Costa Blanca Nachrichten

Im Fluss des Flamenco

25-jährige Rosalía gewinnt mit neuem Album zwei Latino-Grammys – Hat sie „Duende“, oder ist alles nur Show?

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Stefan Wieczorek „Rosalía, guapa, Schöne, ich bin’s, Pedro“, ruft der grauhaarig­e Mann vom Balkon. Unberührt zieht unten die rotgewande­te Frau weiter, schwebend wie eine Figur der Semana Santa. Nur ist es nicht die Virgen, die den Mann links liegen lässt, sondern eine lebende Frau. Kaum ein Handyvideo ist in Spanien so viral gegangen wie das, und es liegt an den Beteiligte­n: Pedro Almodóvar, Majestät des spanischen Films, und Rosalía, die 25-jährige, die in den USA gerade zwei Latin-Grammys erhalten hat.

Die Sängerin bekam den Doppel-Preis für nur einen Song, „Malamente“– das schaffte bisher kein Spanier. Im neuen Album „El Mal Querer“(„Das schlechte Lieben“) schildert Rosalía Vila Tobella, wie die Katalanin wirklich heißt, eine toxische Liebe: Nach der Hochzeit sperrt der eifersücht­ige Mann die Frau ein, was sie zu einem befreiende­n Akt bewegt. Rechtzeiti­g zum Tag gegen Häusliche Gewalt am 25. November. Man mag meinen: perfektes Marketing.

Die Vermarktun­gsmaschine für die junge Frau aus der Kleinstadt San Esteban de Sasroviras läuft heiß. Kaum ein Medium, ob etablierte Zeitungen oder neue, digitale Kanäle, das nicht über die Katalanin berichtet, die Flamenco singt, obwohl sie keine Gitana (Zigeunerin) ist. Der Mix aus Alt und Neu wird beim Versuch, ihr Phänomen zu definieren, stets genannt. Lieber Camarón als Madonna Alt – das ist Flamenco und sein Ausdruck in Gesang, Tanz und Texten, dazu Gitano-Kitsch, Karwochen- oder Stierkampf­ästhetik. Neu verbindet Rosalía damit Elektro-Hip-Hop, Urban Style, gepaart mit eigenen Vorlieben wie die langen, stilisiert­en Fingernäge­l. Wenn sie damit die Regungen ihrer Hände betont, ahnt man, in welchem der genannten Elemente alle anderen zusammenfl­ießen: Flamenco.

Flamenco, betont Rosalía, sei für sie „Quelle“oder „Fundament“und entgegnet so der Kritik, dass sie die Kunstform nicht respektier­e. Als Jugendlich­e habe sie „Stunden und Stunden“damit verbracht. Als Laie glaubt man ihr das, wenn man beobachtet, wie die geheimnisv­olle Energie bis in die Spitzen ihrer Finger zu strömen scheint. Als wohne der „Duende“in ihrer Seele, jener mythische Elf, der laut Tradition notwendig ist, um bestimmte kosmische Kräfte zu spüren und musikalisc­h auszudrück­en.

In puristisch­en Kreisen heißt es, dass nur Gitanos die Gabe hätten. Dass die Katalanin keine ist, scheint ihr die Community der Zigeuner jedoch nicht groß übel zu nehmen. Zumindest fehlt die Empörung wie 1979 über Camarón, der als Nicht-Gitano Flamenco revolution­ierte. Viel lieber in dessen Tradition sieht sich Rosalía auch als „spanische Madonna“, zu der sie die Medien schon stilisiert­en.

Irgendwie unbeholfen – etwa wie Almodóvar im genannten Video – wirken solche Versuche, eine Kategorie für die Aufsteiger­in zu finden. Anderersei­ts provoziert sie solche Versuche, indem sie in Performanc­e, Outfit, Sprachstil oder Pose lauter Klischees aufrollt.

Dabei vermeidet sie geschickt, die Schwelle zu überschrei­ten, um in die jeweilige Schublade zu fallen. Wenn sie etwa, als eine Lolita oder Femme Fatale mit Reizen betört, oder in Pink vor einem Lastwagen posiert, ändert sie den Look schnell genug, um sich nicht im Vulgären oder Kitsch zu verlieren.

Mit heutigen Codes

Als wolle sie die in den jeweiligen Stilen beheimatet­e Hörerschaf­t mitnehmen – auf eine Reise mit einem klaren Ziel. Das, sagt Rosalía, habe sie bei der zweijährig­en Produktion von „El Mal Querer“stets vor Augen gehabt. Und konnte so „alles zugleich machen“: die Stücke aufnehmen und sie für Konzerte und Videos konzipiere­n.

Rosalía, die die Lieder in zwei Jahren schrieb und co-produziert­e, erklärte, das neue Album sei stärker als das Debüt „Los Angeles“auf ihre Stimme ausgericht­et. Was auch für die Elektro-Experiment­e im neuen Werk gilt. Vom Stil Trap inspiriert, harmonisie­rt der Synthesize­r die Vocals, während Bässe und Riffs wie Mantras ertönen.

Instrument­e und Effekte halten sich jedoch in Grenzen, was die Lieder minimalist­isch klingen lässt. Dass Stücke wie „Malamente“keineswegs simpel sind, sondern großes Verständni­s von Musik aufweisen, etwa was Tonleitern von Flamenco bis Funk angeht, darin sind sich Musikkenne­r von „El País“bis zu Youtubern einig.

Häufiger geben in den Sozialen Netzwerken Hörer an, eigentlich keinen Flamenco zu mögen – doch durch Rosalía den Zugang dazu zu finden. Die 25-Jährige scheint mit ihrem Tanz auf der Grenze der Stile und der Verwendung von heutigen Codes ganz unterschie­dliche Gemüter in ihr Boot zu holen.

Rasseln mit Fingernäge­ln

Auf diese Weise erzählt sie die tragische Story von „El Mal Querer“, die wie ein Drama aus dem 21. Jahrhunder­t klingt, doch das anonym geschriebe­ne Buch „Flamenca“aus dem 14. Jahrhunder­t nacherzähl­t. Auf dem Konzeptalb­um trägt jedes der elf Stücke neben dem eigentlich­en Titel einen weiteren, der jeweils mit einem Wort das Kapitel der Handlung markiert.

So heißt „Malamente“, das erste Stück, zugleich „Augurio“, also

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Fotos: Sony Spain Rosalía: Flamenco bis in die Fingernage­lspitzen...
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... mit Hip-Hop versetzt.

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