Grün und innovativ
La Pinada bei Valencia setzt auf ein neuartiges Schulkonzept, auf Gemeinschaft und Nachhaltigkeit
Rund um eine Montessori-Schule entsteht Spaniens erstes ökologisches Stadtviertel. Initiator Iker Marcaide will in Paterna nicht nur rund 1.000 Wohneinheiten in die Natur integrieren, sondern möchte auch Kinder in den Straßen spielen sehen und eine andere Art des sozialen Miteinanders etablieren.
La Pinada bezeichnet sich als Ecobarrio, als Öko-Stadtviertel. Der Name verweist auf die 2.000 Kiefern, die es dort gibt, in Paterna bei Valencia. Es ist das erste ÖkoStadtviertel in Spanien, und es wird von seinen künftigen Bewohnern mitgestaltet. Hinter dem innovativen Projekt steckt das Startup Zubilabs, das auf soziale, ökologische und nachhaltige Lösungen setzt und damit an die 17 UN-Ziele für eine bessere Welt erinnert. Geschäftsführer ist Iker Marcaide.
Alles begann mit einer Privatschule, der Imagine Montessori School in Valencia. Als Iker Marcaide 2015 für seinen zweijährigen Sohn eine Vorschule in Valencia suchte, fiel ihm auf, dass diese nicht viel anders waren, als zur Zeit, als er noch die Schulbank drückte. Frustriert kommentierte er diesen „Stillstand“mit seinen Freunden, die sich ebenfalls auf die Suche nach einer geeigneten Schule für ihre Sprösslinge gemacht hatten. So entstand die Idee „Warum nicht selber eine Schule gründen?“
Eine moderne Schule sollte es sein, in der Kinder ihre Interessen, Motivationen und Talente entdecken, nachgehen und weiterentwickeln sowie sich sozial und nachhaltig engagieren können. Gesagt, getan. Die Imagine Montessori School legte 2016 mit 30 Kindern los. 2019 besuchen sie schon 130 zwischen zwei und neun Jahren.
Damit die Schüler bis zum Alter von 18 Jahren in der Imagine Montessori School unterrichtet werden können, muss die Anlage jedoch erweitert werden. Seit 2016 sucht Marcaide schon nach einem passenden Terrain. Längst war ihm bewusst geworden, dass das Leben der Eltern sich normalerweise rund um die Schulbetrieb abspielt. Fragen wie „warum können Kinder eigentlich nicht auf der Straße herumtollen?“, schossen ihm durch den Kopf. So nahm der Wunsch Gestalt an, das künftige Gebäude in eine natürliche Landschaft zu integrieren, leicht zugänglich für Familien aus Valencia und Umge- bung. Ein Terrain in Paterna, nahe Valencia, mit Kiefern und einem Barranco, schien dafür wie geschaffen. Nur misst die Fläche zehn Mal mehr, als eigentlich für eine Schule benötigt wird.
Bei Stadtplanungen spielen in der Regel die Bedürfnisse von Eltern oder Fragen der Kindererziehung kaum eine Rolle. Das klassische Procedere, meint Marcaide, funktioniert meist so: Ein Bauträger kauft Grund und beginnt diesen zu erschließen. Die entsprechenden Parzellen werden an andere Bauträger weiterveräußert. Diese erstellen das Endprodukt und bieten es Kunden zum Kauf an. Im Mittelpunkt steht stets das Produkt, aber nie der Kunde.
Es kann aber auch anders gehen, fand Iker Marcaide heraus. Städte wie Freiburg, Stockholm und Amsterdam setzen entweder auf erneuerbare Energien, auf intelligente Netze oder auf alternative Fortbewegungsmöglichkeiten, allem voran aufs Fahrrad. Kein Ort aber vereint alles. Überall musste „nachgebessert“werden. Viel effizienter wäre es doch, Nachhaltigkeitskriterien schon von Beginn an zu berücksichtigen. Zu dem Schluss kam Marcaide.
„Die Auswirkungen der Städte auf das Leben der Menschen ist immens“, meint Marcaide. „Und nicht nur, was die Umwelt betrifft, wenn man unter anderem an Biodiversität, den CO2-Fußabdruck und nachhaltige Mobilität denkt, sondern auch hinsichtlich des sozialen Aspekts, das Gefühl der Gemeinschaft.“
Als Beispiel nennt er die Stadt Campodimele, das Dorf der 100Jährigen in Italien. Der Gesichtspunkt des sozialen Zusammenhalts ist dort von enormer Wichtigkeit. Dass man sich ein Problem beim Nachbarn von der Seele reden kann, dass es jemanden gibt, der da ist und einem, wenn es nötig ist, helfen kann. Diese Art von Menschlichkeit gerät heutzutage immer mehr in Vergessenheit. Oft, weil andere Dinge sich in den Vordergund schieben und herkömmliche soziale Strukturen auseinanderreißen. So leben immer mehr Menschen in Städten dicht aufeinander, fühlen sich aber trotzdem häufig allein. Eine von vielen negativen Begleiterscheinungen der zunehmenden Urbanisierung.
1.000 Wohneinheiten
Warum können Kinder nicht auf der Straße herumtollen?
Was läge also näher, als all diese Erkenntnisse zu berücksichtigen und in die Umgebung und das Projekt einfließen zu lassen? So will das Startup-Unternehmen Zubilabs unter Marcaides Führung neben der Schule auch 1.000 Wohneinheiten bauen. Diese sollen so in die Landschaft integriert werden, dass der Eingriff in die Natur minimal bleibt und die Kriterien der Nachhaltigkeit erfüllt werden können.
Keine Rede davon, alles für das Stadtviertel erst einmal platt zu machen und mit Erdbewegungen auf eine Ebene zu bringen und dann zu kopieren, was es anderorts
schon tausendfach gibt. Zubilabs will die Geschichte des Terrains in die Planung miteinbeziehen. Darunter fallen vorhandene Wasserläufe, Luftströme und die Vegetation. Wert wird auf die intelligente Nutzung von Ressourcen gelegt. Die Vegetation etwa soll auch das Grauwasser filtern. Dieses dient dann wiederum zur Bewässerung. Solarmodule sollen die reichlichen Sonnenstunden Valencias zur Energiegewinnung einfangen.
Ein Beispiel, wie Zubilabs tickt, sind die Babybettchen. „Normalerweise kommt ein Kind auf die Welt, und man kauft ein Babybettchen. Weil es häufig bei einem Kind bleibt, kommt das Bettchen nach 18 Monaten in die Abstellkammer, man verschenkt es oder es kommt direkt in den Müll. Da hat man nun 200 Euro für ein Kinderbettchen ausgegeben, der Nutzen aber könnte viel größer sein“, veranschaulicht Marcaide.
Er spielt mit der Vorstellung, dass das Stadtviertel Kinderbettchen zur Vermietung anbietet. Nach Gebrauch würde es gereinigt werden, damit es der nächsten Familie zur Verfügung stehen kann. Eine Win-Win-Situation. Die Familie spart Geld. Das Stadtviertel generiert Einnahmen. Und die Umwelt wird entlastet.
Marcaide ist überzeugt: Wenn die Umgebung es den Menschen leicht macht, dann fällt es diesen auch nicht schwer, passende Entscheidungen zu treffen. Das fängt beim bewussten Kauf und Umgang mit Produkten an, geht über das Recyceln und endet bei der Gesundheit. Grünflächen laden nicht nur zum Spielen ein, sondern auch zu mehr Aktivitäten im Freien, seien es Spaziergänge, Wandern, Fahrradfahren oder Laufen.
Um diese Visionen an den Mann beziehungsweise an die Frau bringen zu können, musste eine Webseite her. Sämtliche Informationen sowie Neuigkeiten rund um das innovative Projekt gibt es seit einiger Zeit unter www.barrio
lapinada.es. Dem Aufruf des Teasers „Vivir aquí“(Hier leben) folgten 4.000 Menschen.
Mit den Engagiertesten unter ihnen trifft sich das Unternehmen alle anderthalb Monate. Man diskutiert dann über die Dimensionen des Stadtviertels, über Einrichtun-
„Die Auswirkungen der Städte auf das Leben der Menschen ist immens.“
gen, Dienstleistungen, Versorgung, öffentlichen Raum und Abfallwirtschaft. Anfangs ging man davon aus, dass Familien sich dort niederlassen wollen. Das ist zu 60 Prozent auch der Fall. Kurioserweise stellen die restlichen 40 Prozent internationale Interessenten dar, darunter Singles, Senioren und digitale Nomaden – also Unternehmer oder Arbeitnehmer, die ausschließlich mit digitalen Technologien arbeiten und zugleich ein eher ortsunabhängiges Leben führen. So unterschiedlich die Interessenten des Projekts auch sein mögen, sie haben ein ausgeprägtes Umwelt- und Sozialbewusstsein gemeinsam.
Inspiriert wird das Ecobarrio La Pinada auch von der „Kinderstadt“des italienischen Pädagogen, Zeichners und Denkers Francesco Tonucci. Viel Grün, wenig Grau. In der Kinderstadt gibt es viele Bäume und Sträucher, die Labyrinthe bilden – ideale Plätzchen, um abzuschalten oder sich zu verstecken. Fußgänger sind das Wichtigste. Die Straßen sind voll von Kindern und Erwachsenen. In der Kinderstadt sind die Straßen schön: Sie machen Lust aufs Ausgehen, darin zu leben und zu spielen.
„Wenn die Stadt freundlich und sicher für das Kind ist, dann ist sie das letztendlich auch so ziemlich für jeden“, verdeutlicht Marcaide. Nach seiner Ansicht entsteht Sicherheit aus der Gemeinschaft heraus, und nicht durch überall installierte Überwachungskameras in einem Szenario vorherrschender Anonymität.
Letztendlich stellt sich die Frage, wie finanziert sich ein derartiges Projekt? Aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein privates Projekt handelt, kommt das Gros aus der eigenen Tasche. Einen kleinen Teil finanziert die Europäische Union sowie private Co-In- vestoren, die an die Zukunft des Projekts glauben und dessen nachhaltige Leitideen unterstützen wollen. Da das Projekt noch nicht fertig auf dem Tisch liegt, gibt es auch noch keine Preisangaben zu den Wohneinheiten. Weitere Informationen zum Ecobarrio La Pinada gibt es im Internet auf www.barrio lapinada.es, zur Privatschule auf https://imagines montessori.es