Costa Blanca Nachrichten

Grün und innovativ

La Pinada bei Valencia setzt auf ein neuartiges Schulkonze­pt, auf Gemeinscha­ft und Nachhaltig­keit

- Daniela Schlicht Paterna/Valencia

Rund um eine Montessori-Schule entsteht Spaniens erstes ökologisch­es Stadtviert­el. Initiator Iker Marcaide will in Paterna nicht nur rund 1.000 Wohneinhei­ten in die Natur integriere­n, sondern möchte auch Kinder in den Straßen spielen sehen und eine andere Art des sozialen Miteinande­rs etablieren.

La Pinada bezeichnet sich als Ecobarrio, als Öko-Stadtviert­el. Der Name verweist auf die 2.000 Kiefern, die es dort gibt, in Paterna bei Valencia. Es ist das erste ÖkoStadtvi­ertel in Spanien, und es wird von seinen künftigen Bewohnern mitgestalt­et. Hinter dem innovative­n Projekt steckt das Startup Zubilabs, das auf soziale, ökologisch­e und nachhaltig­e Lösungen setzt und damit an die 17 UN-Ziele für eine bessere Welt erinnert. Geschäftsf­ührer ist Iker Marcaide.

Alles begann mit einer Privatschu­le, der Imagine Montessori School in Valencia. Als Iker Marcaide 2015 für seinen zweijährig­en Sohn eine Vorschule in Valencia suchte, fiel ihm auf, dass diese nicht viel anders waren, als zur Zeit, als er noch die Schulbank drückte. Frustriert kommentier­te er diesen „Stillstand“mit seinen Freunden, die sich ebenfalls auf die Suche nach einer geeigneten Schule für ihre Sprössling­e gemacht hatten. So entstand die Idee „Warum nicht selber eine Schule gründen?“

Eine moderne Schule sollte es sein, in der Kinder ihre Interessen, Motivation­en und Talente entdecken, nachgehen und weiterentw­ickeln sowie sich sozial und nachhaltig engagieren können. Gesagt, getan. Die Imagine Montessori School legte 2016 mit 30 Kindern los. 2019 besuchen sie schon 130 zwischen zwei und neun Jahren.

Damit die Schüler bis zum Alter von 18 Jahren in der Imagine Montessori School unterricht­et werden können, muss die Anlage jedoch erweitert werden. Seit 2016 sucht Marcaide schon nach einem passenden Terrain. Längst war ihm bewusst geworden, dass das Leben der Eltern sich normalerwe­ise rund um die Schulbetri­eb abspielt. Fragen wie „warum können Kinder eigentlich nicht auf der Straße herumtolle­n?“, schossen ihm durch den Kopf. So nahm der Wunsch Gestalt an, das künftige Gebäude in eine natürliche Landschaft zu integriere­n, leicht zugänglich für Familien aus Valencia und Umge- bung. Ein Terrain in Paterna, nahe Valencia, mit Kiefern und einem Barranco, schien dafür wie geschaffen. Nur misst die Fläche zehn Mal mehr, als eigentlich für eine Schule benötigt wird.

Bei Stadtplanu­ngen spielen in der Regel die Bedürfniss­e von Eltern oder Fragen der Kindererzi­ehung kaum eine Rolle. Das klassische Procedere, meint Marcaide, funktionie­rt meist so: Ein Bauträger kauft Grund und beginnt diesen zu erschließe­n. Die entspreche­nden Parzellen werden an andere Bauträger weiterverä­ußert. Diese erstellen das Endprodukt und bieten es Kunden zum Kauf an. Im Mittelpunk­t steht stets das Produkt, aber nie der Kunde.

Es kann aber auch anders gehen, fand Iker Marcaide heraus. Städte wie Freiburg, Stockholm und Amsterdam setzen entweder auf erneuerbar­e Energien, auf intelligen­te Netze oder auf alternativ­e Fortbewegu­ngsmöglich­keiten, allem voran aufs Fahrrad. Kein Ort aber vereint alles. Überall musste „nachgebess­ert“werden. Viel effiziente­r wäre es doch, Nachhaltig­keitskrite­rien schon von Beginn an zu berücksich­tigen. Zu dem Schluss kam Marcaide.

„Die Auswirkung­en der Städte auf das Leben der Menschen ist immens“, meint Marcaide. „Und nicht nur, was die Umwelt betrifft, wenn man unter anderem an Biodiversi­tät, den CO2-Fußabdruck und nachhaltig­e Mobilität denkt, sondern auch hinsichtli­ch des sozialen Aspekts, das Gefühl der Gemeinscha­ft.“

Als Beispiel nennt er die Stadt Campodimel­e, das Dorf der 100Jährige­n in Italien. Der Gesichtspu­nkt des sozialen Zusammenha­lts ist dort von enormer Wichtigkei­t. Dass man sich ein Problem beim Nachbarn von der Seele reden kann, dass es jemanden gibt, der da ist und einem, wenn es nötig ist, helfen kann. Diese Art von Menschlich­keit gerät heutzutage immer mehr in Vergessenh­eit. Oft, weil andere Dinge sich in den Vordergund schieben und herkömmlic­he soziale Strukturen auseinande­rreißen. So leben immer mehr Menschen in Städten dicht aufeinande­r, fühlen sich aber trotzdem häufig allein. Eine von vielen negativen Begleiters­cheinungen der zunehmende­n Urbanisier­ung.

1.000 Wohneinhei­ten

Warum können Kinder nicht auf der Straße herumtolle­n?

Was läge also näher, als all diese Erkenntnis­se zu berücksich­tigen und in die Umgebung und das Projekt einfließen zu lassen? So will das Startup-Unternehme­n Zubilabs unter Marcaides Führung neben der Schule auch 1.000 Wohneinhei­ten bauen. Diese sollen so in die Landschaft integriert werden, dass der Eingriff in die Natur minimal bleibt und die Kriterien der Nachhaltig­keit erfüllt werden können.

Keine Rede davon, alles für das Stadtviert­el erst einmal platt zu machen und mit Erdbewegun­gen auf eine Ebene zu bringen und dann zu kopieren, was es anderorts

schon tausendfac­h gibt. Zubilabs will die Geschichte des Terrains in die Planung miteinbezi­ehen. Darunter fallen vorhandene Wasserläuf­e, Luftströme und die Vegetation. Wert wird auf die intelligen­te Nutzung von Ressourcen gelegt. Die Vegetation etwa soll auch das Grauwasser filtern. Dieses dient dann wiederum zur Bewässerun­g. Solarmodul­e sollen die reichliche­n Sonnenstun­den Valencias zur Energiegew­innung einfangen.

Ein Beispiel, wie Zubilabs tickt, sind die Babybettch­en. „Normalerwe­ise kommt ein Kind auf die Welt, und man kauft ein Babybettch­en. Weil es häufig bei einem Kind bleibt, kommt das Bettchen nach 18 Monaten in die Abstellkam­mer, man verschenkt es oder es kommt direkt in den Müll. Da hat man nun 200 Euro für ein Kinderbett­chen ausgegeben, der Nutzen aber könnte viel größer sein“, veranschau­licht Marcaide.

Er spielt mit der Vorstellun­g, dass das Stadtviert­el Kinderbett­chen zur Vermietung anbietet. Nach Gebrauch würde es gereinigt werden, damit es der nächsten Familie zur Verfügung stehen kann. Eine Win-Win-Situation. Die Familie spart Geld. Das Stadtviert­el generiert Einnahmen. Und die Umwelt wird entlastet.

Marcaide ist überzeugt: Wenn die Umgebung es den Menschen leicht macht, dann fällt es diesen auch nicht schwer, passende Entscheidu­ngen zu treffen. Das fängt beim bewussten Kauf und Umgang mit Produkten an, geht über das Recyceln und endet bei der Gesundheit. Grünfläche­n laden nicht nur zum Spielen ein, sondern auch zu mehr Aktivitäte­n im Freien, seien es Spaziergän­ge, Wandern, Fahrradfah­ren oder Laufen.

Um diese Visionen an den Mann beziehungs­weise an die Frau bringen zu können, musste eine Webseite her. Sämtliche Informatio­nen sowie Neuigkeite­n rund um das innovative Projekt gibt es seit einiger Zeit unter www.barrio

lapinada.es. Dem Aufruf des Teasers „Vivir aquí“(Hier leben) folgten 4.000 Menschen.

Mit den Engagierte­sten unter ihnen trifft sich das Unternehme­n alle anderthalb Monate. Man diskutiert dann über die Dimensione­n des Stadtviert­els, über Einrichtun-

„Die Auswirkung­en der Städte auf das Leben der Menschen ist immens.“

gen, Dienstleis­tungen, Versorgung, öffentlich­en Raum und Abfallwirt­schaft. Anfangs ging man davon aus, dass Familien sich dort niederlass­en wollen. Das ist zu 60 Prozent auch der Fall. Kurioserwe­ise stellen die restlichen 40 Prozent internatio­nale Interessen­ten dar, darunter Singles, Senioren und digitale Nomaden – also Unternehme­r oder Arbeitnehm­er, die ausschließ­lich mit digitalen Technologi­en arbeiten und zugleich ein eher ortsunabhä­ngiges Leben führen. So unterschie­dlich die Interessen­ten des Projekts auch sein mögen, sie haben ein ausgeprägt­es Umwelt- und Sozialbewu­sstsein gemeinsam.

Inspiriert wird das Ecobarrio La Pinada auch von der „Kinderstad­t“des italienisc­hen Pädagogen, Zeichners und Denkers Francesco Tonucci. Viel Grün, wenig Grau. In der Kinderstad­t gibt es viele Bäume und Sträucher, die Labyrinthe bilden – ideale Plätzchen, um abzuschalt­en oder sich zu verstecken. Fußgänger sind das Wichtigste. Die Straßen sind voll von Kindern und Erwachsene­n. In der Kinderstad­t sind die Straßen schön: Sie machen Lust aufs Ausgehen, darin zu leben und zu spielen.

„Wenn die Stadt freundlich und sicher für das Kind ist, dann ist sie das letztendli­ch auch so ziemlich für jeden“, verdeutlic­ht Marcaide. Nach seiner Ansicht entsteht Sicherheit aus der Gemeinscha­ft heraus, und nicht durch überall installier­te Überwachun­gskameras in einem Szenario vorherrsch­ender Anonymität.

Letztendli­ch stellt sich die Frage, wie finanziert sich ein derartiges Projekt? Aufgrund der Tatsache, dass es sich um ein privates Projekt handelt, kommt das Gros aus der eigenen Tasche. Einen kleinen Teil finanziert die Europäisch­e Union sowie private Co-In- vestoren, die an die Zukunft des Projekts glauben und dessen nachhaltig­e Leitideen unterstütz­en wollen. Da das Projekt noch nicht fertig auf dem Tisch liegt, gibt es auch noch keine Preisangab­en zu den Wohneinhei­ten. Weitere Informatio­nen zum Ecobarrio La Pinada gibt es im Internet auf www.barrio lapinada.es, zur Privatschu­le auf https://imagines montessori.es

 ??  ??
 ?? Fotos: Daniela Schlicht ?? In diesem grünen Eckchen entsteht die Fortsetzun­g der privaten Imagine Montessori School sowie das Öko-Stadtviert­el La Pinada.
Fotos: Daniela Schlicht In diesem grünen Eckchen entsteht die Fortsetzun­g der privaten Imagine Montessori School sowie das Öko-Stadtviert­el La Pinada.
 ??  ?? Der Bau der Schule am Stadtrand von Paterna ist bereits voll im Gange.
Der Bau der Schule am Stadtrand von Paterna ist bereits voll im Gange.
 ??  ?? Iker Marcaide setzt innovative und nachhaltig­e Ideen um.
Iker Marcaide setzt innovative und nachhaltig­e Ideen um.

Newspapers in German

Newspapers from Spain