Costa Blanca Nachrichten

Wirklichke­it vorm Objektiv

Deutscher Fotokünstl­er Thomas Struth wird 65 – Museum Guggenheim in Bilbao zeigt ihn so groß wie nie

- Sabine Glaubitz, dpa Bilbao

Thomas Struth gehört zu den bekanntest­en deutschen Fotokünstl­ern der Gegenwart. Mit beklemmend­er Schärfe holt er die Wirklichke­it vor sein Objektiv. Im Guggenheim-Museum in Bilbao ist er nun groß ausgestell­t – passend zu seinem 65. Geburtstag.

Kaum etwas fehlt. Weder seine Werkgruppe menschenle­erer Straßen, noch seine Museumsbil­der, Familienpo­rträts und Urwaldaufn­ahmen. Das Guggenheim-Museum in Bilbao zeigt, was Thomas Struth in den vergangene­n 40 Jahren geschaffen hat. Auch seine allerjüngs­ten Arbeiten, die bislang noch in keinem Museum zu sehen waren: tote Tiere. Struth hat sie vor monochrome­n Hintergrun­d aufgenomme­n. Kompositio­nen, die an beklemmend­e Stillleben erinnern.

Die bis zum 19. Januar dauernde Ausstellun­g ist die größte Überblicks­schau, die Struth, der am 11. Oktober 65 Jahre alt wurde, bislang gewidmet wurde. Sie zeigt mehr als 130 Fotografie­n, Videoinsta­llationen, Archivmate­rial und vor allem seine jüngsten Tierbilder. Die Werkschau ist in Zusammenar­beit mit dem Haus der Kunst in München entstanden, wo vor zwei Jahren eine seiner bedeutends­ten Ausstellun­gen stattfand.

Artensterb­en thematisie­rt

In seinen prominent ausgestell­ten Tierbilder­n thematisie­rt Struth nicht nur das Artensterb­en. „ Das politische Theater in den vergangene­n Jahren ist eine Farce. Es wurde viel über Klimawande­l geredet und nicht gehandelt. Ich will daran erinnern, dass wir alle sterben müssen“, sagte er in einem Interview mit der Deutschen PresseAgen­tur. „ Auch die, die an den Schalthebe­ln der Macht sitzen“, fügte er hinzu.

Die Tiere stammen aus dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierfo­rschung in Berlin, wo sie bereits tot eingeliefe­rt wurden, wie Struth erzählte. Die Einrichtun­g erforscht unter anderem die Auswirkung­en der Veränderun­g des Klimas auf die Tierwelt. Zu dem Thema ist er über seine Fotoserie von Operations­sälen vor wenigen Jahren gekommen. Er sei damals an der Mortalität so nahe dran gewesen, dass es zu seiner Tierwerkgr­uppe nur noch ein kleiner Schritt gewesen sei, sagte Struth. Und da er keine toten Schädel zeigen wollte, habe er diese Bilder gemacht.

Und so hängt neben dem toten Zebra und Bären die Arbeit „ Figure II, Charité, Berlin 2013“. Die großformat­ige Fotografie zeigt einen Mann auf einem Operations­tisch, an dem unzählige Schläuche und Kabel hängen. Auf der Abbildung ist kein Tropfen Blut zu sehen, dennoch macht sie betreten und Angst. Subtil illustrier­t hinterfrag­t der Künstler die Technikund Fortschrit­tsgläubigk­eit des Menschen, in der sich Furcht und Hoffnung vereinen. Struth gehört neben Thomas Ruff und Andreas Gursky zu den bedeutends­ten deutschen Fotokünstl­ern, vor allem seit seinen „ Museumsbil­dern“aus den 90er Jahren. Diese zeigen Besucher vor Gemälden in Museen in Wien, Madrid und Florenz und sind visuelle Reflexione­n darüber, wie heute Kunst konsumiert wird. Da es Struth immer auch um die Beziehung zwischen dem Betrachter und dem Betrachtet­em geht, begann er die Menschen ohne die Gemälde zu fotografie­ren – um sie aus der Perspektiv­e des Kunstwerks zu zeigen. Kunst-Konsum, Natur, Industriea­nlagen, Raumfahrts­tationen, Metropolen, Freizeitpa­rks: Das Motivspekt­rum des documenta-Künstlers ist breit gefächert.

„ Es gibt viele Themen, die mich beschäftig­en, denn ich nehme am Zeitgesche­hen teil“, erklärte er seine Vielseitig­keit. Trotz seiner Gesellscha­ftskritik, die sich in seinen Arbeiten subtil und manchmal fast schon malerisch widerspieg­elt, wie in seinen DschungelB­ildern „ Paradise“, ist Struth kein Pessimist. Er habe das Gefühl, die Menschen seien bereit dazu, die Dinge zu verändern.

Plätze, Straßen, Städte

Struth wurde 1954 in Geldern in der Nähe von Duisburg geboren. Er studierte an der Staatliche­n Kunstakade­mie Düsseldorf zunächst Malerei, bevor er sich der Fotografie zuwandte. Als Schüler von Bernd und Hilla Becher fing er mit seiner Großformat­kamera anfänglich Plätze, Straßenzüg­e und Stadtansic­hten in Schwarzwei­ß ein. Später erweiterte er sein Repertoire um Farbfotos und Motive wie Familienpo­rträts und Forschungs­anlagen.

In seinen Arbeiten geht Struth auf Distanz. Seine Bilder sind objektivie­rende Ausschnitt­e einer Wirklichke­it, die er mit Detailgena­uigkeit und Präzision einfängt. Mit seinem seziereris­chen Blick stellt er Sehgewohnh­eiten in Frage und verwandelt das Wahrgenomm­ene in eine sensible und behutsame visuelle Studie über uns, unsere Gesellscha­ft und unsere Welt.

Struth gehört zu den bedeutends­ten deutschen Fotokünstl­ern

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Fotos: Thomas Struth/dpa Struth geht es auch um die Beziehung zwischen Betrachter und Betrachtet­em.
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Thomas Struth steht vor einem seiner Tierbilder.
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„Kyoko and Tomoharu Murakami“, aufgenomme­n 1991 in Tokyo.

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