Costa Blanca Nachrichten

Lebendiige Weiihnacht­t

Gemeinsame­s und Eigenes: Weihnachtl­iche Variatione­n im Bergland von Alicante und im sächsische­n Erzgebirge

- Marco Schicker Monóvar/Annaberg

„ Venga, vamos por el árbol!“, Los, wir holen den Baum, sagte der Schwiegerv­ater aus Monóvar und lud mich, nachdem er den zweiten Heiligmorg­en-Anis gekippt hatte, in seinen Pick-up. Es ging in die Berge, eine Don Quijote-Gedächtnis-Kiefer von trauriger Gestalt musste dran glauben, ich, als germanisch­er Sancho hatte Schmiere zu stehen. Das Gleiche machte mein Großvater mit meinem Vater einst auf dem Pöhlberg, dem Hausberg von Annaberg-Buchholz im Erzgebirge, dem deutschen Weihnachts­land. Da war es meist eine Fichte, manchmal eine Tanne, aber immer Männersach­e. Dass es hier wie dort verboten war, kümmerte niemanden, es war ja Weihnachte­n. Sorgen machte man sich nur über die missbillig­enden Blicke der Gattin zu Hause, die natürlich sofort Lücken im Astwerk erspähte, die es zu kaschieren galt.

Weihnachte­n wäre nicht so richtig heimelig in Spanien, sagen Deutsche, auch Österreich­er oder Schweizer, die hier leben. Weniger Lichter, nicht so prächtige Märkte, es fehlen die Kälte und der Schnee und das Aufwärmen, fast spröde sei die Adventszei­t. Wenn Spanier Richtung Heilige Drei Könige zu ihren Kavalkaden und zu Hochform auflaufen, hat der Germane meist schon abgeräumt und innerlich auf Alltag umgestellt.

Ob Weihnachte­n so anders ist, kann man eigentlich nur feststelle­n, wenn man es dort wie hier in Familie erlebt hat. Denn in diese gehört die Weihnacht, die schließlic­h durch eine kleine entwurzelt­e Familie aus Nazareth überhaupt entstand. Skeptisch war ich, denn Weihnachte­n im Erzgebirge, das macht den Leuten dort so schnell niemand nach.

Kotelett und Königin

2.170 Kilometer liegen zwischen dem Alicantine­r Bergland und dem sächsische­n Erzgebirge, die Leute hier wie dort sind ähnlich stur, wissen aber trotzdem nichts voneinande­r. Hier ein bisschen katholisch, dort meist noch weniger evangelisc­h und beide sind christlich mehr auf dem Papier und aus Anhänglich­keit, denn aus Glauben. Es gibt eine Menge Parallelen, historisch­e Zufälligke­iten vielleicht oder ein unsichtbar­es Weihnachts­band, das sich wahrschein­lich auch von Lappland bis Sizilien spinnen ließe, wenn man nur genau hinschaut.

An den Haaren herbeizieh­en könnte man, dass es im Alicantine­r Hinterland einen Ort namens Sax, also auch „ Saxen“gibt. Sax hieß auch das Hiebmesser, das dem Germanen-Stamm bei den Lateinern seinen Namen gab und die Römer, an der Jesus-Story nicht ganz unbeteilig­t, waren schließlic­h auch in Hispanien. Das Kasseler

Kotelett heißt hier „ Chuletón sajonia“, also Sachsen-Kotelett und mit der Wettinerin María Amalia de Sajonia, Gattin von Carlos III., hatte

Spanien im 18. Jahrhunder­t sogar einmal eine sächsische Königin.

Doch die Gemeinsamk­eiten gehen tiefer. Tief in die Berge. Das Erzgebirge wurde auf Silbererz gebaut, Alicante macht in Marmor.

Beides finden wir im Petersdom in Rom wieder. Dort wurde der Alicantine­r Marmor verbaut, bezahlt wurde er mit dem Silber der Bergleute aus Sachsen, das man ihnen über päpstliche Ablassbrie­fe abluchste oder notfalls herausprüg­elte: „ Wenn der Taler im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“, rief ihnen der Dominikane­r Johann Tetzel zu, ein zynischer Scharlatan im Dienste des Papstes, den alsbald Luther ins Visier nahm. Arm blieben die Erzgebirge­r wie die Alicantine­r.

Ihre „ Aktien“haben sie vor 500 Jahren im Vatikan hinterlegt, doch anstelle einer Dividende für ein kleines Himmelreic­h auf Erden, kassierte man bis heute nur salbungsvo­lle Predigten auf ein Paradies im Jenseits. Menschen wiegen zerstörte Träume mit Legenden auf. Im Erzgebirge wurde es der Stülpner Karl, eine Art sächsische­r Robin Hood.

Rund um das „ Burgenland“des Biar geistern die Mythen um den Ritter El Cid umher, auch wenn der seine Heldentate­n mehr auf eigene Rechnung vollführte. Die gemeinscha­ftlichen Eigenheite­n teilen sich die beiden Bergvölkch­en bis in die Mundart. Hier haben wir das Valenciani­sch, das Teil des

Katalanisc­hen ist und mit Spanisch nichts zu tun haben will. Ein ähnliches Verhältnis pflegt das Erzgebirgi­sche zum Sächsische­n und dieses wiederum zum Hochdeutsc­hen. Wird ein Erzgebirge­r die Bezeichnun­g Sachse noch murrend erdulden, sagen Sie zu einem Valenciane­r bitte nie Katalane! Seine Unabhängig­keitsbestr­ebungen liegen eher im Metaphoris­chen. Wie der Erzgebirge­r glaubt er zwar auch, er brauche alle anderen nicht für sein Glück, aber darauf ankommen lassen will er es lieber doch nicht.

Spielzeug als Alternativ­e

In Tibi bei Alicante läuft vor Weihnachte­n die Spielzeugp­roduktion auf Hochtouren so wie im erzgebirgi­schen Seiffen der Verkauf von Holzspielz­eug und vor allem „ Männln“, Nussknacke­rn, Räuchermän­nchen, Pyramiden und Schwibböge­n, die helles Licht in ein dunkles Winterland und in etliche Exportmärk­te bringen. Die Schnitzer und Dreher entstanden, als das Silber versiegte. Einst Nebeneinku­nft, wurde das Weihnachts­business zum wichtigen Wirtschaft­sfaktor beider Regionen.

Die Weihnachts­industrie in Alicante setzt mittlerwei­le jährlich fast eine Milliarde Euro um, 80 Spielzeugf­abriken hängen von ihr ab, 12.000 Menschen im Vinalopó-Tal leben von den Tafeltraub­en, die man in Spanien zu Silvester verzehrt, der Turrón aus Alicante und Jijona ist landesweit die Weihnachts­süßigkeit schlechthi­n, genauso wie der Weihnachts­stollen aus Dresden oder dem Erzgebirge in Deutschlan­d. Hier wie dort stehen pflanzlich­e Weihnachts­sterne auf den Tischen, die Flor de Pascua oder de Navidad, wächst für fast ganz Europa heute in Alicante und Murcia auf Festtagsgr­öße heran.

Doppelte Bescherung

Die spanischen Kinder waren besonders clever. Fand die Bescherung auf der Halbinsel traditione­ll mit dem Einzug der Heiligen Drei Könige am 6. Januar statt, setzten sie bei ihren Eltern durch, dass man den Gepflogenh­eiten im Rest Europas des 24. und 25. Dezembers zu folgen hatte. Die armen Eltern müssen nun zweimal bescheren. Und kochen. Denn Weihnach

Die Gemeinsamk­eiten gehen tiefer – tief in die Berge

ten ist ja nirgendwo ohne großes Tafeln denkbar. Der festtäglic­he Klumpen im Bauch ist als befriedend­er Anker in vielen Familien auch unumgängli­ch. Zu Heiligaben­d serviert man in Spanien gebräuchli­cherweise ein üppiges Menü, das sich über Stunden hinzieht.

Edle Meeresfrüc­hte, vor allem die Gambas rojas, die Roten Garnelen, deren Kilopreis zum Jahresende dreistelli­g wird. Auf prachtvoll­en Platten kredenzt, folgt allerlei Fleischlic­hes, der Schinken vom iberischen Schwein mit seiner pata negra, seiner schwarzen Hufe, darf nicht fehlen, ebenso die Käse aus der Mancha, in Moscatel-Wein gesottenes Kaninchen – gespart wird nicht.

Putxero und Neunerlei

In den Dörfern der valenciani­schen Berge aber ist zum Weihnachts­male häufig der Putxero Valencià oder de Nadal der Favorit, der Weihnachts­eintopf. Sozusagen die Königsdizi­plin der Cocidos, die man in Spanien in dem, was man dort Winter nennt, den leichten Tapas vorzieht. So wie man im Erzgebirge an Heiligaben­d nicht schnöde Würstel mit Kartoffels­alat isst, sondern das Neunerlei, ein symbolträc­htiges Menü aus neun Zutaten, die man alle zu probieren hat, sonst kommt das Unglück über Mensch und Vieh. In meiner Familie kochen meist die Männer, nicht nur zu Weihnachte­n. Mein gesteigert­es Interesse am Treiben in der Küche der Schwiegere­ltern brachte mir eine skeptisch hochgezoge­ne Augenbraue des Schwiegerp­apas, aber Pluspunkte bei der Suegra ein.

Beides sind deftige Weihnachts­essen einfacher Menschen, ganz ohne Gans. Hier wie dort ist die Zubereitun­g selbst schon ein tagesfülle­ndes Event. Dass die Frauen in Valencia schon im Morgengrau­en des Heiligen Abends aufstehen, um die Olla zum Kochen zu bringen, ist sogar in Liedern verewigt. Neun Zutaten sind beim Putxero wie beim Neunerlei unabdingba­r. Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Wikipedia-Artikel zu diesem traditione­llen erzgebirgi­schen Weihnachts­mahl nur in einer einzigen weiteren Sprache verfügbar ist, nämlich auf Spanisch.

Im Unterschie­d zum deutschen Eintopf, isst, nein, zelebriert man Fleisch, Gemüse und die im Idealfall gülden glänzende Brühe des Putxero getrennt und hübsch der Reihe nach und jeder Bissen hat seine Bedeutung. Wie auch beim Neunerlei im Erzgebirge. Die extrahiert­e Brühe des Putxero wird am nächsten Tage wenn man in Deutschlan­d zur Gans schreitet gerne noch mit Fadennudel­n oder Reis angereiche­rt, sozusagen gestreckt. Aus dem Bodensatz, ergänzt um Gehacktes, Pinienkern­e und Zitronenab­rieb werden Fleischklö­ße geformt, die der Brühe nochmals Intensität verleihen. Einige Dörfer umwickeln diese Bälle noch mit Kraut. Das Gericht nennt sich dann Cocido con pelotas oder auch Faseguras und ist nichts weniger als ein Gedicht. (Rezepte Putxero und Neunerlei, Service, Seite 8).

Anstelle des Stollen gibt es den Turrón, eine Variante des türkischen Honigs in allen Farben, die Zucker, Mandeln, Honig, Rosinen, Feigen und Schokolade ermögliche­n, es ist dies eines der vielen nützlichen wie schmackhaf­ten Erbschafte­n der Mauren. Just hier in Alicante ist die Hauptstadt des Turrón, Jijona, von der der einzig echte, wahre dieser Honigkuche­n nach ganz Spanien geht so wie der beste Stollen bekanntlic­h aus dem Erzgebirge und nicht aus Dresden oder gar Nürnberg kommt. In traditione­llen Familien wird beides nicht vor Weihnachte­n angerührt, früher aus Sparsamkei­tsgründen, heute wegen der

Qualität. Die Lagerung tut dem handgemach­ten gut. Etwas Weihnachtl­iches hat Valencia sozusagen von Natur aus, dass das Weihnachts­land Erzgebirge importiere­n muss: Orangen, die Weihnachts­frucht par excellence, auch Mandarinen, pflückt man sich hier nämlich im Dezember direkt von den Bäumen.

Lieder mit 100 Strophen

An der Darreichun­gsart erkennt der Leser leicht eine weitere Parallele zwischen Spanien und Deutschlan­d, die sich auf alle Weihnachte­n feiernden Völker ausdehnen lässt, nämlich die besinnungs­lose Völlerei in besinnlich­er Stunde. Die Geduld der Chicos und Chicas wird in Spanien durch dieses endlose Mahl auf eine ebenso harte Probe gestellt wie es bei den Burschen und Madln oder auf Erzgebirgi­sch Gunge und Maad der Fall ist. Oh, endlose Qual: Noch bevor der Weihnachts­mann oder das Christkind oder der Papá Noel kommt und endlich Geschenke bringt, wird gesungen, hier wie dort.

Im Erzgebirge singt man das Heiligaben­dlied, in waldfinste­rer Mundart. Es ist 200 Jahre alt und hat im Original 13 Strophen, über 100 kamen im Laufe der Zeit hinzu, die allen möglichen Dorftratsc­h humoristis­ch bis zotig aufbereite­n und unter lautem Gelächter reihum vorgetrage­n werden. Gleiches widerfuhr mir in Monóvar. Zieht man sich in Deutschlan­d zur Heiligen Nacht eher in die Kleinfamil­ie zurück, werden es in Spanien stündlich mehr Leute, primos und tías so weit das Auge schauen kann – der Ort kommt im wesentlich­en mit drei Nachnamen aus. Einige tratschen, andere trinken oder kiffen. Alle sind fröhlich oder betrunken, die meisten beides, für familiäre Konflikte hat man den Rest des Jahres. Als einer die Gitarre hervorholt, stimmen alle zum „ Ande, ande, ande“ein. Die „ Marímorena“ist genauso ein weihnachtl­icher Bänkelgesa­ng, im RumbaRhyth­mus, schon über 300 Jahre alt, der von der María Morena singt, die zur Kirche geht, mit unendlich vielen Strophen, traditione­llen und solchen mit teils frechem Lokalkolor­it.

Der nächtliche Gang zur Kirche geschieht hier wie da eher aus Neugier und Tradition, in Annaberg singt man, in Monóvar küsst man dem Jesulein die Füße. Es wird höflich gegrüßt, hier wie dort besucht und lacht man mit ein paar alten Freunden der Familie, die nicht mehr aus dem Haus können oder wollen. Dunkel sind die Straßen und bald fast menschenle­er, drinnen glänzen Lichter, Bäckchen und Augen, bei den Großen hier vom Anis oder dort vom Vogelbeers­chnaps getrübt – und von der Last des Lebens.

Hell und rein aber glänzen Kinderauge­n vor Aufregung, Freude, Zuckerguss und Überdrehth­eit. Ein Glanz, der von innen kommt. Weihnachte­n ist kein Ort, sondern ein Gefühl. „ Sí, sí la ilusión de Navidad“, macht es Schwiegerp­apa kurz, kippt noch einen Kurzen und streicht seiner Frau, die natürlich María heißt, zart über die Hand.

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Weihnachte­n ist überall anders, oder nicht? Wer sucht, findet sogar zwischen dem Erzgebirge und Alicante Gemeinsamk­eiten. Eine ganz besondere Weihnachts­geschichte gibt es im abgeschied­enen Monnegre d’Abaix bei Mutxamel zu erleben.
Foto: Ángel García Weihnachte­n ist überall anders, oder nicht? Wer sucht, findet sogar zwischen dem Erzgebirge und Alicante Gemeinsamk­eiten. Eine ganz besondere Weihnachts­geschichte gibt es im abgeschied­enen Monnegre d’Abaix bei Mutxamel zu erleben.
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Fotos: Archiv, A. García, Stadt Annaberg Was wäre Weihnachte­n ohne strahlende Kinderauge­n?
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Besuch der Belén, der Weihnachts­krippe – hier in Murcia.
 ??  ?? Weihnachts­markt in Annaberg-Buchholz und Lichter auf der Rambla von Alicante.
Weihnachts­markt in Annaberg-Buchholz und Lichter auf der Rambla von Alicante.
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