Protest nach Urteil
Oberster Gerichtshof spricht Urteil im Prozess gegen Separatistenführer – Unruhen in Katalonien
Das Urteil im wohl bedeutendsten Prozess in der Geschichte der spanischen Demokratie ist gefallen. Der Oberste Gerichtshof verurteilte neun der zwölf Angeklagten im Separatistenprozess zu Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren. Das harte Urteil hat Proteste und Ausschreitungen in Katalonien provoziert.
Madrid – sk. Keine Rebellion gegen den spanischen Staat, sondern nur Aufruhr, eigentlich eine Finte in einem Machtpoker, bei der die eigenen Anhänger hinters Licht geführt wurden: Zwei Jahre nach dem Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 in Katalonien haben sieben Richter des Obersten Gerichtshofs um den Vorsitzenden Manuel Marchena die angeklagten Separatisten einstimmig schuldig gesprochen. Neun Politiker und Aktivisten erhielten am Montag drakonisch hohe Haftstrafen von neun Jahren und mehr und müssen sich eigentlich noch glücklich schätzen: Die Staatsanwaltschaft plädierte erfolglos auf Rebellion, die mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet wird.
Die Richter aber machten in den turbulenten Tagen zwischen dem illegalen Referendum und der Unilateralen Unabhängigkeitserklärung (DUI) keinen gewaltsamen Umsturzversuch aus. Womöglich um der Einstimmigkeit willen erkannten sie darin nur ein taktisches Manöver, eine Farce mit dem Ziel, den Staat zu Verhandlungen über eine Volksbefragung über die Selbstbestimmung Kataloniens zu drängen.
Der Hauptangeklagte und frühere stellvertretende Ministerpräsident und Chef der Republikanischen Linken (ERC), Oriol Junqueras, muss für den dafür angezettelten Aufruhr und die Veruntreuung öffentlicher Gelder mit 13 Jahren Gefängnis rechnen. Seine Kollegen, der frühere Landtagssprecher Jordi Turull und zwei weitere Landesminister, wurden zu je zwölf Jahren Haft verurteilt – wohlgemerkt für die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums und dessen Finanzierung mit öffentlichen Geldern. „ Es steht nicht uns zu, politische Lösungen für ein so tief verwurzeltes historisches Problem aufzuzeigen“, so die Richter.
Die ersten Reaktionen sprachen Bände und überstiegen die schlimmsten Erwartungen der Madrider Regierung wohl bei weitem. Demonstranten legten wichtige Infrastrukturen in Barcelona und im restlichen Katalonien lahm, von den AVE-Trassen über die Autobahn AP-7 bis hin zum Flughafen El Prat. Das Chaos nahm bis Mittwochnacht an Intensität zu, Autos brannten, Radikale bewarfen Polizisten mit Molotowcocktails und Säure. Die öffentliche Ordnung und Sicherheit scheinen in Gefahr.
Die handlungsunfähige Landesregierung pflanzte sich wieder zwischen alle Stühle, indem sie die Demonstranten zu zivilem Ungehorsam und Protest gegen die „ ungerechte Vergeltungsmaßnahme“des spanischen Staats anstachelte, während sie ihre Pflicht zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung den Schlagstöcken der Landespolizei Mossos d’Escuadra übertrug. Das Gebahren von Ministerpräsident Quim Torra bezeichneten Journalisten als geradezu „ schizophren“– der oberste Dienstherr der Mossos marschierte wie ein Aktivist bei den Demonstrationen mit und verurteilte nur zögerlich die gewalttätigen Ausschreitungen gegen die ihm unterstehenden Polizisten.
Bei den Straßenschlachten in Barcelona und am El Prat sind bisher an die 200 Menschen verletzt worden, einer der Beteiligten verlor ein Auge. Dienstag- und Mittwochnacht herrschte in den Straßen der Ausnahmenzustand. Dass die Region noch nicht unter einer neuen Zwangsverwaltung steht, verdanken die Katalanen dem korrekten Vorgehen der Mossos d’Escuadra, die hervorragend mit dem Innenministerium kooperieren. Die Randale einiger vermummter Radikale schadet der Unabhängigkeitsbewegung ungemein, die ge
Von Märtyrern und Verlierern in einem entzweiten Land
wissermaßen ihre Unschuld und den Nimbus einer pazifistischen Bewegung endgültig verloren hat. Das Innenministerium hat sich längst auf die Spur der Radikalen geheftet, spricht von „ vereinzelten, aber koordinierten Aktionen“. Scheinbar steuert eine neue Plattform namens Tsunami Democràtic die Aktionen der einzelnen radikalen CDR-Gruppen. Lange wird der Staat nicht mehr zuschauen, wenn Separatisten wichtige Infrastrukturen in Beschlag nehmen und die öffentliche Sicherheit in den Straßen aushebeln. Ministerpräsident Pedro Sánchez besprach bereits Maßnahmen mit PP, C’s und Podemos.
Konsequenzen des Urteils
Das harte Urteil spaltet Spanien und Katalonien weiter entzwei. Die Unabhängigkeitsbewegung hat in den Verurteilten ihre Märtyrer gefunden, ihre „ politischen Gefangenen“, die zudem wegen der Amtsverbote nicht mehr bei Wahlen kandidieren können. Zumal sogar die beiden bekanntesten Aktivisten der Bewegung, die beiden Jordis – nämlich Jordi Sánchez, Ex-Präsident der Asamblea Nacional Catalana (ANC), und Jordi Cuixart, derzeit noch Vorsitzender von Òmnium Cultural – auch neun Jahre Gefängnis wegen Aufruhrs auf sich nehmen müssen. Der frühere katalanische Innenminister Joaquim Forn bekam sogar zehneinhalb Jahre aufgebrummt und die Ex-Landtagspräsidentin Carme Forcadell elfeinhalb Jahre.
Das Urteil führt zu weitreichenden politischen und juristischen Konsequenzen, die zum Teil bereits mit der Neuausstellung des Europäischen Haftbefehls gegen den flüchtigen Ex-Ministerpräsidenten Carles Puigdemont ihren Lauf nahmen. Und die ersten Reaktionen der Madrider Politik zeigten klar, dass Pedro Sánchez in der Katalonienpolitik auf die harte Linie mit Volkspartei und Ciudadanos schwenken will. Am Montag rollte auch kein Fußball über den katalanischen Rasen. Der Landesverband sagte alle Spiele seiner 170 Clubs aus „ Solidarität mit den verurteilten Politikern und Aktivisten und deren Familien“ab. „ Das Gefängnis ist nicht die Lösung. Genauso wenig wie die U-Haft dazu beitrug, den Konflikt zu lösen, tun es die Gefängnisstrafen, die heute verhängt wurden“, verkündete der FC Barcelona. Weder Gerard Piqué, noch Pep Guardiola oder Xavi Hernández machten jemals einen Hehl aus ihren politischen Überzeugungen. Dass sie nun auf derart klare Weise Stellung bezogen, lässt erahnen, wie die katalanische Gesellschaft dieses Urteil aufnimmt, nämlich als die Statuierung eines Exempels, als eine Vergeltung dafür, dass man den Staat gefoppt und aller Verbote zum Trotz ein Referendum abgehalten hatte – wenn es nur so gewesen wäre.
Das Gericht entzog vielen Parolen der Separatisten ihre juristische Grundlage. Auf das Recht auf Selbstbestimmung der Völker können sich Katalanen künftig nicht mehr berufen, da es nicht gegen die Integrität souveräner Staaten angewandt werden kann. Auch Parallelen zu Montenegro, Kanada, Schottland sahen die Richter nicht, da eine Abspaltung nie einseitig, sondern nur im Rahmen einer Verfassung vollzogen werden kann.
Der in seiner Tragweite wohl bisher bedeutendste Prozess in der spanischen Demokratie sprach, wie viele Katalanen erwartet hatten, ein harsches Urteil über die Rolle der Separatistenführer bei dem verbotenen Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 und der daraus resultierenden unilateralen Unabhängigkeitserklärung, die ja die Angeklagten der damaligen Regionalregierung heute gerne als „ symbolischen Akt“abtun. Die Ansicht der Separatisten von dem stets pazifistischen Charakter des Procés wollten die Richter nicht teilen. Sie sprachen sehr wohl von „ zweifelsfreien Episoden der Gewalt“im Herbst 2017, ein einziges, zielgerichtetes Motiv konnten sie in den Ausschreitungen aber nicht erkennen.
Eine Voraussetzung für den Tatbestand der Rebellion sah das Gericht deswegen also nicht gege
Ein Bluff hielt im Oktober 2017 für kurze Zeit die Welt in Atem