Eiin Spaniien namens Seffarrad
Schicksale und Vertreibung der jüdischen Spanier – Auf Spurensuche in der Judería von Sevilla
„ Ich will Ihnen nur sagen, dass das kein Museum, sondern ein Interpretationszentrum ist, mit viel Text und wenig Ausstellungstücken“, warnt mich die junge Frau, die am Eingang Touristennepp verkauft. Als mein Interesse offensichtlicher wird, verweist sie mich fast verschwörerisch auf den Perlenvorhang, hinter dem sich das kleine jüdische Museum verbirgt, das kein Museum sein soll. Wir sind in Sevilla, im malerischen Viertel Santa Cruz, in dem einst, neben Toledo und Córdoba, die größte jüdische Gemeinde Spaniens lebte. Deren Spuren haben sich nicht einfach verwischt, sie wurden systematisch getilgt.
Hinterzimmer der Geschichte
Seit wenigen Jahren erst rekonstruiert man sie, doch was man findet, genügt gerade noch für solche Hinterzimmer der Geschichte, wie in der Calle Ximénez de Enciso 22. Auf Schautafeln wird das Schicksal der Gemeinde erläutert, das mit wechselhaft sträflich verharmlosend beschrieben wäre. Die heutigen Barrios Santa Cruz und San Bartolomé bildeten bis 1492 die Judería Sevillas, ein endlos scheinendes Netz kleiner Gässchen, das zwar zentral in der Stadt lag, aber formal immer außerhalb ihrer Mauern. Die jüdischen Sevillaner waren Ärzte, Händler, Gelehrte, Handwerker, Wechsler, die meisten jedoch Lohnarbeiter, Bettler, Viehhändler, Tagelöhner.
Zwar lädt uns das Tourismusamt ein, das Judenviertel und „ seine drei wichtigsten Synagogen“zu besuchen, doch tatsächlich braucht es forensischen Spürsinn, um Jüdisches im jüdischen Viertel zu identifizieren. Es gibt keine Synagoge. Die letzte wurde Anfang des 16. Jahrhunderts geschleift und in die katholische Kirche Santa María la Blanca konvertiert. Der Seiteneingang behielt eine Säule und einen Rundbogen (s. Foto Seite 32), der früher der Zugang zum mosaischen Gebetshaus war – drinnen Marienverehrung in einer Orgie aus Gold. Eine Gasse weiter findet sich an einer Wand eine Kachel mit einer Menora, dem siebenarmigen Kultleuchter. Doch ringsherum im Barrio Santa Cruz nur touristisches Mittelalter, Don Juan und Flamenco.
In der Gasse Susona prangt an einer Hauswand das verblasste Abbild eines Totenschädels. Man muss ihn übersehen, wurde man vorher im Museum nicht auf jene „ Susona“aufmerksam. Um diese Susana Ben Susón rankt sich eine zentrale Legende der Gemeinde. Sie spielt um 1480. Viele Juden überlebten nach den mörderischen Pogromen von 1391 als Konvertite in der Stadt und etablierten sich gerade halbwegs wieder, wurden aber von der Inquisition, die seit 1480 in Sevilla ihren Hauptsitz hatte, unter Dauerverdacht als Intriganten und Aufrührer, Brunnenvergifter und Kinderfresser gestellt.
Der sagenhaft hübschen Tochter des konvertierten Bankiers Diego Susón, „ Fermosa Fembra“nannte man sie auf Ladino, dem Judenspanisch, stieg ihre Schönheit zu Kopfe und sie machte sich die Männer Untertan. Doch eines Tages verliebte sich die Hochmütige in einen jungen christlichen Adeligen aus „ alter Familie“, wie man so schön sagte. Jeden Abend wartete sie sehnsüchtigst bis ihr Vater zu Bett ging, um sich zu geheimen Stelldicheins fortzuschleichen.
Der junge Edelmann ließ die Holde zappeln, versprach ihr die Heirat, wand sich aber immer wieder heraus. Einmal belauschte sie ihren Vater, wie der mit Freunden einen Putsch gegen die Stadtoberen plante und verriet dies ihrem Liebhaber, um ihn zu beeindrucken. 20 Todesurteile folgten, ihr Vater war auch dabei. Der Jüngling verleugnete sie, die jüdische Gemeinde schloss sie aus, sie trat in ein Kloster ein und verfügte, man möge nach ihrem Tode ihren Kopf an ihrem Geburtshaus anbringen, als Abschreckung für ihren Verrat.
Kein Happy End, kein Platz für Liebe. Susonas Legende ist eine gemeindeinterne Warnung vor dem so natürlichen wie naiven Glauben vieler Juden und später Konvertiten, sie könnten Teil der Mehrheitsgesellschaft sein, wo sie doch immer dabei waren. Die Ge
Die Spuren sind nicht einfach verwischt, sie wurden getilgt.
schichte hatte den jüdischen Spaniern andere Rollen zugeteilt, bis zum bitteren Ende. Dabei waren sie praktisch „ Ureinwohner“der Iberischen Halbinsel, gehörten zu den ersten, die hier Zivilisationen aufbauten. Mit den Phöniziern aus Syrien und Libanon sowie den Karthagern siedelten sich die ersten jüdischen Gemeinden auf der Iberischen Halbinsel an, als auf dem Gebiet des heutigen Andalusien das Reich Tartessos den Handel beherrschte.
Bürger Hispaniens
Später waren die jüdischen Gemeinden unter den Römern Teil der heterogenen Einwohnerschaft Hispaniens. Ihr Ladino, das Judenspanisch, ist übrigens ein Erbe des und verwandt mit dem sogenannten Vulgär-Latein, das auch die Basis des andalusischen Dialektes war, bevor dieser vom Hoch-Kastilischen halbwegs gezähmt wurde. So tragen Andalusier heute noch einen Rest Jüdisches auf der Zunge, wie Ladino-Forscher belegen können. Schon unter den Römern waren die Juden ghettoisiert, ihre Berufsausübung und Mobilität beschränkt worden.
Der Ärger begann so richtig aber erst mit den Visigothen, die ab dem 5. Jahrhundert in spanische Lande zogen und hier Königreiche errichteten. Zunächst Heiden, bekehrten sie sich allmählich zu einem entspannten Christentum, dem Arianismus. Der kam noch ohne die Heilige Dreifaltigkeit aus, denn den gotischen Naturburschen war eine gebärende Jungfrau und ein Sohn, der gleichzeitig Gott und irgendwie so auch sein eigener Vater ist, nur sehr schwer zu vermitteln. Sie blieben tolerant.
Rückkehr mit den Mauren
Das änderte sich, als man sich aus Machtkalkül und nach verlorenen Schlachten dem Konzil von Konstantinopel unterwarf, das nicht nur den Heiligen Geist als Dogma, sondern auch die Judenverfolgung als christliche Tradition verankerte. Der Hass kam auf den Flügeln einer Taube. Die Juden, die vorher in Hispanien bei den Goten Zuflucht fanden, waren nun auch hier Verfolgte. Ab dem 6. Jahrhundert werden Judengesetze und Pogrome bekannt, eine Flüchtlingswelle nach Nordafrika setzt ein. 711 kamen Araber mit Berber-Unterstützung auf die Iberische Halbinsel, in ihren Reihen kämpften Juden und kehrten so in ihre Heimat zurück, wo andere, die durchgehalten hatten, ihnen alle Türen öffneten. Das sollte man ihnen nie verzeihen.
In der Folge wurde Sefarad, wie die Juden mit Bezug auf einen mythischen Ort des Alten Testaments ihr Spanien nennen, mehr als ein Zufluchtsort. Unter dem
Primat des Islam entwickelte sich eine relative Koexistenz, für ein paar Jahrhunderte konnte man mit pünktlichen Tributzahlungen Frieden, Glaubensfreiheit und Toleranz erkaufen, sogar eine Heimat bauen.
Während etliche Christen zu Beginn der muslimischen Herrschaft konvertierten, um Steuern zu sparen, blieben die Juden ihrem Glauben, ihrer Schicksalsgemeinschaft als die sich das Judentum mehr sieht als das Christentum, meist treu. Als Gelehrte und Künstler, als Händler und Handwerker standen sie in Diensten an den Höfen des Kalifen von Córdoba und später der einzelnen Taifas und Kleinreiche von Murcia bis Balansyia. Der jüdische Gemeindevorsteher Hasday Ibn Shaprut konnte im 10. Jahrhundert sogar zum Leibarzt und ersten Minister bei Kalif Abderramán III aufsteigen, er verhandelte in dessen Auftrag mit den christlichen Reichen im Norden und Kaiser Otto I.
Es entstanden Schriftschulen, Urformen von Eliteunis, in denen antike Werke übersetzt und gelehrt wurden. Vom 9. bis etwa 13. Jahrhundert war Spanien das geistige Zentrum der jüdischen Welt. Die Juden dort wurden zum Vermittler des abend- wie des morgenländischen Wissens. Für kurze Zeit wird – während Nordeuropa im finsteren Mittelalter schmort und das Heilige Land eine wüste Kriegsregion ist – Al-Ándalus zum kulturellen Zentrum der westlichen Welt und zu einer vagen Hoffnung auf eine friedliche Option zwischen den Religionen. Diese färbt sogar auf die Christenreiche im Norden Spaniens ab, zumindest jene, die kastilisch geprägt sind. Zwar bleiben die Juden dort Sonderlinge mit Sonderbehandlung, aber es werden ihnen viel mehr Rechte zugestanden als in anderen christlichen Einflusssphären.
Doch die Lage ändert sich. Aus Afrika stürmen im 12. und 13. Jahrhundert Almohaden und Almoraviden nach Al-Ándalus. Sie nutzen die Schwäche der zersplitterten Maurenreiche und versuchen mit einem fanatischen Islam das Volk zu beeindrucken und zu beherrschen. Viele Juden – man schätzt ihre Zahl auf 300.000 oder sechs bis zehn Prozent der Bevölkerung – fliehen zu den Christen nach Norden. Mit dem kastilischen
König Fernando III. kehren sie ein Jahrhundert später nach Sevilla zurück. 1248 fällt Sevilla in Christenhand. Die Juden der Stadt können sich eingeschränkt wieder etablieren, doch die Toleranzschwelle der christlichen Eliten nimmt mit jedem militärischen Erfolg gegen die Mauren ab.
Noch im 14. Jahrhundert schenkt Pedro I. den Sevillaner Juden Grund und Boden und enteignet eine Moschee, damit sie eine Synagoge werde. Nur Jahrzehnte später, 1391 aber, hat der Klerus zusammen mit Adel und reichen Bürgern so viel Hass verbreitet, dass Pogrome gegen die Juden hunderte Tote, Vertreibung, Enteignung, Entrechtung bringen.
Die Pogrome von 1391 waren keine vereinzelte Missetat gegen
„ gierige Kaufleute“, wie man noch heute nachlesen kann, sondern ein konzertiertes und kalkuliertes Hassverbrechen der katholischen Kirche am Judentum. Es brauchte Sündenböcke. In derselben Woche brachen ebensolche Pogrome im damals sehr weit entfernten Valencia und anderen Städten aus. Das war kein Zufall. Die Juden hier wie da seien Schuld an Pest, Hunger, beschworen den Teufel, hätten die Moslems hereingelassen und Jesus umgebracht.
Blutroter Leitfaden
Dieser Leitfaden der Inquisition, die ab 1480 in Sevilla ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatte, liegt auch dem Edikt von Granada zugrunde, mit dem die Katholischen Könige 1492 die generelle Ausweisung der Juden aus Spanien verfügten, gefolgt von Verfolgung und Vertreibung der Konvertiten. In einigen Regionen verteidigten sie sich, es gab Aufstände, Inquisitoren starben. Doch die sukzessive Verarmung der jüdischen Bevölkerung und ihre Entwurzelung hatten die Gemeinschaft in Auflösung gebracht. Sie mussten wieder einmal ihre Heimat, in der sie seit 1.500 Jahren lebten, verlassen.
Es folgte ein „ Gesetz über das reine Blut“(Estatutos de limpieza de sangre), ein Rassengesetz aus dem 15. Jahrhundert, dessen Ungeist im 20. Jahrhundert zu einem weiteren, fast endgültigen Vernichtungsfeldzug an den Juden führte. Die „ Argumente“blieben die gleichen. Der Verlust auch. Die blutrote Linie zieht sich bis in den Antisemitismus der heutigen Zeit. Wo Juden nicht mehr als Sündenböcke taugen oder existieren, ersetzt man sie durch andere – immer schwächere – Gruppen.
Osmanensultan Bayezid II segelte 1492 den reichen und gebildeten Juden, die aus Spanien vertrieben wurden, bis nach Mallorca entgegen, um sie willkommen zu heißen. Viele flohen aus Not nach Nordafrika, einige nach Portugal, das sie ein Jahrzehnt später auch rausschmiss. Wer heute Spuren spanisch-jüdischen Lebens sucht, wird eher in Istanbul, Thessaloniki oder auf dem Friedhof des bosnischen Sarajevo fündig als in der Altstadt von Sevilla.
Kein Wunder, dass die wenigen Ausstellungsstücke im jüdischen Hinterzimmer von Santa Cruz nicht aus dem Stadtmuseum stammen, sondern von Rückkehrern. Selbst das Gemälde von Turina mit dem Titel „ Vertreibung der Juden von Sevilla“kommt aus dem Exil. „ Gehen Sie zu den arabischen Bädern“, sagt die Museumswärterin, denn dort seien auch die Mikwe, die jüdischen Kultbäder gewesen. In den Kellergewölben wird heute Pizza serviert.
Jahrhunderte war Spanien geistiges Zentrum der jüdischen Welt