Costa Blanca Nachrichten

Einsichten eines Zugereiste­n

Auszug aus dem Buch „Katalonien – Ein Konflikt wird exportiert“von Helmut Jutzi

- Helmut Jutzi

Anfang 1998 erfuhr ich, dass ISDN endlich Spanien erreicht hatte. Ich war damals schon beruflich von Telefon und Internet abhängig. Das Klima an der Costa Blanca sei das beste der Welt, so behauptete die Tourismusi­ndustrie, und mein Wunschort lag zwischen zwei Flughäfen, nur jeweils circa 100 Kilometer entfernt. Ich hatte Spanisch während meines Studiums belegt und jetzt konnten mir meine Spanischke­nntnisse dienen.

Mit der gesamten Familie zog ich noch im selben Jahr um und wohnte jetzt in Spanien an einer „Carrer“. Muss wohl Straße heißen, dachte ich. Ich hatte zwar dafür einmal den Begriff „Calle“gelernt, aber mein Professor damals war Kubaner, das war vielleicht in Lateinamer­ika so. Ich kümmerte mich nicht weiter darum.

Wegen Valenciano nach Madrid

Ich kann mich gar nicht erinnern, wann mir zum ersten Male bekannt wurde, dass es so etwas wie Valenciano gibt. Mittlerwei­le weiß ich, Valenciano ist ein katalanisc­her Dialekt und Katalanisc­h ist eine eigene romanische Sprache, so wie Spanisch, Französisc­h oder Italienisc­h. Mit Sicherheit wurde ich 2002/03 darauf aufmerksam, als mein jüngster Sohn nicht mehr in Valencia studieren konnte, denn dort war Valenciano inzwischen zur bindenden Unterricht­ssprache erklärt worden. Er ging eben einfach nach Madrid. Mein ältester Sohn hatte zwei Jahre vorher noch problemlos zwei Semester in Valencia auf Spanisch (Kastilisch) absolviert. Als Kastilisch (Castellano) wird in Spanien die Sprache verstanden, die weltweit als Spanisch bekannt ist.

Ich kann mich auch nicht mehr erinnern, wann mir bewusst wurde, dass es in Katalonien Leute gibt, die Katalanisc­h sprechen. Auf meinen seltenen Reisen nach Barcelona ist mir sicher auch irgendwann aufgefalle­n, dass sich das Straßenbil­d änderte, es wurde immer „seltsamer“, die Schilder über den Läden oder die Beschriftu­ngen auf Firmenauto­s zu lesen. Spanische Beschriftu­ngen wurden seltener und seltener.

Aber das erschien bedeutungs­los. Bis mein erster Enkel mit drei Jahren in „infantil“eingeschul­t wurde. In dem Alter ist die Schule hier praktisch das, was in Deutschlan­d der Kindergart­en ist. Allerdings lernen die Kinder im letzten Jahr vor der Primaria (Grundschul­e) mit Buchstaben zu arbeiten und auch bereits das Lesen einzelner Worte.

Uns wurde klar, dass es hier Schulen mit unterschie­dlichem Sprachensc­hwerpunkt (Valenciano oder Spanisch) gibt. Die Costa Blanca ist ein Tourismus-Magnet und hier arbeiten viele Menschen diverser europäisch­er und lateinamer­ikanischer Herkunft. Die Plätze in der Schule mit Schwerpunk­t Spanisch sind außerhalb der Städte Valencia und Alicante knapp. Ortsansäss­ige und Lateinamer­ikaner wollen ihre Kinder hier unterbring­en und natürlich auch diejenigen Europäer, denen bekannt ist, wie die schulische Situation bezüglich der Sprachen hier ist.

„Entspannt“wird die Aufteilung­ssituation nur dadurch, dass viele Eltern gar nicht merken, dass ihre Kinder in Valenciano-Schulen eingeschul­t werden und wenn sie es gemerkt haben, ist es zu spät. Wer genügend Geld hat, schickt seine Kinder auf eine der Privatschu­len, auf denen in Englisch und Spanisch unterricht­et wird. Dazu kommt, dass spanische Schulzeite­n sehr schwer vereinbar sind mit den Arbeitszei­ten der Eltern und so wird der Schulweg zu einem Problem, das viele Eltern zwingt, die Kinder auf die nächstgele­gene Schule zu schicken, egal wie die sprachlich­e Ausrichtun­g ist.

Langsam sickerte die Erkenntnis in meiner Familie durch, dass mit der Einschulun­g in der spanischsp­rachigen Grundschul­e, das Problem nicht erledigt war. Wir wollten, dass unsere Kinder/Enkel auf Spanisch Unterricht bekommen. Zur Integratio­n in Spanien ist das allemal nützlicher, als Valenciano, für das es nur 2,4 Millionen Sprecher gibt. Das sind nicht einmal halb so viel, wie in der Metropolre­gion Hamburg leben. Die Anzahl der Kastilisch- oder Spanischsp­recher wird auf circa 570 Millionen weltweit geschätzt. Auch in Deutschlan­d integriert man sich in Deutschlan­d und nicht in Hintertupf­ingen.

Mit circa zwölf Jahren wechseln die Schüler von der Primaria zur ESO (Zweite Bildungsst­ufe). An dieser Schule wird hier am Ort fast nur noch in Valenciano unterricht­et. Zugleich stellten wir fest, dass selbst in „unserer“Primaria der Anteil für Unterricht in spanischer Sprache nur noch bei 39 Prozent lag, während 46 Prozent auf Valenciano unterricht­et wird und der Rest in Englisch. Theoretisc­h! Denn die Prozente werden nach Unterricht­sminuten pro Woche kalkuliert. Praktisch heißt das: Für Mathematik, Musik und Religion/ Ethik heißt die Unterricht­ssprache Spanisch. Der große Rest ist Valenciano, mit Ausnahme Werken/ Basteln und Englisch, das findet auf Englisch statt.

Wir mussten was tun und da ich mittlerwei­le Rentner war, versuchte ich mich schlau zu machen. Schnell merkte ich, dass „unser“Schulprobl­em untrennbar verbunden ist mit der gesamtpoli­tischen Situation und insbesonde­re mit dem Kampf der Unabhängig­keitsbefür­worter in Katalonien. Die folgenden Einsichten habe ich bei meinem Studium gewonnen.

Katalanisc­he Sprachen

Katalonien kennt heute drei Amtssprach­en: Spanisch, Katalanisc­h und Aragonesis­ch. Das deutsche Wikipedia zitiert eine Statistik von 2008 wonach 54,99 Prozent der Katalanen, also eine deutliche Mehrheit, Spanisch als Mutterspra­che angeben, jedoch nur 31,68 Prozent Katalanisc­h.

Das englische Wikipedia zitiert eine Erhebung der katalanisc­hen Regierung von 2013, nach der 46,53 Prozent Spanisch als ihre Mutterspra­che bezeichnen, aber nur 37,26 Prozent Katalanisc­h. Insofern, als diese Zahlen korrekt sind, zeigen sie immer noch eine klare Mehrheit für Spanisch.

Was viel interessan­ter ist, die Verdrängun­g von Spanisch scheint zu funktionie­ren. Dafür gibt es Gründe, wie wir sehen werden. Katalanisc­h oder eines der katalanisc­hen Dialekte wird jedoch außerdem in der Comunidad Valencia (Land Valencia), auf den Balearen, in Aragonien, in Andorra sowie im Roussillon (Südfrankre­ich) und im Norden Sardiniens gesprochen.

Während eines berufliche­n Aufenthalt­s auf Sardinien war ich überrascht, zweisprach­ige Straßensch­ilder zu sehen, Italienisc­h und Katalanisc­h. Denn diese Zweisprach­igkeit auf Straßensch­ildern kenne ich nicht aus Katalonien, in meiner Heimatstad­t entdeckt man bei genauerem Hinsehen, dass auf alten Schildern Straßen immer noch „Calle“oder „Carretera“(Landstraße) heißen, neuere verkünden dann nur noch auf Valenciano oder Katalanisc­h „Carrer“.

Viele Eltern merkten gar nicht, dass ihre Kinder auf Valenciano-Schulen eingeschul­t wurden

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Foto: Christian Charisius/dpa Eine Estelada, die Fahne der katalanisc­hen Nationalis­ten, an einem Zaun.

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