Vegan im Test
Wo ein Wille ist: Wie es sich als Veganer in Spanien lebt
Die vegane Bewegung in Spanien steckt noch in ihren lederfreien Kinderschuhen. Doch vor allem junge Menschen sträuben sich zunehmend, die Ausbeutung von Tieren zum menschlichen Nutzen als gottgegeben hinzunehmen. Ne- ben dem Tierleid durch Massenhaltung sorgen sie sich um die Folgen der globalen Erwärmung, Ressourcenknappheit, aber auch um die eigene Gesundheit. Ob der komplette Verzicht auf tierische Produkte im Land des Jamón möglich, praktikabel und sinnvoll ist, hat die CBN im Selbstversuch abgeklopft. Dabei stellen sich die sozialen Aspekte dieser Lebensart als deutlich schwerwiegender heraus als der ernährungstechnische Wandel.
Zumindest für einen Monat werde ich als Veganer leben. Ein Selbstversuch, geboren aus Neugier und Übergewicht. Es ist der 2. Januar. Das Übergewicht ist latent, die Neugier entstammte der Überzeugung, dass wir Menschen nicht nur unseren Planeten tatsächlich zu Grunde richten, physisch und moralisch, sondern auch uns selbst. Massentierhaltung, Ressourcenverbrauch, Vergiftung mit Zusatzstoffen, Antibiotika. Der Wahnsinn muss ein Ende haben. Erstmal für mich. Dann sehen wir weiter.
Vegan in Spanien? Geht das überhaupt im Land des Jamón ibérico, der Lammkeulen aus dem Ofen, der leckeren Meeresfrüchte allüberall? Die Voraussetzungen sind nicht so schlecht: Ich lebe in Alicante, einer Großstadt mit entsprechender Infrastruktur, ich habe immer gerne gekocht und: Ich habe eine Woche Urlaub, um in das Thema hineinzuwachsen. Der Zeitfaktor sollte sich bald als wesentlich herausstellen. Denn der Veganer geht nicht mehr einkaufen, er geht auf Nahrungssuche. Tag 3 – Enthusiasmus Wenn ein Veganer an den Schinken-, Fleisch- und Fischtheken der Supermärkte vorbeigeht, empfindet er Schrecken und Ekel. Er sieht das Tierleid, der Supermarkt ist ihm ein Leichenschauhaus. Ich sehe das noch anders. Ich sehe hier Kindheitserinnerungen und ausgelassene Feiern, die Waren formen sich mir zu Düften und Rezepten. Die Nachkriegsgeneration in ganz Europa brachte Fleisch als Trophäe des Wirtschaftswunders in die Erziehung ein. Das Tier als Untertan und Rohstoff.
Zugegeben, das Motiv der Gewichtsabnahme bei der Konvertierung zum Veganer ist nicht ganz redlich, dient eher als Katalysator. Veganer wollen ja nicht primär abnehmen, sondern leben, ohne Tiere auszunutzen. Konsequenterweise müsste ich auch meine Lederschuhe wegwerfen, das Duschgel und die Zahncreme auf tierische Inhaltstoffe überprüfen. Hat man Aspirin an Tieren getestet?
Bleiben wir zunächst bei der Ernährung. Die Markthallen und Wochenmärkte in Spanien sind ein großes Plus für die vegane Ernährung, das Klima auch, denn es haben immer mehrere Gemüsesorten gerade Saison und der Eiweißlieferant Nr. 1 für den Veganer, Hülsenfrüchte, sind ohnehin traditionell in der spanischen Küche verankert. Doch Vorsicht, auch auf dem „Bauernmarkt“werden Linsen aus Indien und Avocados aus Peru verkauft oder Bulgur aus dem Kaukasus. Die bleiben zwar vegan, aber sind wohl kaum im Sinne der Sache. Zum Abend zaubere ich Linseneintopf. Kräftig angebratene Pilze und karamelisiertes Weißkraut bringen die herzhafte Note hinein, geräucherter Tofu eine Illusion von Chorizo. Tag 5 – Warenkorb Hummus und Oliven, Mandeln, getrocknete Tomaten sind nicht nur ein gutes Frühstück, sondern werden zu ständig erreichbaren Snacks. Mal eben ein Joghurt geht ja nicht mehr. Ich musste aber zweimal einkaufen. Die Mandeln waren mit manteca eingeschmiert, also Schweineschmalz, die Oliven zwar nicht mit Sardellen gefüllt, schwammen aber in Sardellenbrühe. Etiketten lesen, nachfragen, weiterziehen. Obst rundet das Angebot ab, befriedigt die Lust auf Süßes, ist aber Kalorienfalle. Tag 8 – Hunde und Honig Erster Rückfall. Gedankenlos einen cortado bestellt und getrunken. Milch! Geht nicht. Motivation und körperlicher Zustand sind nach wie vor gut. Melde mich bei mehreren veganen Facebook-Gruppen an. Eine lässt mich nicht rein, weil sie ein Foto mit Garnelen in meiner Facebook-Timeline gesehen habe. Vegan-Stasi. Die andere Gruppe heißt mich willkommen mit Aufmunterungen und Links zu Läden und Lokalen. In vielen Profilen der Gruppenmitglieder sieht man Tierschutzaktivitäten und sehr viele private Hundebilder. Habe Zweifel, ob das Halten eines Hundes, erst recht in der Stadt, mit veganer Lebensweise vereinbar ist. Hier will man den Bienen nicht den Honig wegnehmen, aber da sperrt man Tiere, die 30 Kilometer am Tag laufen müssten und im Rudel leben wollen in kleine Wohnungen. Sitz, Platz, Aus! Tag 11 – Ende einer Liebe Maispolenta mit Steinpilzen, Mandeln, Rosinen, getrockneten Tomaten als Auflauf im Ofen, eine Art Ersatzkäse obenauf. Sehr lecker. Der Ersatzkäse geschmacklos, aber die Textur war willkommen. Nach einer Woche läuft es ganz geschmeidig. Veganes Kochen bedeutet auch den Einsatz von mehr Kräutern, Phantasie, Küchentechniken und viel weniger Salz, denn Pflanzen absorbieren das Salz nicht so wie Fleischberge. Auch das tut dem Körper gut. Eine der ersten Lehren meines Versuches: Nicht das Fehlen des Fleisches, sondern die Abgewöhnung ist das Problem. Das ist wie am Ende einer Beziehung. Was war wirklich Liebe, was nur Gewohnheit, was vermisst man? Tag 13 - Hormone auf Diät Über zwei Kilo Gewicht verloren. Auch durch viel Power-Walk. Und Zuckerverzicht. Obst tut es auch. Der Körper mag sich nicht so richtig entscheiden, ob er mich mit früher Erschöpfung oder aggressivem Jagdinstinkt ärgern möchte. Klar, das Unterbewusstsein versucht Panik auszulösen, um mich in mein altes, verderbtes Leben zurückzuführen. Am Abend komme ich an Lokalen vorbei, wo die Schinken von den Decken hängen, gereifte Chuletones, extra aus Galicien eingeführt, sitzen sozusagen im Schaufenster wie Mädchen auf der Reeperbahn. Beides sind schmutzige Geschäfte, denke ich, und das erste Mal spüre ich so etwas wie Abscheu gegen Fleisch. Oder ist es Verlustneid? Überkompensation? Tag 15 - Besuch Freunde haben sich angesagt. Mein Veganismus wird auf eine soziale Probe gestellt. Sie verlangen von mir ein legendäres Lachstatar und einen thailändischen Feuertopf, mit Garnelen und Hühnchen. Da haben wir den Salat. Soll ich sie jetzt missionieren mit meinem veganen Getue? Oder koche ich für sie und mich getrennt? Das soziale Dilemma, das stellt sich schnell heraus, ist die gröbste Hürde für eine dauerhafte Umstellung, der Gruppendruck, die Traditionen, erst recht die Familie. Ich weigere mich, die Tupper-Dose wie den Tropf eines chronisch Kranken mit mir herumzuschleppen. Gehen so nicht Freundschaften kaputt, wenn man immer den Sonderling spielt?
Meine spanischen Freunde lachten mich aus. „Ausgerechnet du Veganer? Und dann in Spanien?“Wir zogen durch Lokale und immerhin, Google Maps wies uns den Weg zu einigen, die alle Seiten zufrieden stellten. Echte Freunde erkennt man in der „Not“. Am Abend trugen wir ein regelrechtes veganes Buffett zusammen. Knusprige Artischocken aus dem Ofen, Avocado-Creme, Lauchzwiebeln in Sherrysauce, Ki-