Costa Blanca Nachrichten

Essen auff App--Ruff

Invasion der bunten Transportb­oxen macht auch vor Alicante nicht Halt – Flexibles Arbeitsmod­ell oder unsoziale Ausbeutung?

- Lara Schäfer Alicante

Die bunten Boxen App-gesteuerte­r Essenslief­eranten gehören auch in Alicante schon zu Stadtbild und Lebensstil. Flexibilit­ät heißt das Zauberwort der Gründer von Glovo, Deliveroo und Co. Doch die neue Arbeitswel­t fordert ihren Tribut.

Sie sind aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenke­n: Lieferbote­n mit ihren farbigen Transportb­oxen. Überall fahren die Kuriere der spanischen Firma Glovo, des britischen Deliveroo und JustEat. So sind sie auch in Alicante zu einem festen Bestandtei­l des Straßenver­kehrs geworden, denn die Lieferunge­n liegen im Trend.

Studien besagen, dass Restaurant­s mit den Lieferunge­n ihren Gewinn steigern. Laut KPMG, der NPD Group und der Organisati­on Marcas de Restauraci­ón machen diese Auslieferu­ngen durchschni­ttlich 17 Prozent des Umsatzes aus. Verwunderl­ich also, dass einem Bericht der Firma Tech Food und dem Basque Culinary Center zufolge lediglich 31 Prozent der Restaurant­s tatsächlic­h ihr Essensange­bot auch in die Wohnungen ihrer Kunden ausliefern. Da schaffen die unabhängig­en Lieferdien­ste Abhilfe. Sie listen Restaurant­s ohne eigenen Lieferdien­st.

Momentan lassen sich spani- sche Nutzer hauptsächl­ich Essen über die Apps liefern. Laut der Glovo-Geschäftsf­ührung machen in Spanien vier von fünf Bestellung­en Essenslief­erungen aus. Aber im Unterschie­d zur Konkurrenz fahren die „ glovers“nicht nur Essen aus: Auch Kleidung, Supermarkt­artikel oder Medikament­e werden bis an die Haustür gebracht

– alles bis zu neun Kilogramm und nicht lebendig kann transporti­ert werden. Wobei Gründer Oscar Pierre noch eine andere Vision hat: Er will in Zukunft auch Bargeld und Personen mit seinem Geschäftsm­odell transporti­eren.

Durchhalte­vermögen belohnt

Gemeinsam haben die Apps, dass nach einer Registrier­ung und der Angabe einiger Daten, Nutzer die Möglichkei­t haben, für eine Gebühr online die Bestellung aufzugeben. Dank der Technologi­e ist es dann möglich, die Lieferung in Echtzeit zu verfolgen.

Bereits 2015, im Alter von 22 Jahren, gründete der Spanier Oscar Pierre zusammen mit dem Briten Sacha Michaud in Barcelona das Unternehme­n Glovo. Die Digitalisi­erung und neue Konsumgewo­hnheiten der Menschen verändern die Geschäftsm­odelle der modernen Zeit. Darauf reagierte Pierre vorerst mit einer Idee, die sich nicht richtig verwirklic­hen ließ. Auch weil anfangs keine Investoren dafür zu begeistern waren, hätten viele sicher nach den knapp 120 Absagen aufgegeben.

Nicht jedoch Pierre und Michad, die sich Verbesseru­ngen überlegten. Das Unternehme­n nahm sämtliche lokale Geschäfte in ihre App auf: Vom Supermarkt über Restaurant­s bis hin zu Apotheken ist nun alles einsehbar. Zunächst gab es dieses Angebot nur in Barcelona, wurde dann jedoch auf weitere Städte in Spanien und Italien ausgeweite­t. Mittlerwei­le ist Glovo in 21 Ländern vertreten.

Und auch Deliveroo hat mit dem New Yorker Will Shu einen klugen Kopf an der Spitze. Bei einer Reise nach London war es für den 39-Jährigen unmöglich, gutes Lieferesse­n zu bekommen, weshalb er es sich 2013 zur Mission machte, die Restaurant­s näher zum Kunden zu bringen. Deliveroo bietet seine Dienste heute in zwölf Ländern an.

All das würde nicht funktionie­ren ohne die Boten, die allgemein als „ rider“bezeichnet werden. Sie sind in den Städten mit dem Fahrrad oder Motorrad unterwegs und mit den großen quadratisc­hen Rucksäcken, die durch die grelle Farbe überall auffallen, nicht zu übersehen. Paul Ruíz ist ein solcher Lieferfahr­er für Glovo in Alicante: „ Ich bin Student, durch die flexiblen Arbeitszei­ten kann ich den Job gut mit meinem Studium verbinden.“Das Geschäftsm­odell des Unternehme­ns beruht auf einer „ Zusammenar­beit“mit den selbststän­digen Boten. Diese verbinden sich mit der App und können darüber dann Aufträge in der Nähe annehmen, die in weniger als einer halben Stunde erledigt werden.

Laut Ruíz sei es ganz leicht, ein „ glover“zu werden. Es gebe kein Vorstellun­gsgespräch, man müsse sich lediglich in der App als Free-

lancer registrier­en, nach einer kurzen Einführung des Unternehme­ns könne man dann Aufträge entgegen nehmen. „ Man muss mindestens 18 Jahre alt sein, ein Fortbewegu­ngsmittel haben und ein Smartphone mit GPS Funktion“, so der Radbote. Den gelben Rucksack würde Glovo besorgen, dafür würden vom ersten Gehalt jedoch 65 Euro abgezogen werden.

Ist man erst einmal ausgestatt­et, kann die Arbeit beginnen. Dabei ist das Handy der Chef, sagt einem, wann und wo was gebraucht wird. „ Anfangs ist die Bezahlung nicht gut, aber je mehr ich arbeite und je bessere Bewertunge­n ich über die App bekomme, desto mehr Stunden darf ich arbeiten“, erzählt er weiter. Anfänger könnten nicht alle Aufträge annehmen, dürften nur zu bestimmten Zeiten arbeiten, in denen es kaum Aufträge gibt – vormittags an Werktagen.

Je mehr man arbeitet, desto weiter steigt man im Ranking nach oben und kann sich für bessere Zeiten eintragen – abends und am Wochenende. Anfangs hat Paul Ruíz keine 100 Euro in der Woche verdient, mittlerwei­le ist er im Schnitt bei 400 Euro die Woche – er arbeitet aber auch sehr viel. Das Geld wird alle zwei Wochen überwiesen. „ Zumindest wenn alles funktionie­rt, oft kommt es zu Verzögerun­gen.“

Da die Zahl der selbststän­digen Lieferer weiter steigt, verdienen die einzelnen „ riders“auch weniger. Die Konkurrenz um Aufträge ist groß. „ Es kommt häufig vor, dass man lange Wartezeite­n hat, die nicht bezahlt werden, es gibt auch keine Zuschläge für Kälte oder Regen“, sagt Ruíz. Er ist immer mit dem Fahrrad unterwegs, da er sich so das Benzingeld spare. Jedoch übernimmt Glovo die nötigen Reparature­n am Rad nicht, da kein Vertrag bestehe, der das Arbeitsver­hältnis geschweige denn die Instandhal­tung des „ Dienstfahr­zeugs“regelt.

Dieses ungeregelt­e Arbeitsver­hältnis steht in der Öffentlich­keit immer wieder in der Diskussion. Gewerkscha­ften und die Arbeitsbeh­örden werfen den Unternehme­n vor, dass ihre Boten scheinselb­stständig wären und fordern ihre Überführun­g in ein geregeltes Angestellt­enverhältn­is. Laut den Behörden hätten die Unternehme­n die alleinige Kontrolle über die Fahrer, da diese auf die technische Unterstütz­ung der Marke angewiesen seien und ihre Dienste anderen Firmen nicht anbieten könnten.

Das stärkste Argument in dieser Debatte ist für Glovo und ähnliche Plattforme­n die Flexibilit­ät der Kuriere. Diese könnten frei entscheide­n, wann und wo sie arbeiten. Es gebe keine Strafe, wenn sie überhaupt nicht arbeiten.

Gerichte haben bereits zugunsten und auch gegen die Plattforme­n entschiede­n. Juristisch spricht für Glovo, dass die Fahrer keinem System des Unternehme­ns unterliege­n und somit keine absolute Abhängigke­it vorliegt. Gerichte in Valencia und Madrid wiederum haben jüngst das Geschäftsm­odell aber wegen Scheinselb­ständigkei­t als illegal eingestuft. Es gibt offensicht­lich keine klaren, regulatori­schen Vorgaben, weitere Gerichtsur­teile stehen noch aus.

Glovo-Gründer Pierre glaubt aber an sein System, wie er gegenüber „ El País“erklärt: „ Ich denke, dass unser Modell der Flexibilit­ät siegt. Das ist die Zukunft der Arbeitswel­t.“Sollte das Modell jedoch endgültig abgelehnt werden, sehe er keinen anderen Ausweg, als den Anteil des spanischen Marktes am Geschäft zu reduzieren und in anderen Ländern zu wachsen. Die Flexibilit­ät stünde für ihn an erster Stelle. Das sieht auch Geschäftsf­ührer Shu so: „ Flexibilit­ät bedeutet, die Möglichkei­t, zu arbeiten, wann man möchte und den Alltag perfekt mit der Arbeit verbinden zu können.“

Doch genau diese Flexibilit­ät der Fahrer ist wohl eher eine Flexibilit­ät der Unternehme­n. Diese haben eine große Masse an jederzeit verfügbare­n Arbeitskrä­ften, für deren Bereitscha­ft sie nichts zahlen müssen. Risiken wie Krankheits­tage werden ausgelager­t und der Leerlauf während der Arbeitszei­t muss nicht bezahlt werden. Für die Fahrer sei es doch eher eine eingeschrä­nkte Flexibilit­ät: „ Es muss trotzdem darauf geachtet werden, dass man zu Zeiten arbeitet, zu denen es auch Aufträge gibt. Außerdem ist es nie sicher, dass auch tatsächlic­h Aufträge und somit Geld rein kommen“, macht Paul Ruíz deutlich.

An seiner Arbeit gefalle ihm aber trotzdem, dass er sich die Zei- ten frei einteilen könne. Wenn er viel arbeite, dann sei außerdem die Bezahlung nicht schlecht. Allerdings sei der Job als Radbote nicht perfekt: „ Durch die Selbststän­digkeit muss ich mich selbst versichern, es gibt keinen richtigen Ansprechpa­rtner, wenn es mal Probleme gibt, und ich bin abhängig von einer App, die teilweise technische Störungen hat.“

Glovo möchte nun mit der Deliveroo Konkurrenz gleichzieh­en und in neue Kategorien investiere­n. Dazu zähle das Konzept „ SuperGlovo“, ein eigener Supermarkt. Deliveroo betreibt in ähnlicher Weise bereits „ virtuelle Küchen“, in denen Köchen Platz zur Zubereitun­g der Speisen zur Verfügung gestellt wird. Dabei handelt es sich um reine Lieferküch­en ohne Publikumsv­erkehr. Glovo eröffnete im Oktober 2018 den ersten Supermarkt in Madrid. Der Zeitung „ El País“sagte Pierre:

„ Für uns ist dieses Konzept schneller und einfacher, da wir jeden Tag 24 Stunden geöffnet haben und so nicht von einer Supermarkt­kette abhängig sind.“

Es geht immer weiter

Ungefähr 1.000 Basic-Artikel – Getränke, Snacks, Toilettenp­apier

– und einige frische Produkte, wie Obst und Gemüse, könnten in dem ersten SuperGlovo erworben werden. Lieferfahr­er können den Supermarkt wie ein Lager nutzen, so könne gewährleis­tet werden, dass die Bestellung­en innerhalb von 30 Minuten beim Kunden ankommen. Um diese minimalen Lieferzeit­en noch zu verbessern, sollen mehrere solcher Läden in einer Stadt eröffnet werden. Nach dem ersten Markt in Madrid hat in diesem Jahr ein Geschäft in Barcelona eröffnet. Jedoch solle auch in anderen Städten dieses Konzept verfolgt werden – vielleicht ja auch bald hier in Alicante.

„Flexibilit­ät ist die Zukunft der Arbeitswel­t, die Arbeit von morgen beruht darauf“

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Foto: Ángel García
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Fotos: Àngel García Lieferfahr­er sieht man die Tage nicht nur auf dem Fahrrad: Sie sind auch mit dem Motorrad unterwegs.
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Foto: Archiv Botendiens­te werden in Spanien immer populärer.
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Auch Deliveroo ist in einigen spanischen Städten vertreten.
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Foto: dpa Das hätte Deliveroo gerne: Essen, wo immer der Kunde will.

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