Meer kollabiert
Drei Tonnen toter Fische an Strände des Mar Menor gespült
Das Mar Menor befindet sich im Ausnahmezustand. Seit gut einer Woche sind Reinigungskräfte dabei, an den Stränden der Lagune aufzuräumen. Drei Tonnen toter Fische, Krebse und anderer Meeresbewohner mussten von den Stränden und aus den seichten Gewässern entfernt werden. Jetzt steht die Frage nach der Ursache für diese ökologische Katastrophe im Raum. Im Gespräch sind die Unwetter vom September, aber auch die bislang nicht bestätigte Theorie, dass eine aggressive Chemikalie ins Meer geleitet wurde. Auch über den richtigen Umgang wird heftig diskutiert. Umweltschützer fordern vor allem mehr Einschränkungen für die Agrarindustrie.
Bei keinem anderen Unwetter sind tausende Fische gestorben
Selten war ein Name so sehr Programm: Mar Menor bedeutet in etwa „ kleineres Meer“– und genau diese geringe Größe soll der Lagune in der vergangenen Woche zum Verhängnis geworden sein. Drei Tonnen tote Fische, Krebse und andere Meerestiere wurden seit Donnerstag, 10. Oktober, an den Strände angeschwemmt, die Frage ist nur, warum. Relativ sicher ist, dass Sauerstoffmangel im Wasser Schuld war, was an sich keine Neuigkeit wäre. Ohne einen Ausoder Abflusspunkt ist es praktisch unmöglich für ein Gewässer, sich nach eingetretenem Sauerstoffmangel wieder selbst zu regenerieren. Das Mar Menor ist somit vergleichbar mit einem See.
Auch die geschäftsführende spanische Umweltministerin Teresa Ribera (PSOE), die das Gebiet am Mittwoch, 16. Oktober, unter der Leitung des Umweltverbandes Anse (Asociación de Naturalistas del Sureste) besuchte, fand kritische Worte für das Krisenmanagement der PP-geführten murcianischen Landesregierung. Sie spricht von einem „ Umweltnotstand“, der „ sehr ernste und rigorose Maßnahmen“erfordere. Sie betont, dass die Landesregierung, die den Landwirten traditionell sehr zugewandt ist, nicht in der Situation sei, Forderungen zu stellen.
Die Suche nach der Wahrheit
Der Ort San Pedro, der ganz im Norden der Lagune liegt, macht von außen betrachtet gute Miene zum bösen Spiel, die Strände sind zwar noch gesperrt, aber Reinigungskräfte sind im Dauereinsatz, um die toten Tiere aus dem Blickfeld zu entfernen. Fragt man allerdings abseits von Polizei und Vertretern der Regierung nach, wird schnell deutlich, wie groß die Unzufriedenheit tatsächlich ist. „ Uns werden nur Lügen erzählt. Die murcianische Regierung schaut immer weg, wenn die Landwirtschaft das Meer verpestet und ich bin mir sicher, dass auch das aktuelle Fischsterben keine natürliche Ursache hat“, klagt beispielsweise Iván Moreno, Kellner des Restaurants Los Molinos.
Damit spielt er auf die Erklärung von Wissenschaft und Regierung an, die das Fischsterben aktuell auf die starken Unwetter im September zurückführen. Regen – und damit Süßwasser – angereichert mit Schmutzpartikeln aus der Luft seien demnach auf die Meeresoberfläche gelangt. Durch die starken Winde der letzten Woche habe sich dieses sauerstoffarme Süßwasser mit den unteren Schichten aus sauerstoffreichem Salzwasser vermischt, wodurch das Mar Menor praktisch „ umgekippt“sei.
Auch die anderen Bewohner San Pedros sind skeptisch, was die Erklärung des Wetterphänomens Dana zum Schuldigen für die Umweltkatastrophe angeht. Nicht nur einmal wird die Frage laut, wieso erst Wochen nach den Unwettern tonnenweise Fische sterben mussten. Für den aufgebrachten Ort, der von Tourismus und Fischfang lebt, fehlt ein entscheidender Faktor in dieser Rechnung.
„ Jahrelang konnten die Landwirte mit dem Mar Menor alles machen, was sie wollten, und jetzt bekommen wir alle die Quittung dafür“, wettert Miguel Henarejos Villegas, dessen Eltern das kleine Hotel Alaska, nur wenige Meter vom Strand entfernt, gehört und der auch für die oppositionelle PSOE im Stadtrat sitzt. Er sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der ökologischen Situation und dem Rückgang der Touristen, die Familie wird das Hotel künftig nur noch fünf statt sieben Monate im Jahr öffnen. „ Ich bin mir ganz sicher, dass auch diesmal wieder eine schädliche Chemikalie wie Methan oder verpestetes Abwasser ins Meer geleitet worden sind, die dem Ökosystem jetzt den Rest gegeben haben. Starke Unwetter hatten wir schon früher und dabei sind nicht so viele Fische gestorben“.
Dieser Meinung schließt sich auch der Direktor der Fischereigenossenschaft von Pinatar, Jesús Gómez, an. „ Ganz sicher hat diese Situation ihren Ursprung in der Vergangenheit. Das Meer wurde so sehr verseucht, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es kollabiert. Von Seiten der Fischereigenossenschaft haben wir immer wieder informiert und demonstriert, aber nichts ist passiert“, bedauert er.
Die Art und Weise, wie die Regierung das Problem angeht, macht ihn wütend. „ Ich könnte nicht sagen, dass ich schon einmal einen Menschen gehasst habe, das ist ein sehr starkes Wort, aber in dieser Situation muss ich es leider verwen
den“, sagt der Nachfahre von fünf Generationen von Fischern, „ die Politiker haben jahrelang die Augen davor verschlossen, wie sich das Mar Menor entwickelt, und absolut nichts unternommen. Damit haben sie billigend in Kauf genommen, dass mein Leben zerstört wurde“.
Doch auch die Fischer selbst sind im öffentlichen Diskurs alles andere als unumstritten. Pedro García von der Umweltschutzorganisation Anse nennt vier Bereiche, die den kritischen Zustand maßgeblich verursacht haben. „ Industrielle Landwirtschaft, Überfischung, flächendeckende Bebauung bis ans Meer und die Vielzahl von Motorbooten und Fähren im Mar Menor haben dazu geführt, dass das Ökosystem völlig aus den Fugen geraten ist“, erklärt der Biologe.
Die Theorie, dass ein Tank gefunden worden sei, der giftige Materialien enthielt, bestätigt er nicht.
„ Der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Ursachenforschung ist, dass die unkontrollierte Vermischung von Süß- und Salzwasser dafür gesorgt hat, dass die Fische in den unteren Schichten des Meeres keinen Sauerstoff mehr hatten, daraufhin an die Oberfläche geschwommen sind und dabei gestorben sind.“Óscar Esparza, Meeresbiologe und WWF-Spezialist für das Mar Menor stimmt ihm zu und appelliert an die Landesregierung, endlich eine neue Gangart einzuschlagen: „ Nach allem, was passiert ist, ist es nun an der Zeit, das Mar Menor in Ruhe zu lassen. Die Verseuchung ist jetzt wieder genauso schlimm wie noch in den 1980er und 90er Jahren. Firmen, die die Lagune verpesten, müssen endlich bestraft werden und die Schiffe und Fischerei müssen limitiert werden.“
Wirklich an eine Veränderung der heimischen Politik glauben weder García noch Esparza. „ Wir werden versuchen, in Zukunft stärker mit Madrid und Brüssel zusammenzuarbeiten“, erklärt Esparza. Auch der Ort wünscht sich ein schnelles und radikaleres Handeln. Mikaela Rosu aus Rumänien lebt seit 14 Jahren in San Pedro. Sie arbeitet im Souvenir- und Strandladen „ Lokura“und hat beobachtet, wie sich das Mar Menor veränderte. „ Als ich kam, war es noch strahlend blau und klar. Mit der Zeit wurde es immer grüner und schmutziger und ich konnte mich nicht einmal mehr überwinden, darin zu schwimmen“, erzählt sie, „ manchmal werden oberflächliche Arbeiten vorgenommen, aber am Ende bleibt alles beim Alten“. Das spreche sich wohl auch unter den Touristen herum. „ Früher kamen immer viel mehr Menschen, mit jedem Jahr sind es weniger.“Nicht ganz so kritisch sind die anwesenden Touristen. Sie trotzen draußen sitzend dem Geruch nach gammeligem Fisch und beobachten interessiert das Aufgebot an Polizisten und Reinigungskräften.
„ Für ein Naturereignis kann nun einmal niemand etwas, es kommt nur darauf an, was man am Ende daraus macht“, meint Brigitte Müller aus Salzburg optimistisch. Sie kennt die Gegend schon lange, 30 Jahre besaß sie ein Ferienhaus. Mittlerweile ist sie auf Hotelurlaub umgestiegen, kommt aber immer noch gern ans Mar Menor. Seit sie am vergangenen Wochenende angekommen ist, habe sie sehr viele Aufräumarbeiten gesehen. „ Ich finde es gut, dass hier die Situation sofort in die Hand genommen wird“, so die Österreicherin.
Touristen sehen es locker
Auch Arthur Bell aus Schottland geht gelassen mit der unschönen Urlaubsüberraschung um, „ ich habe im Internet gelesen, dass die Strände gesperrt sind, aber da war es leider schon zu spät, den Urlaub abzublasen. Dann muss ich halt zu einem anderen Zeitpunkt noch einmal wiederkommen“. Von der pragmatischen Seite sehen es auch Thommy und Kristina Norell. Das Ehepaar kommt aus Schweden, lebt aber in einem Haus in Torrevieja. „ Sie müssen schnell alles sauber machen, dann wird das schon wieder“, so Thommy Norell. Seine Frau erzählt: „ Wir wollten einen Tagesausflug machen und plötzlich sahen wir, dass der komplette Strand gesperrt war. Wir haben die Polizei gefragt, und die hat uns erzählt, dass Fische als Spätfolge der Unwetter gestorben sind. Hoffentlich kehrt bald alles zur Normalität zurück.“
Glücklich über die lockere Art der Ausländer, ist Carmen Pérez Alcaraz. Sie betreibt den Chiringuito „ Flor de Jamaica“direkt am Strand. Dort saßen auch am Tag der Aufräumarbeiten alle möglichen Touristen, in nächster Nähe zum Absperrband, was den verseuchten Strand von der Promenade trennte. Auf die Frage, wie die Situation ihre Arbeit betreffen wird, antwortet sie: „ Ich will jetzt nicht an mich selbst denken. Jetzt bin ich vor allem geschockt davon, was hier passiert ist, ich lebe schon immer hier und noch nie habe ich so etwas Trauriges gesehen“, damit spricht die Cafébesitzerin wahrscheinlich ganz San Pedro aus der Seele. „ Wir wollen, dass so etwas nie wieder vorkommt.“
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