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Flamenco – Von den volkstümli­chen Ursprüngen bis in die Opernhäuse­r der Welt

- Carola Frentzen, dpa Madrid

Flamenco zwischen Spanien-Klischee und subtiler Kunst. Die feurigen Rhythmen, exotischen Harmonien und aufreizend­en Bewegungen sind mehr als TouristenU­nterhaltun­g: Lebensstil der Gitanos, ihr Pulsschlag. Mit ihm singen, tanzen und spielen sie Lust, Freude, Schmerz und Liebe in alle Welt.

Flamenco vermischt sich heute gerne mit Jazz, Bolero und Tango

Licht aus, Spot an: Langsam erhellt sich die kleine Bühne in Madrids populärem Flamenco-Tempel Casa Patas. Das Publikum sitzt erwartungs­voll in der Dunkelheit. Gitarrensp­ieler beginnen ihr virtuoses Spiel, begleitet vom Klatschen der umstehende­n Musiker und den rhythmisch­en Schlägen auf einen Cajón, ein traditione­lles Perkussion­sinstrumen­t. Dann stolziert eine Tänzerin aufs Parkett: Rot-schwarzes Rüschen-Kostüm, weißes Fransentuc­h, Blume im Haar, die Schultern gerade, der Blick stolz.

Einen Arm nach oben gereckt, beginnt die Spanierin ihr ganz eigenes Spiel – mit Kastagnett­en und den Sohlen und Absätzen ihrer Tanzschuhe, die flink und laut auf den Boden treffen. In ihren Augen spiegeln sich Liebe und Sinnlichke­it, aber auch Wut, Trauer und Leidenscha­ft. Die Zuschauer sind mucksmäusc­henstill, beobachten ehrfürchti­g das Spektakel, in dem sich Musik, Tanz und Gesang bravourös zu einer Einheit vermischen.

„ Trauer, Freude, Tragödie, Frohlocken und Angst“, so umschreibe­n die Vereinten Nationen die mit Instrument­en, Mimik, Gestik, Bewegungen und oft klagendver­zweifelter und gleichzeit­ig rauer Stimme dargeboten­e Gefühlswel­t. 2010 nahm die Unesco den Flamenco in die Liste des immateriel­len Weltkultur­erbes auf – seither wird weltweit der 16. November als Internatio­naler Tag dieser vor allem in Südspanien gepflegten Kunstform gefeiert. Seine Ursprünge hat der Flamenco wahrschein­lich in der Fusion andalusisc­her Volksmusik mit jener der Gitanos (der spanischen Roma), die sich im 15. Jahrhunder­t in Südspanien niederließ­en. Lange Zeit wurden sie dort unterdrück­t und ausgegrenz­t.

Die Situation besserte sich erst langsam im 19. Jahrhunder­t, als der König einigen Gitanos, die in der flämischen Armee gedient hatten, Schutzbrie­fe ausstellte. Es wird angenommen, dass so der Name des Musik- und Tanzstils entstanden ist: „ Flämisch“oder „ Flame“heißt auf Spanisch „ Flamenco“. Jedoch haben sich vermutlich auch maurische, afrikanisc­he und nordspanis­che Einflüsse eingeschli­chen.

Sicher ist, dass sich der Flamenco nach wie vor großer Beliebthei­t erfreut. Unzählige Touristen strömen jedes Jahr in die hübschen „ Tablaos Flamencos“mit ihrem charmanten Ambiente. In Madrid etwa locken an vielen Ecken Flamenco-Lokale mit brillanten Shows und bekannten Namen. Auch ins Teatro Real, die Madrider Oper, hat der Flamenco Einzug gehalten: Seit vergangene­m Herbst lädt der Salón de Baile (Tanzsalon) zu Sonderauff­ührungen mit so bekannten FlamencoSt­ars wie Amador Rojas oder Antonio Canales. Die Zuschauer werden während der Shows mit spanischen Delikatess­en verköstigt.

„ Zweifellos ist die Kunst des Flamenco eines der bekanntest­en Identitäts­merkmale der spanischen Kultur“, sagt der Programmdi­rektor der Oper, Miguel Jiménez. Vergleichb­ar sei das mit der Bedeutung des Tango für die Argentinie­r und des Fado für die Portugiese­n. Kaum ein wichtiges Theater auf der Welt könne sich dem entziehen

– auch die Royal Albert Hall in London, die Oper in Sidney und die Carnegie Hall in New York hätten schon Flamenco-Spektakel im Programm gehabt.

„ Flamenco ist populäre Musik. Er hat eine so einfache, aber gleichzeit­ig so direkte und tiefe Art, über das Leben, die Gefühle und den Menschen zu sprechen“, umschrieb der berühmte Flamenco-Sänger Miguel Poveda seine Kunst. „ In ganz wenigen Sätzen werden hier großartige Geschichte­n erzählt, eine ganze Welt.“

Diese Welt vermischt sich heute auch gerne mit anderen Musikstile­n wie Jazz, Bolero und Tango oder mit karibische­n Rhythmen, mit denen sie zu etwas ganz Neuem verschmilz­t. Einer, der diese musikalisc­hen Symbiosen perfektion­iert hat, ist Diego El Cigala, eine der berühmtest­en FlamencoSt­immen der Gegenwart. Legendär ist sein Album „ Lágrimas Negras“(Schwarze Tränen), das er 2003 mit dem damals bereits 85-jährigen kubanische­n Starpianis­ten Bebo Valdés einspielte. Die spanische Hommage an den kubanische­n Bolero brachte dem Duo unter anderem einen Grammy ein.

Welterfolg­e feiert auch Superstar Rosalía mit ihrer Fusion von traditione­llem Flamenco mit Pop, Hip Hip und elektronis­cher Musik. Das Album „ El mal querer“galt 2018 als eine Sensation.

Unvergesse­n ist auch der 2014 gestorbene, weltbekann­te Gitarrist Paco de Lucía, zu dessen Totenwache sogar der damalige Kronprinz Felipe kam. „ Mit seiner Musik hat er es geschafft, dass wir uns eine bessere Welt vorstellen können“, würdigte er wenige Monate vor seiner Thronbeste­igung den Superstar, der den Flamenco in die Welt hinausgetr­agen und mit Elementen aus Jazz und Blues bereichert hat.

Auch ins Guinness-Buch haben es Flamenco-Performer geschafft. Etwa Israel Vivancos, der 2012 die schnellste­n Füße der Welt aufs Parkett brachte und mit seinen Flamenco-Schuhen in einer Minute 1.317 Mal den Boden traf. Die Frauen stehen den Männern in dieser Disziplin kaum nach: Tänzerin Rosario Varela schaffte 2009 stolze 1.274 „ taps“in einer Minute.

Apropos Flamenco-Schuhe. Wie entsteht eigentlich der laute Sound, mit dem sie auf die Bühne hämmern? Das Geheimnis sind spezielle Holzabsätz­e- und sohlen, die mit Nägeln beschlagen werden. Erst so entsteht der unverkennb­are Rhythmus, mit dem der Flamenco Menschen in aller Welt verführt.

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Fotos: Archiv Vicente Amigo Girol zählt zu den virtuosest­en Flamenco-Gitarriste­n.
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Flamenco-Aufführung in der Baraka Sala in Sevilla.

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