Außerr Konttrrolllle
Mehr als eine Million illegaler Bohrlöcher in ganz Spanien – Schwere Folgen für das Ökosystem
Nach Julens tödlichem Sturz in ein über 100 Meter tiefes Bohrloch, rücken die illegalen Brunnenschächte ins Licht der Öffentlichkeit. Mehr als eine Million soll es laut Greenpeace davon in Spanien geben, etliche auch an der Costa Blanca.
Kaum war die großangelegte Suchaktion nach dem zweijährigen Julen in der Nacht zum Samstag mit der Bergung der Leiche des Jungen zu Ende gegangen, ist die Frage nach der Schuld für den tragischen Vorfall in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Bereits einen Tag, nachdem das Kind am 13. Januar in den mehr als hundert Meter tiefen Probebohrungsschacht auf dem Gemeindegebiet des etwa 15 Kilometer von Málaga entfernten Dorfes Totalán gefallen war, hat ein Untersuchungsgericht in Málaga Ermittlungen zur Klärung der Verantwortlichkeit aufgenommen. In wenigen Tagen sollen die Ermittlungen abgeschlossen sein, teilte der Generaldirektor der spanischen Militärpolizei, Féliz Azón, am Montag bei einer Würdigung der an der Bergungsaktion beteiligten Zivilgardisten in Málaga mit. Alles weise darauf hin, dass der Tatbestand einer fahrlässigen Tötung erfüllt sei. „Wir alle sind überzeugt davon, dass es gar nichts anderes sein kann“, erklärte Azón den Medienvertretern. Wer die Verantwortung für den Tod von Julen trägt, wird sich beim Abschluss der Ermittlungen zeigen. Die Aussagen des Besitzers des Grundstückes, der das Bohrloch erst im Dezember vergangenen Jahres in Auftrag gegeben hatte, und die des Brunnenbauers widersprechen sich. Jeder gibt dem an- deren die Schuld dafür, dass der Schacht zum Zeitpunkt des Unglücks offenbar ungesichert war.
Nur wenige Stunden, nachdem Julen am Sonntagmittag auf dem Friedhof von Málagas Stadtteil El Palo unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit beigesetzt worden war, gab es übrigens in der Provinz Málaga wieder einen ähnlichen Todesfall. Ein 45-jähriger Mann ertrank in Villanueva del Trabuco bei dem Versuch, seinen Hund aus einem ungesicherten Brunnen herauszuholen.
Im Fall des zweijährigen Julen ist schnell bekannt geworden, dass das Bohrloch ohne die nötigen Genehmigungen angelegt worden und somit illegal war. Illegale Bohrlöcher sind in Spanien keine Seltenheit. Im Gegenteil: Nach Schätzungen der Umweltorganisation Greenpeace gibt es im ganzen
Land über eine Million solcher illegaler Löcher. Die Zeitung „El Mundo“schrieb, in Wirklichkeit seien es viel mehr. Und „die Bohrungen, die nicht zum Erfolg führen, werden mehr schlecht als recht zugedeckt“.
Obwohl Spanien mit Stauseen sehr gut ausgestattet ist, leiden viele Regionen unter Wassermangel. Wie Greenpeace beklagt, wird in Landwirtschaft, Industrie und Haushalten sowie bei der Bewässerung von Golfplätzen viel Wasser verschwendet. Viele Grundstücke sind zudem nicht ans Versorgungssystem angeschlossen. Spezielle Brunnenbauer Viele Besitzer von Grundstücken und Fincas beauftragen sogenannte „Poceros“, erfahrene „Löchergräber“mit Bohrungen, die oft in wahren Nacht- und Nebelaktionen nur bei Mondbeleuchtung gegraben werden. Im Volksmund heißen diese Schächte „Mondscheinlöcher“. Die Löcher werden dabei mit einer speziellen Brunnenbohrmaschine mit einem Bohrmeißel gegraben, der sich dreht und Druckluft in die Erde injiziert. Meistens werden solche Aktionen in einer einzigen Nacht durchgeführt.
Wenn Wasser gefunden wird, das in einem Strahl an die Oberfläche sprudelt, lassen die Grundstücksbesitzer die Bohrlöcher gewöhnlich mit Rohren aus Metall auskleiden. In vielen Fällen wird dann eine nachträgliche Legalisierung des Brunnens vorgenommen. Wenn die Brunnenbohrmaschine jedoch nicht auf Wasser stößt, ist die gängige Praxis, dass der Schacht provisorisch zugedeckt wird, obwohl laut Gesetz sämtliche ungenutzten Bohrlöcher mit einem soliden Metalldeckel verschlossen werden müssen.
Der „Pocero“Antonio Jesús Perálvarez, der pro Loch 2.000 bis 4.000 Euro kassiert, erzählte „El Mundo“: „Meine Aufgabe ist es, das Loch zu bohren. Um die Abdeckung kümmert sich auch bei legalen Bohrungen der Auftraggeber. Zumal der oft nach einigen Tagen wieder schauen will, ob Wasser herauskommt.“Normal sei es, die Öffnung „mit einem großen Stein zuzudecken, den ein Kind nicht hochheben kann“. Legale Brunnen sehr teuer Der Grund dafür, dass viele Grundstücksbesitzer es vorziehen, in Nacht-und-Nebel-Aktionen illegale Löcher graben zu lassen, anstatt sich vorher bei der Gemeinde, beim Wasserwirtschaftsund beim Umweltamt die nötigen Genehmigungen einzuholen, liegt in der Langwierigkeit des Verfahrens und den Kosten. Mehr als ein Jahr kann vergehen, bis die erforderlichen Genehmigungen ausgestellt sind, und für den ganzen Papierkrieg sind auch noch um die 1.000 Euro an Gebühren zu zahlen, die zu den Kosten für die Ausgrabung des Bohrlochs noch hinzukommen. Viele Grundstücksbesitzer haben in den vergangenen Tagen versichert, dass es für sie billiger komme, eine eventuelle Geldstrafe zu zahlen als den vorgeschriebenen Weg zu gehen.
Die oftmals unzureichend gesicherten illegalen Brunnen stellen nicht nur eine Gefahr für Men- schen und Tiere dar, sondern können auch das Ökosystem bedrohen. Im Nationalpark Doñana in der Provinz Huelva haben Tausende von illegalen Brunnen im Umfeld des Parks für die Bewässerung der dortigen Erdbeerplantagen zu einer drastischen Senkung des Grundwasserspiegels geführt, sodass eines der wichtigsten Feuchtgebiete Spaniens auszutrocknen droht. Bereits vor neun Jahren hatte die Umweltvereini- gung WWF wegen der illegalen Brunnen Beschwerde bei der EU eingelegt, welche wiederum das Land Spanien zur Stilllegung der illegalen Brunnen drängte. Da nichts unternommen wurde, hat die Europäische Union erst in der vergangenen Woche angekündigt, Spanien beim Europäischen Gerichtshof wegen Duldung der unkontrollierten Wasserentnahmen anzuzeigen. In der Provinz Málaga geht nach dem tragischen Unglücksfall um den zweijährigen Julen derweil bei vielen Menschen die Angst um, dass sich solche Vorfälle auch bei ihnen ereignen können. Zahlreiche Grundstücksbesitzer haben daher in den vergangenen Tagen in aller Eile ihre offenen Bohrlöcher abgedeckt.
Angst haben sie auch vor den Geldstrafen für illegale Bohrlöcher, da die Guardia Civil verstärkte Inspektionen auf Grundstücken im Hinterland angekündigt hat. Dennoch: Die meisten von ihnen werden wohl nie entdeckt. Die Umwelteinheit der Guardia Civil, Seprona, die hierfür zuständig ist, hat gerade einmal 40 Beamte in der gesamten Provinz. Und diese haben auch noch andere Aufgaben und müssen sich primär um illegale Häuser, illegale Müllkippen und Diebstähle auf Obstplantagen kümmern.