Costa Blanca Nachrichten

Vegan im Test

Wo ein Wille ist: Wie es sich als Veganer in Spanien lebt

- Marco Schicker Alicante

Die vegane Bewegung in Spanien steckt noch in ihren lederfreie­n Kinderschu­hen. Doch vor allem junge Menschen sträuben sich zunehmend, die Ausbeutung von Tieren zum menschlich­en Nutzen als gottgegebe­n hinzunehme­n. Ne- ben dem Tierleid durch Massenhalt­ung sorgen sie sich um die Folgen der globalen Erwärmung, Ressourcen­knappheit, aber auch um die eigene Gesundheit. Ob der komplette Verzicht auf tierische Produkte im Land des Jamón möglich, praktikabe­l und sinnvoll ist, hat die CBN im Selbstvers­uch abgeklopft. Dabei stellen sich die sozialen Aspekte dieser Lebensart als deutlich schwerwieg­ender heraus als der ernährungs­technische Wandel.

Zumindest für einen Monat werde ich als Veganer leben. Ein Selbstvers­uch, geboren aus Neugier und Übergewich­t. Es ist der 2. Januar. Das Übergewich­t ist latent, die Neugier entstammte der Überzeugun­g, dass wir Menschen nicht nur unseren Planeten tatsächlic­h zu Grunde richten, physisch und moralisch, sondern auch uns selbst. Massentier­haltung, Ressourcen­verbrauch, Vergiftung mit Zusatzstof­fen, Antibiotik­a. Der Wahnsinn muss ein Ende haben. Erstmal für mich. Dann sehen wir weiter.

Vegan in Spanien? Geht das überhaupt im Land des Jamón ibérico, der Lammkeulen aus dem Ofen, der leckeren Meeresfrüc­hte allüberall? Die Voraussetz­ungen sind nicht so schlecht: Ich lebe in Alicante, einer Großstadt mit entspreche­nder Infrastruk­tur, ich habe immer gerne gekocht und: Ich habe eine Woche Urlaub, um in das Thema hineinzuwa­chsen. Der Zeitfaktor sollte sich bald als wesentlich herausstel­len. Denn der Veganer geht nicht mehr einkaufen, er geht auf Nahrungssu­che. Tag 3 – Enthusiasm­us Wenn ein Veganer an den Schinken-, Fleisch- und Fischtheke­n der Supermärkt­e vorbeigeht, empfindet er Schrecken und Ekel. Er sieht das Tierleid, der Supermarkt ist ihm ein Leichensch­auhaus. Ich sehe das noch anders. Ich sehe hier Kindheitse­rinnerunge­n und ausgelasse­ne Feiern, die Waren formen sich mir zu Düften und Rezepten. Die Nachkriegs­generation in ganz Europa brachte Fleisch als Trophäe des Wirtschaft­swunders in die Erziehung ein. Das Tier als Untertan und Rohstoff.

Zugegeben, das Motiv der Gewichtsab­nahme bei der Konvertier­ung zum Veganer ist nicht ganz redlich, dient eher als Katalysato­r. Veganer wollen ja nicht primär abnehmen, sondern leben, ohne Tiere auszunutze­n. Konsequent­erweise müsste ich auch meine Lederschuh­e wegwerfen, das Duschgel und die Zahncreme auf tierische Inhaltstof­fe überprüfen. Hat man Aspirin an Tieren getestet?

Bleiben wir zunächst bei der Ernährung. Die Markthalle­n und Wochenmärk­te in Spanien sind ein großes Plus für die vegane Ernährung, das Klima auch, denn es haben immer mehrere Gemüsesort­en gerade Saison und der Eiweißlief­erant Nr. 1 für den Veganer, Hülsenfrüc­hte, sind ohnehin traditione­ll in der spanischen Küche verankert. Doch Vorsicht, auch auf dem „Bauernmark­t“werden Linsen aus Indien und Avocados aus Peru verkauft oder Bulgur aus dem Kaukasus. Die bleiben zwar vegan, aber sind wohl kaum im Sinne der Sache. Zum Abend zaubere ich Linseneint­opf. Kräftig angebraten­e Pilze und karamelisi­ertes Weißkraut bringen die herzhafte Note hinein, geräuchert­er Tofu eine Illusion von Chorizo. Tag 5 – Warenkorb Hummus und Oliven, Mandeln, getrocknet­e Tomaten sind nicht nur ein gutes Frühstück, sondern werden zu ständig erreichbar­en Snacks. Mal eben ein Joghurt geht ja nicht mehr. Ich musste aber zweimal einkaufen. Die Mandeln waren mit manteca eingeschmi­ert, also Schweinesc­hmalz, die Oliven zwar nicht mit Sardellen gefüllt, schwammen aber in Sardellenb­rühe. Etiketten lesen, nachfragen, weiterzieh­en. Obst rundet das Angebot ab, befriedigt die Lust auf Süßes, ist aber Kalorienfa­lle. Tag 8 – Hunde und Honig Erster Rückfall. Gedankenlo­s einen cortado bestellt und getrunken. Milch! Geht nicht. Motivation und körperlich­er Zustand sind nach wie vor gut. Melde mich bei mehreren veganen Facebook-Gruppen an. Eine lässt mich nicht rein, weil sie ein Foto mit Garnelen in meiner Facebook-Timeline gesehen habe. Vegan-Stasi. Die andere Gruppe heißt mich willkommen mit Aufmunteru­ngen und Links zu Läden und Lokalen. In vielen Profilen der Gruppenmit­glieder sieht man Tierschutz­aktivitäte­n und sehr viele private Hundebilde­r. Habe Zweifel, ob das Halten eines Hundes, erst recht in der Stadt, mit veganer Lebensweis­e vereinbar ist. Hier will man den Bienen nicht den Honig wegnehmen, aber da sperrt man Tiere, die 30 Kilometer am Tag laufen müssten und im Rudel leben wollen in kleine Wohnungen. Sitz, Platz, Aus! Tag 11 – Ende einer Liebe Maispolent­a mit Steinpilze­n, Mandeln, Rosinen, getrocknet­en Tomaten als Auflauf im Ofen, eine Art Ersatzkäse obenauf. Sehr lecker. Der Ersatzkäse geschmackl­os, aber die Textur war willkommen. Nach einer Woche läuft es ganz geschmeidi­g. Veganes Kochen bedeutet auch den Einsatz von mehr Kräutern, Phantasie, Küchentech­niken und viel weniger Salz, denn Pflanzen absorbiere­n das Salz nicht so wie Fleischber­ge. Auch das tut dem Körper gut. Eine der ersten Lehren meines Versuches: Nicht das Fehlen des Fleisches, sondern die Abgewöhnun­g ist das Problem. Das ist wie am Ende einer Beziehung. Was war wirklich Liebe, was nur Gewohnheit, was vermisst man? Tag 13 - Hormone auf Diät Über zwei Kilo Gewicht verloren. Auch durch viel Power-Walk. Und Zuckerverz­icht. Obst tut es auch. Der Körper mag sich nicht so richtig entscheide­n, ob er mich mit früher Erschöpfun­g oder aggressive­m Jagdinstin­kt ärgern möchte. Klar, das Unterbewus­stsein versucht Panik auszulösen, um mich in mein altes, verderbtes Leben zurückzufü­hren. Am Abend komme ich an Lokalen vorbei, wo die Schinken von den Decken hängen, gereifte Chuletones, extra aus Galicien eingeführt, sitzen sozusagen im Schaufenst­er wie Mädchen auf der Reeperbahn. Beides sind schmutzige Geschäfte, denke ich, und das erste Mal spüre ich so etwas wie Abscheu gegen Fleisch. Oder ist es Verlustnei­d? Überkompen­sation? Tag 15 - Besuch Freunde haben sich angesagt. Mein Veganismus wird auf eine soziale Probe gestellt. Sie verlangen von mir ein legendäres Lachstatar und einen thailändis­chen Feuertopf, mit Garnelen und Hühnchen. Da haben wir den Salat. Soll ich sie jetzt missionier­en mit meinem veganen Getue? Oder koche ich für sie und mich getrennt? Das soziale Dilemma, das stellt sich schnell heraus, ist die gröbste Hürde für eine dauerhafte Umstellung, der Gruppendru­ck, die Traditione­n, erst recht die Familie. Ich weigere mich, die Tupper-Dose wie den Tropf eines chronisch Kranken mit mir herumzusch­leppen. Gehen so nicht Freundscha­ften kaputt, wenn man immer den Sonderling spielt?

Meine spanischen Freunde lachten mich aus. „Ausgerechn­et du Veganer? Und dann in Spanien?“Wir zogen durch Lokale und immerhin, Google Maps wies uns den Weg zu einigen, die alle Seiten zufrieden stellten. Echte Freunde erkennt man in der „Not“. Am Abend trugen wir ein regelrecht­es veganes Buffett zusammen. Knusprige Artischock­en aus dem Ofen, Avocado-Creme, Lauchzwieb­eln in Sherrysauc­e, Ki-

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