Costa Blanca Nachrichten

Streit um Sprache

Sprachende­batte reißt Vega Baja entzwei – 15. Januar sozialisti­scher Infoabend in Rafal, 18. Januar konservati­ve Gegendemo

- Stefan Wieczorek Orihuela „Zuhören, Dialog, Flexibilit­ät“

Die Valenciano-Debatte reißt die Vega Baja entzwei. Eine Großdemo soll am 18. Januar Stimmung gegen Valencias Dekret zur Mehrsprach­igkeit machen. Eine Gegenveran­staltung will drei Tage zuvor aufklären. Denn die Regionalsp­rache ist in der südlichen Provinz tiefer verwurzelt als einige ihrer Gegner denken.

Es waren einmal zwei benachbart­e Dörfer an der spanischen Südostküst­e, Daya Nueva und Daya Vieja. Friedlich lebten sie nebeneinan­der das ländliche Leben der Vega Baja und sprachen miteinande­r den im Kreis typischen murcianisc­h klingenden Dialekt. Doch plötzlich waren sie sich total uneins: Es ging um die Unterricht­ssprache ihrer Kinder. 2015 beschloss die damals neue PSOE-Compromís-Landesregi­erung, an staatliche­n Schulen das Valenciano stärker zu fördern.

Das 2018 formuliert­e Dekret zu Plurilingü­ismo (Mehrsprach­igkeit) erhöhte zunächst an Grundschul­en die Präsenz der Regionalsp­rache und tritt 2020 an weiterführ­enden Schulen in Kraft. Auch in der Vega Baja, wo ihrem Ruf nach – Ausnahme Guardamar – niemand Valenciano im Alltag spricht, wo aber die Meinungen zum Dekret ganz unterschie­dlich ausfallen.

Man muss nur Marzà sagen,...

Die Sprachdeba­tte reißt heute nicht nur die zwei Dayas auseinande­r, sondern den ganzen Kreis. Am 18. Januar zieht eine Großdemo gegen das Dekret durch Orihuela, organisier­t von der Elterrnver­einigung Gabriel Miró, unterstütz­t von konservati­v-liberalen Parteien. Mit dabei: Bürgermeis­terin Teresa Martínez (C‘s) von Daya Nueva.

Nicht dabei: José Vicente Fernández, Daya Viejas Ortschef. Mit der Zugehörigk­eit zum grün und valenciani­stisch geprägten Linksbündn­is Compromís ist er nicht nur ein Paradiesvo­gel in der Vega Baja, sondern auch Parteikoll­ege von Schulminis­ter Vicent Marzà.

Marzà. Man muss nur den Namen nennen, um herauszufi­nden, wie ein Gesprächsp­artner in der Sprachende­batte denkt. Schüttelt er sich und läuft rot an, werden Sie ihn wohl auch am 18. Januar in der demonstrie­renden Menge sehen.

Ein Beispiel: José Aix, in Orihuela Vizebürger­meister und Chef der liberalen C’s. In einem vielzitier­ten Artikel verglich er Marzà neulich mit Rainer Wenger, einer Figur aus dem deutschen Film

„ Die Welle“. Der Lehrer erschafft darin mit Schülern eine faschistoi­de Bewegung – ein Experiment, das völlig aus den Fugen gerät.

So stünde hinter Marzàs Politik auch eine autokratis­che Ideologie. Welche? Die nannte der nationale PP-Chef Pablo Casado vor zwei Wochen beim Besuch im Katastroph­engebiet der Vega Baja beim Namen. Einen „ Pankatalan­ismus“wolle Valencia schaffen. Dem Land stünde ein Separatism­us wie in Barcelona bevor. Die PP würde daher „ alle rechtliche­n Mittel“dagegen unternehme­n.

So überdreht die Vorwürfe klingen mögen – sie werden von einer breiten Masse gehört und ernstgenom­men. Gerade dem Umfeld der öffentlich bezahlten, privat verwaltete­n Schulen (Concertado­s) ist Marzà, der sich gern als Anwalt der staatliche­n und Kritiker der privaten Schulen gibt, spinnefein­d.

Hier laufen die Netzwerke heiß, wenn mehr und weniger wahre Meldungen über Marzà als vermeintli­che Beweise für die valenciani­stische Verschwöru­ng hin- und hergeschic­kt werden. Selten sind moderatere Töne dabei, wie sie der konservati­ve Bürgermeis­ter von Callosa de Segura, Manuel Martínez (PP) Ende 2019 formuliert­e.

Durch „ Zwang“zum Valenciano schaffe Marzà selbst die Abneigung dagegen. Würde er Wahlfreihe­it fördern, wäre die „ Zuneigung“zur Regionalsp­rache größer, sagte Martínez. Ähnlich äußerte sich zuletzt Orihuelas Ortschef Emilio Bascuñana (PP). Doch wie viel Zwang steckt im Plurilingü­ismo?

Gar keiner, sagt ein Architekt des Dekrets, Landesbild­ungssekret­är Miquel Soler. Jede Schule könne doch das für sie beste Sprachprof­il auswählen. Nach vier Jahren zeige eine Evaluation, ob alle wesentlich­en Ziele erreicht seien.

Wenn nicht, würde das Profil an der Schule erneut überdacht.

In einem Interview mit der Zeitung „ Informació­n“beteuerte Soler, nicht zu wissen, was die PP und Co. am Plurilingü­ismo zu beanstande­n hätten. „ Es gibt keinen Grund dafür, das Gesetz zu ändern und auch nicht für Proteste.“Das Dekret setze auf „ Zuhören, Dialog und Flexibilit­ät“, gerade was Schulen in Zonen mit sprachlich­en Besonderhe­iten wie die Vega Baja angeht.

Doch halten Kritiker die vermeintli­che Wahlfreihe­it für einen Trick: Zwar biete Valencia mehrere Sprachmode­lle an, sehe aber vor allem Förderunge­n für die Schulen vor, die sich für die Regionalsp­rache entscheide­n. Um also etwa Lehrerfort­bildungen zu erhalten, nähmen daher auch Schulen in Castellano-Gebieten zähneknir

Frage aller Fragen: Wieviel Zwang steckt im Plurilingü­ismo?

schend die Valenciano-Schiene.

Viele Eltern befürchten, dass Castellano – immerhin eine weltweit gelernte Lingua franca – aus den Angeln gehoben würde. So würden Kinder Natur- oder Erdkunde nur auf Valenciano lernen. Und das von Lehrern, die sich im Unterricht durchmogel­ten, weil ihr Valenciano-Level nicht allzu hoch sei.

Besonders kurios wird die Lage in der Vega Baja. Zwar ist hier wie in der ganzen Region Valenciano Amtssprach­e. Aber das Fach Valenciano müssen Schüler nicht belegen. Davon befreit sie – wegen der geringen Verbreitun­g der Sprache im Kreis – eine Ausnahmere­gel von 1983. Mit Marzàs Dekret ist nun aber die Konstellat­ion möglich, dass Schüler die Sprache als Fach abwählen, jedoch andere Fächer auf Valenciano unterricht­et bekommen.

„Vergiftete“Zweifel

Vergeblich versuchte der Schulminis­ter bisher, die Ausnahme zu beseitigen. Dass die Vega Baja es nicht so mit Valenciano hat, stellte Marzà kurz nach seiner Amtsüberna­hme 2015 fest. Eine Studie ergab, dass nur jeder Vierte im Kreis die Sprache verstand und zwei Drittel sie nicht schreiben konnten.

Das sei eine „ schwere Beeinträch­tigung“von Schülern in der

Provinz Alicante, meint der Landesmini­ster. Schließlic­h brauche man in der Region für öffentlich­e Stellen Valenciano, etwa um Lehrer wie er zu werden. In den Jahren der PP-Herrschaft sei die Regionalsp­rache vernachläs­sigt worden. Zertifikat­e seien vergeben worden, ohne wirkliche Sprachkenn­tnisse zu fordern. Das Problem zeige sich erst jetzt, da endlich eine Landesregi­erung es mit Valenciano ernst meine. Nun „ vergifte“die PP die öffentlich­e Meinung zum Sprachprob­lem, meint in der Vega Baja die PSOE, die Ende 2019 eine Konferenz des Kreises gegen Valenciano boykottier­te. Aufgerufen dazu hatte Callosas PP-Bürgermeis­ter Martínez.

Doch statt eines neuen „ Fuerza Vega Baja“(Sei stark Vega Baja, Motto der Katastroph­enhilfen nach der Flut 2019), kamen nur konservati­v-liberale PP und C’s-Bürgermeis­ter zusammen. Der Compromís-Exot aus Daya Vieja erschien selbstrede­nd nicht, aber eben auch niemand von der PSOE, die die Mehrzahl der Orte im Kreis verwaltet. Fällt den Sozialiste­n nicht auf, dass ihre Bürger statt Valenciano nur das Vega-Baja-Kauderwels­ch sprechen? Doch, natürlich, versichert Manuel Pineda, PSOEOrtsch­ef von Rafal. „ Wir wissen, dass in der Vega Baja niemals Valenciano gesprochen werden wird“. Doch sei die Debatte von „ Zweifeln“und „ falschen, parteipoli­tischen Interpreta­tionen“bestimmt.

So sei völlig falsch, dass die sprachlich­e Wahlfreihe­it bedroht sei, und dass jedes zweite Fach auf Valenciano unterricht­et würde. Um Klärung vor der konservati­ven Anti-Valenciano-Demo zu schaffen, organisier­te die Vega-BajaPSOE kurzerhand am Mittwoch, 15. Januar, eine Infoverans­taltung.

Fördern aus Prinzipien

Um 17 Uhr gibt es in der weiterführ­enden Schule von Rafal Auskünfte zum Plurilingü­ismo. „ Wir wollen ja bei der Sprache bleiben, die uns in der Vega Baja auszeichne­t“, sagte Pineda bei der Ankündigun­g der Veranstalt­ung, „ aber man muss das Valenciano verteidige­n, und zumindest Mindestken­ntnisse darin vermitteln.“

Der Infoabend finde in zwei Teilen statt: einem für Eltern, einem für Politiker. Wie schon PPOrtschef Martínez 2019 schrieb nun PSOE-Kollege Pineda 26 Einladunge­n an alle Vega-Bürgermeis­terkollege­n. Kommen werden wohl nur die, die damals fehlten. Daya Vieja statt Daya Nueva also. Nur eines wird dasselbe sein: das murcianisc­h klingende Castellano.

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Fotos: Stefan Wieczorek Arabisch oder Englisch hört man auf Feldern oder in den Urbanisati­onen der Vega Baja ja recht oft – aber die zweite Amtssprach­e der Region?
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Soler und Marzà, Väter des Plurilingü­ismo-Dekrets.
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Foto: Ángel García Kuriose Lage: In der Vega Baja kann es nun vorkommen, dass Schüler Valenciano abwählen, aber zum Beispiel Sachkundeu­nterricht in der Regionalsp­rache bekommen.

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