In der Weihnachtszeit
Gedanken zu den Festtagen: Wie wir wieder lernen, auf unsere Mitmenschen zu achten
Überall auf den Straßen, den Plätzen und aus den Häusern strahlen die Lichter. Es klingen Weihnachtslieder durch die Städte und Dörfer. Die Menschen beginnen zu planen, wer alles zum Fest eingeladen werden sollte, oder wie die alt gewordenen Eltern trotz Schwächen ihre Kinder und Enkel zu sich holen könnten. An dem Fest der Liebe! So war es doch immer Brauch! Keiner blieb doch allein an diesen Festtagen!
Doch die Welt hat sich verändert. Sie ist noch schnelllebiger geworden. Das Buch bei der Großmutter wird nur sehr selten hervorgeholt. Die Enkelkinder wollen viel lieber die neuesten Spiele auf dem Smartphone zeigen!
„Großmutter, sieh mal, da habe ich eben eine Nachricht bekommen, ich muss rasch antworten, warte mal mit Deiner Erzählung!“Und schon ist der immer noch so kleine Mann mit seinen sieben Jahren vertieft in das für die Großmutter völlig fremde Elektrowesen in seiner Hand.
Doch zugegeben, sie findet es auch ganz schön, wenn sie im Supermarkt vor einem Regal steht, absolut nicht weiß, was sie kaufen wollte, und die Tochter auf dem kleinen Telefon anruft. Es klingelt in diesem Moment zart in ihrer Tasche. Die Verbindung ist rasch hergestellt, damit kann sie gut umgehen, und die Tochter kann ihr auch sagen, was sie so dringend gebraucht hat.
Und doch! Es ist Weihnachtszeit. Die Zeit, in der sich alle Menschen auf die Liebe besinnen sollten, die jahrzehntelange Geschichte bezeugt es. Tun wir das?!
Schauen wir nicht nur zu unserer Lieblingsfreundin, sondern auch einmal zu der Nachbarin, die so oft stundenlang vor dem Fernseher sitzt. Die sich kaum mal im Garten sehen lässt. Ein Urteil ist schnell gefällt: Ach, die hat nichts anderes zu tun, als zu glotzen, den lieben langen Tag. Haben wir mal hinterfragt, warum sie das tut?
Warum ist sie nicht so unternehmungslustig, um auf ihrem Handy Freunde anzurufen, um sie zu motivieren, mit ins Konzert oder auch mal zum Essen zu kommen? Lassen wir sie stattdessen lieber allein?
Und nun darf ich doch von mir sprechen, was ich anfangs gar nicht wollte. Doch dieses Erlebnis ist so schön, dass ich es nicht für mich behalten möchte:
Ich habe auch eine Nachbarin, die alleine und krank ist. Sie kann nicht oft mit ihrem Rollator die Straße entlang zur nächsten Bar schleichen. Natürlich trinkt sie hin und wieder, doch schmeckt Tee alleine besser, als in einer Bar ein Glas Wein? Da hört sie doch mal jemand und sie kann auch was sagen. Und nun beginnt das, was ich erzählen möchte.
Ich hatte, wie jedes Jahr, meinen Weihnachtsschmuck auch diesmal schon für den ersten Advent fertig. Es sah alles wunderschön aus. Der kleine Tannenbaum leuchtete in der Ecke, der Schwippbogen aus längst vergangenen Tagen im Erzgebirge strahlte. Das echte Tannengrün hatte gereicht, um den Tischschmuck zu gestalten. Es war noch davon übrig. In einer Vase standen wunderschöne fünf langstielige weiße Rosen, am Vorabend beim Essen vom Rosenfreund erstanden. Da hatte ich eine Idee: Ich nahm eine Rose,
Vergessen wir manchmal in der von uns selbst kreierten Hast, dass der Anruf ein Hilferuf war?
steckte ein Zweig Tannengrün dazu, suchte eine kleine Weihnachtsgeschichte, die ich vor Jahren geschrieben hatte, hervor, band alles mit einem Goldfaden zusammen und ging zu meiner Nachbarin.
Wie immer waren die Roll-Läden der Terrassentüre so weit herunter gelassen, dass ich nach dem Klopfen und dem leisen „komm nur rein“, fast auf allen Vieren kriechen musste, um in den abgedunkelten Raum zu kommen.
Natürlich lief der Fernseher. Sie stellte ihn leise, und als sie die Rose sah, stand sie mühsam auf und umarmte mich. Sie fing an zu weinen. Ich muss gestehen, ich schniefte auch.
Aber ich war ja gekommen, um ein Lächeln hervorzuzaubern. Und so wünschte ich ihr erst mal eine schöne Adventszeit. Da meinte sie: „Die habe ich jetzt, du hast sie mir gebracht, jetzt ist Advent.“Sie umarmte mich noch einmal und ein zarter Duft nach einem leckeren Anisschnaps umhüllte mich.
Ja, die Vorweihnachtszeit. Die Zeit der Liebe. Und doch fühlte ich mich beschämt. Was hatte ich das ganze Jahr über getan? Hatte ich von meiner vielen Freizeit auch nur ein klein wenig an sie abgege- ben? Hatte ich Freude mit ihr geteilt, hatte ich zugehört, wenn sie von ihrem Kummer sprechen wollte? Nachdenklich ging ich nach Hause. Und ich beschloss, mit meinen Freundinnen am zweiten Advent darüber zu sprechen. Wir wollten den Abend gemeinsam bei einem guten Essen verbringen. Wir, fünf Mädels, so nenne ich sie, weil wir so jung geblieben sind, sollten uns fragen, tun wir genug für jede von uns?
Vergessen wir manchmal in der von uns selbst kreierten Hast, dass der kleine Anruf heute morgen ein Hilferuf war? Wir haben ihn fast ignoriert, zumindest sind wir nicht drauf eingegangen, weil da noch dringend was geputzt oder erledigt werden musste.
Doch was sind in unserer ganzen Zeit fünf oder zehn Minuten! Und manchmal können zehn Minuten helfen. Noch mehr hilft natürlich ein Treffen zu einem Kaffee am Meer. Und das wünsche ich jetzt allen, die die Weihnachtszeit von Herzen, und mit Liebe erleben möchten!