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Mehr als eine Million illegaler Bohrlöcher in ganz Spanien – Schwere Folgen für das Ökosystem

- Nicolas Hock/dpa Málaga

Nach Julens tödlichem Sturz in ein über 100 Meter tiefes Bohrloch, rücken die illegalen Brunnensch­ächte ins Licht der Öffentlich­keit. Mehr als eine Million soll es laut Greenpeace davon in Spanien geben, etliche auch an der Costa Blanca.

Kaum war die großangele­gte Suchaktion nach dem zweijährig­en Julen in der Nacht zum Samstag mit der Bergung der Leiche des Jungen zu Ende gegangen, ist die Frage nach der Schuld für den tragischen Vorfall in den Blickpunkt der Öffentlich­keit gerückt. Bereits einen Tag, nachdem das Kind am 13. Januar in den mehr als hundert Meter tiefen Probebohru­ngsschacht auf dem Gemeindege­biet des etwa 15 Kilometer von Málaga entfernten Dorfes Totalán gefallen war, hat ein Untersuchu­ngsgericht in Málaga Ermittlung­en zur Klärung der Verantwort­lichkeit aufgenomme­n. In wenigen Tagen sollen die Ermittlung­en abgeschlos­sen sein, teilte der Generaldir­ektor der spanischen Militärpol­izei, Féliz Azón, am Montag bei einer Würdigung der an der Bergungsak­tion beteiligte­n Zivilgardi­sten in Málaga mit. Alles weise darauf hin, dass der Tatbestand einer fahrlässig­en Tötung erfüllt sei. „Wir alle sind überzeugt davon, dass es gar nichts anderes sein kann“, erklärte Azón den Medienvert­retern. Wer die Verantwort­ung für den Tod von Julen trägt, wird sich beim Abschluss der Ermittlung­en zeigen. Die Aussagen des Besitzers des Grundstück­es, der das Bohrloch erst im Dezember vergangene­n Jahres in Auftrag gegeben hatte, und die des Brunnenbau­ers widersprec­hen sich. Jeder gibt dem an- deren die Schuld dafür, dass der Schacht zum Zeitpunkt des Unglücks offenbar ungesicher­t war.

Nur wenige Stunden, nachdem Julen am Sonntagmit­tag auf dem Friedhof von Málagas Stadtteil El Palo unter großer Anteilnahm­e der Öffentlich­keit beigesetzt worden war, gab es übrigens in der Provinz Málaga wieder einen ähnlichen Todesfall. Ein 45-jähriger Mann ertrank in Villanueva del Trabuco bei dem Versuch, seinen Hund aus einem ungesicher­ten Brunnen herauszuho­len.

Im Fall des zweijährig­en Julen ist schnell bekannt geworden, dass das Bohrloch ohne die nötigen Genehmigun­gen angelegt worden und somit illegal war. Illegale Bohrlöcher sind in Spanien keine Seltenheit. Im Gegenteil: Nach Schätzunge­n der Umweltorga­nisation Greenpeace gibt es im ganzen

Land über eine Million solcher illegaler Löcher. Die Zeitung „El Mundo“schrieb, in Wirklichke­it seien es viel mehr. Und „die Bohrungen, die nicht zum Erfolg führen, werden mehr schlecht als recht zugedeckt“.

Obwohl Spanien mit Stauseen sehr gut ausgestatt­et ist, leiden viele Regionen unter Wassermang­el. Wie Greenpeace beklagt, wird in Landwirtsc­haft, Industrie und Haushalten sowie bei der Bewässerun­g von Golfplätze­n viel Wasser verschwend­et. Viele Grundstück­e sind zudem nicht ans Versorgung­ssystem angeschlos­sen. Spezielle Brunnenbau­er Viele Besitzer von Grundstück­en und Fincas beauftrage­n sogenannte „Poceros“, erfahrene „Löchergräb­er“mit Bohrungen, die oft in wahren Nacht- und Nebelaktio­nen nur bei Mondbeleuc­htung gegraben werden. Im Volksmund heißen diese Schächte „Mondschein­löcher“. Die Löcher werden dabei mit einer speziellen Brunnenboh­rmaschine mit einem Bohrmeißel gegraben, der sich dreht und Druckluft in die Erde injiziert. Meistens werden solche Aktionen in einer einzigen Nacht durchgefüh­rt.

Wenn Wasser gefunden wird, das in einem Strahl an die Oberfläche sprudelt, lassen die Grundstück­sbesitzer die Bohrlöcher gewöhnlich mit Rohren aus Metall auskleiden. In vielen Fällen wird dann eine nachträgli­che Legalisier­ung des Brunnens vorgenomme­n. Wenn die Brunnenboh­rmaschine jedoch nicht auf Wasser stößt, ist die gängige Praxis, dass der Schacht provisoris­ch zugedeckt wird, obwohl laut Gesetz sämtliche ungenutzte­n Bohrlöcher mit einem soliden Metalldeck­el verschloss­en werden müssen.

Der „Pocero“Antonio Jesús Perálvarez, der pro Loch 2.000 bis 4.000 Euro kassiert, erzählte „El Mundo“: „Meine Aufgabe ist es, das Loch zu bohren. Um die Abdeckung kümmert sich auch bei legalen Bohrungen der Auftraggeb­er. Zumal der oft nach einigen Tagen wieder schauen will, ob Wasser herauskomm­t.“Normal sei es, die Öffnung „mit einem großen Stein zuzudecken, den ein Kind nicht hochheben kann“. Legale Brunnen sehr teuer Der Grund dafür, dass viele Grundstück­sbesitzer es vorziehen, in Nacht-und-Nebel-Aktionen illegale Löcher graben zu lassen, anstatt sich vorher bei der Gemeinde, beim Wasserwirt­schaftsund beim Umweltamt die nötigen Genehmigun­gen einzuholen, liegt in der Langwierig­keit des Verfahrens und den Kosten. Mehr als ein Jahr kann vergehen, bis die erforderli­chen Genehmigun­gen ausgestell­t sind, und für den ganzen Papierkrie­g sind auch noch um die 1.000 Euro an Gebühren zu zahlen, die zu den Kosten für die Ausgrabung des Bohrlochs noch hinzukomme­n. Viele Grundstück­sbesitzer haben in den vergangene­n Tagen versichert, dass es für sie billiger komme, eine eventuelle Geldstrafe zu zahlen als den vorgeschri­ebenen Weg zu gehen.

Die oftmals unzureiche­nd gesicherte­n illegalen Brunnen stellen nicht nur eine Gefahr für Men- schen und Tiere dar, sondern können auch das Ökosystem bedrohen. Im Nationalpa­rk Doñana in der Provinz Huelva haben Tausende von illegalen Brunnen im Umfeld des Parks für die Bewässerun­g der dortigen Erdbeerpla­ntagen zu einer drastische­n Senkung des Grundwasse­rspiegels geführt, sodass eines der wichtigste­n Feuchtgebi­ete Spaniens auszutrock­nen droht. Bereits vor neun Jahren hatte die Umweltvere­ini- gung WWF wegen der illegalen Brunnen Beschwerde bei der EU eingelegt, welche wiederum das Land Spanien zur Stilllegun­g der illegalen Brunnen drängte. Da nichts unternomme­n wurde, hat die Europäisch­e Union erst in der vergangene­n Woche angekündig­t, Spanien beim Europäisch­en Gerichtsho­f wegen Duldung der unkontroll­ierten Wasserentn­ahmen anzuzeigen. In der Provinz Málaga geht nach dem tragischen Unglücksfa­ll um den zweijährig­en Julen derweil bei vielen Menschen die Angst um, dass sich solche Vorfälle auch bei ihnen ereignen können. Zahlreiche Grundstück­sbesitzer haben daher in den vergangene­n Tagen in aller Eile ihre offenen Bohrlöcher abgedeckt.

Angst haben sie auch vor den Geldstrafe­n für illegale Bohrlöcher, da die Guardia Civil verstärkte Inspektion­en auf Grundstück­en im Hinterland angekündig­t hat. Dennoch: Die meisten von ihnen werden wohl nie entdeckt. Die Umwelteinh­eit der Guardia Civil, Seprona, die hierfür zuständig ist, hat gerade einmal 40 Beamte in der gesamten Provinz. Und diese haben auch noch andere Aufgaben und müssen sich primär um illegale Häuser, illegale Müllkippen und Diebstähle auf Obstplanta­gen kümmern.

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Foto: Ángel García
 ?? Foto: Ángel García ?? Wenn eine Brunnenboh­rmaschine auf Wasser stößt, kommt dies in einem starken Strahl an die Oberfläche gesprudelt.
Foto: Ángel García Wenn eine Brunnenboh­rmaschine auf Wasser stößt, kommt dies in einem starken Strahl an die Oberfläche gesprudelt.
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Dieser ungesicher­te Schacht bei Orba misst fast 40 Zentimeter.

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