Stadt der Kultur und Kunst
Wer einen Sprung nach Marokko wagt, kann spannende Dinge erleben und interessante Menschen kennenlernen
Marokko ist nur einen Katzensprung von Andalusien entfernt. Je nach Wohnort und Wetter kann man von der Costa del Sol aus sogar die Silhouette des nordafrikanischen Kontinents am Horizont erkennen. Auf der anderen Seite des Estrecho lockt eine völlig andere Welt, die man länger oder aber nur bei einem Wochenendausflug entdecken kann. Von Tarifa aus schippert man in nur 35 Minuten gemütlich mit der Fähre bis in den Hafen von Tanger, den Einreisestempel drücken die marokkanischen Grenzpolizisten direkt an Bord in den Pass. Und sobald man im Hafen von Tanger marokkanischen Boden betreten hat, liegt Europa auf einem anderen Stern. Das Abenteuer kann beginnen.
Tanger ist lebendig und bunt, eine Stadt voller Kontraste mit fremden Gerüchen und anderer Kultur. In den engen und verwinkelten Gassen der Kasbah und der Medina kann sich der Besucher wunderbar treiben und verzaubern lassen. Aber auch ein Ausflug nach Assilah, einem reizenden Städtchen an der Atlantikküste, das nur etwa 40 Kilometer und knapp eine Stunde Autofahrt von Tanger entfernt liegt, lohnt auf jeden Fall. Die Medina ist klein, aber gut erhalten, die Menschen sind aufgeschlossen, freundlich und immer für ein Schwätzchen zu haben. Händler und andere geschäftstüchtige Einwohner geben sich nicht allzu viel Mühe, das Klischee des aufdringlichen Urlauberschrecks zu erfüllen, das sich bei vielen Europäern so hartnäckig festgesetzt hat. Assilah ist ziemlich cool, die Anwohner sind an Touristen gewöhnt und haben kein Interesse daran, diese zu vergraulen.
Kunst in den Gassen
Ende der 1980er Jahre wurde dem Kleinstädtchen der Agha Khan-Architekturpreis verliehen. 1978 wurde das internationale Kulturfestival Moussem Culturel d’Assilah ins Leben gerufen, das alle zwei Jahre organisiert wird. Das künstlerische Ambiente gehört seitdem dazu. Maler, Bildhauer, Schriftsteller oder Musiker haben Samen gesät, die Früchte tragen. Diese zeigen sich nicht nur an den Hauswänden in den Gassen der Medina, an denen unterschiedliche Künstler immer wieder neue, farbenfrohe Werke verewigen. Auch in den Galerien eröffnet sich ein spannender Einblick in das kreative Schaffen kontemporärer marokkanischer
Künstler. Kein Wunder, dass das Ambiente, das durch die hübschen Gassen weht, in den vergangenen Jahrzehnten auch einige ausländische Künstler in die Stadt gelockt und zum Bleiben bewegt hat.
Die Grafikerin und Illustratorin Anne-Judith van Loock gehört dazu. Vor drei Jahrzehnten hat sie Assilah im Urlaub kennengelernt. Damals verliebte sie sich in die Stadt, das Licht, das Meer und auch in einen marokkanischen Mann. Ein Jahr pendelte sie zwischen Belgien und Marokko hin und her, dann blieb sie und baute sich ein Haus. Als das erledigt war, wollte sie arbeiten. Und weil sie schon von klein auf eine Verbindung zur Kunst hatte, war es für sie naheliegend, etwas Kreatives zu tun. Ihre Galerie Aplanos im Herzen der Medina eröffnete sie 1995 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Ahmed Enraadiya. „ Mein Vater war ein großer Kunstsammler, ich bin mit Surrealisten aufgewachsen“, erzählt die quirlige 72-Jährige, während sie sich mit geschickten Fingern eine Zigarette rollt, diese in den Mundwinkel schiebt, anzündet und auf ein Bild deutet, das hinter ihrem Schreibtisch an der Wand hängt. Das bin ich als Jugendliche“, lacht sie, René Magritte hat es gemalt“. Im vorderen Teil der Galerie präsentiert van Loock moderne Werke, manchmal kommen Kinder, die bei ihr malen lernen.
Die hinteren Räume sind für die Sammlung ihres Vaters reserviert, darunter unzählige antike Originaldrucke aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Anne-Judith van Loock mag Marokko, woanders hinzugehen, kann sie sich nicht vorstellen. Lieber will sie auch weiterhin etwas dafür tun, dass die Werke marokkanischer und der in Marokko lebenden europäischen Künstler bekannter werden. In As- silah bemüht man sich nicht nur um die Kunst, sondern auch um eine offene Kommunikation und eine Auseinandersetzung mit aktuellen Themen. Nebenbei kann man wunderbar shoppen, sich dabei mit herrlichen Teppichen eindecken und von der Schönheit des marokkanischen Kunsthandwerks verzaubern lassen. Wer in Tanger bleiben und in schönem Ambiente übernachten will, sollte sich in einem Hotel in der Kasbah einbuchen. Wie im La Tangerina, das dem Deutschen Jür- gen Leinen und seiner Frau Farida gehört. Hinter unscheinbarem Mauerwerk verbirgt sich eine herrliche Mischung aus Antiquitäten und prächtigen marokkanischen Stoffen, Teppichen und Kacheln. Von der Dachterrasse aus blickt man über das Meer bis nach Tarifa. Und wenn die Sonne über den Dächern untergeht und den Himmel in allen Rottönen einfärbt, wenn der Wind plötzlich schweigt, die allgegenwärtigen Möwen still auf Mauern und Kuppeln verharren und die Muezzine das Abendgebet singen, dann ist man im Orient angekommen.