibel“des Feminismus
Die dritte Welle rollte 1949 mit der Veröffentlichung der Bibel“des modernen Feminismus heran: dem Buch Das andere Geschlecht“der Existenzphilosophin Simone de Beauvoir, in dem sie die Gleichstellung der Frau in allen Lebensbereichen suchte. Zeitgenössisch wagte es Aleksandra Kollontai in der Sowjetunion, die Sozialisierung der Hausarbeit und der Kindererziehung zu fordern, um nicht mehr die Arbeiterinnen der Arbeiter“zu sein.
Nicht nur der Marxismus kehrte dem Feminismus den Rücken und hinterließ ein eigentümliches Erbe in patriarchalischen und in Genderfragen sehr rückständigen Gesellschaften wie den osteuropäischen Ländern, China, Kuba und anderen. Alle Bewegungen, die Rechtsgleichheit und Menschenrechte forderten, haben Menschen“immer mit Männern“verwechselt: die Attische Demokratie, die Französische Revolution, die Freiheits- und Anarchiebewegungen im Spanischen Bürgerkrieg und andere.
Der Schatten dieser dritten Welle erreichte die meisten westlichen Länder und sie endete damit, dass Frauen die sexuelle Freiheit und Rechte über die Kontrolle der Fortpflanzung, wie etwa die Abtreibung, erhielten.
Der Feminismus der aktuellen vierten Welle ist jener der Globalisierung, und er zielt darauf ab, in den demokratischen und reichen Ländern von der gesetzlichen Gleichheit in eine reale überzugehen, ohne dabei den Kampf gegen
die niederträchtigsten Formen von Gewalt aufzugeben, unter der Frauen in der ganzen Welt leiden: sexueller Missbrauch von Mädchen, Gewalt in Zusammenhang mit Zwangsehen, Vergewaltigung in der Ehe, Ablation, ungesühnte Massenmorde an Frauen, etc.
In Spanien setzte die Welle früh ein, im Jahr 2004, als die Regierung Zapatero das Gesetz gegen Häusliche Gewalt verabschiedete und damit vielen europäischen Ländern mit einer längeren feministischen Vergangenheit um mehr als eine Dekade voraus war.
In Deutschland werden im Gegensatz zur Wahrnehmung seiner Einwohner dreimal mehr Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet als in Spanien (im Jahr etwa 150 Opfer in einem Land, das doppelt so viele Einwohner hat wie Spanien). Die Medien dort zeigen sich passiv oder apathisch, wenn es darum geht, solche Nachrichten zu veröffentlichen, und übermitteln häufig den falschen Eindruck, es sei ein Problem ethnischer Minderheiten und Immigranten. Die deutsche Regierung veröffentlicht erst seit zwei Jahren diese Statistik, eine nicht nachvollziehbar späte Reaktion, wenn man bedenkt, dass seit Beginn des 21. Jahrhunderts mehr als 2.500 Frauen auf deutschem Boden unter solchen Umständen ermordet worden sind.
Die unerträglichen und beschämenden Opferzahlen ziehen sich durch ganz Europa, von Nord nach Süd und von Ost nach West, ohne dass jemand dem anderen Lektionen erteilen könnte. Eine Tatsache, die man im soziologischen Labor der Costa Blanca überprüfen kann, ein Ort, an dem eine europäische Residentengemeinde mit einer von nationaler und internationaler Immigration geprägten Gesellschaft zusammenlebt. Die Provinz Ali- cante, eine von 50, hatte in einigen Jahren zehn Prozent der Opfer von Häuslicher Gewalt in Spanien zu beklagen. Die Nationalität der Täter ist dabei so divers wie die soziolo- gische Realität: Spanier, Deutsche, Briten, Belgier, Franzosen, Iren, Argentinier, Marokkaner, Ecuadorianer, Algerier und andere.
Laut dem Statistikinstitut Eurostat werden in der Europäischen Union jedes Jahr 200.000 Sexualverbrechen angezeigt, 80.000 davon Vergewaltigungen. Die höchs- ten Zahlen finden sich in den Ländern mit einer größeren Gleichheit zwischen Mann und Frau, in den anderen werden die Aggressionen gar nicht erst angezeigt, weil die Opfer den Eindruck haben, dass die Ermittlungen zu nichts führen und sie selbst auch noch stigmatisiert werden.
Doch nicht nur die schweren Verbrechen zeichnen ein erschütterndes Panorama. In den vergangenen Jahren hat der globalisierte, westliche Feminismus hunderte Mikromachismen“aufgedeckt, die Millionen Frauen auch in hochentwickelten Ländern schaden.
Die Liste ist endlos: die Einkommensschere, sexistische Erziehung, die Hypersexualisierung des weiblichen Körpers in der Gesellschaft, die patriarchalische Organisation der öffentlichen Räume, das Missverhältnis der Geschlechter in Politik und Führungspositionen, die Unsichtbarmachung von Frauen in wissenschaftlichen und technologischen Sektoren, das mansplaining“die männliche Gewohnheit, Frauen Dinge in einem väterlichen Ton zu erklären, das manterruption“wenn Männer Frauen ständig unterbrechen und das Gespräch an sich reißen, die Verdinglichung des weiblichen Körpers in der Pornografie, die Ungleichheit beim Ausführen der Hausarbeit und Pflege von Angehörigen, die ungleiche Verteilung der mentalen Belastung“sich also daran zu erinnern, wann Zahlungen und Überweisungen zu leisten sind, ob Termine beim Arzt oder in der Schule der Kinder anstehen etc., die gläserne Decke die unsichtbare Barriere von Frau- en auf der Karriereleiter, der gläserne Abgrund oder Glass Cliff“
wenn einer Frau in sehr schwierigen Zeiten und aussichtslosen Möglichkeiten die Führungsposition in Unternehmen oder politischen Parteien angeboten wird.
An all dies sollte man erinnern, jedes Mal, wenn der Postmachis- mo ein modernerer und politisch korrekterer Machismo, der aber denselben Eifer an den Tag legt, den Feminismus lächerlich zu machen und seine Vertreterinnen als hysterisch, utopisch und weiblichkeitsfanatisch abtut die arglistige Frage stellt: Was wollen die Frauen denn noch?“
In Deutschland werden dreimal mehr Frauen von ihren (Ex-)Partnern ermordet als in Spanien