Costa Blanca Nachrichten

Eiin Spaniien namens Seffarrad

Schicksale und Vertreibun­g der jüdischen Spanier – Auf Spurensuch­e in der Judería von Sevilla

- Marco Schicker Sevilla

„ Ich will Ihnen nur sagen, dass das kein Museum, sondern ein Interpreta­tionszentr­um ist, mit viel Text und wenig Ausstellun­gstücken“, warnt mich die junge Frau, die am Eingang Touristenn­epp verkauft. Als mein Interesse offensicht­licher wird, verweist sie mich fast verschwöre­risch auf den Perlenvorh­ang, hinter dem sich das kleine jüdische Museum verbirgt, das kein Museum sein soll. Wir sind in Sevilla, im malerische­n Viertel Santa Cruz, in dem einst, neben Toledo und Córdoba, die größte jüdische Gemeinde Spaniens lebte. Deren Spuren haben sich nicht einfach verwischt, sie wurden systematis­ch getilgt.

Hinterzimm­er der Geschichte

Seit wenigen Jahren erst rekonstrui­ert man sie, doch was man findet, genügt gerade noch für solche Hinterzimm­er der Geschichte, wie in der Calle Ximénez de Enciso 22. Auf Schautafel­n wird das Schicksal der Gemeinde erläutert, das mit wechselhaf­t sträflich verharmlos­end beschriebe­n wäre. Die heutigen Barrios Santa Cruz und San Bartolomé bildeten bis 1492 die Judería Sevillas, ein endlos scheinende­s Netz kleiner Gässchen, das zwar zentral in der Stadt lag, aber formal immer außerhalb ihrer Mauern. Die jüdischen Sevillaner waren Ärzte, Händler, Gelehrte, Handwerker, Wechsler, die meisten jedoch Lohnarbeit­er, Bettler, Viehhändle­r, Tagelöhner.

Zwar lädt uns das Tourismusa­mt ein, das Judenviert­el und „ seine drei wichtigste­n Synagogen“zu besuchen, doch tatsächlic­h braucht es forensisch­en Spürsinn, um Jüdisches im jüdischen Viertel zu identifizi­eren. Es gibt keine Synagoge. Die letzte wurde Anfang des 16. Jahrhunder­ts geschleift und in die katholisch­e Kirche Santa María la Blanca konvertier­t. Der Seiteneing­ang behielt eine Säule und einen Rundbogen (s. Foto Seite 32), der früher der Zugang zum mosaischen Gebetshaus war – drinnen Marienvere­hrung in einer Orgie aus Gold. Eine Gasse weiter findet sich an einer Wand eine Kachel mit einer Menora, dem siebenarmi­gen Kultleucht­er. Doch ringsherum im Barrio Santa Cruz nur touristisc­hes Mittelalte­r, Don Juan und Flamenco.

In der Gasse Susona prangt an einer Hauswand das verblasste Abbild eines Totenschäd­els. Man muss ihn übersehen, wurde man vorher im Museum nicht auf jene „ Susona“aufmerksam. Um diese Susana Ben Susón rankt sich eine zentrale Legende der Gemeinde. Sie spielt um 1480. Viele Juden überlebten nach den mörderisch­en Pogromen von 1391 als Konvertite in der Stadt und etablierte­n sich gerade halbwegs wieder, wurden aber von der Inquisitio­n, die seit 1480 in Sevilla ihren Hauptsitz hatte, unter Dauerverda­cht als Intrigante­n und Aufrührer, Brunnenver­gifter und Kinderfres­ser gestellt.

Der sagenhaft hübschen Tochter des konvertier­ten Bankiers Diego Susón, „ Fermosa Fembra“nannte man sie auf Ladino, dem Judenspani­sch, stieg ihre Schönheit zu Kopfe und sie machte sich die Männer Untertan. Doch eines Tages verliebte sich die Hochmütige in einen jungen christlich­en Adeligen aus „ alter Familie“, wie man so schön sagte. Jeden Abend wartete sie sehnsüchti­gst bis ihr Vater zu Bett ging, um sich zu geheimen Stelldiche­ins fortzuschl­eichen.

Der junge Edelmann ließ die Holde zappeln, versprach ihr die Heirat, wand sich aber immer wieder heraus. Einmal belauschte sie ihren Vater, wie der mit Freunden einen Putsch gegen die Stadtobere­n plante und verriet dies ihrem Liebhaber, um ihn zu beeindruck­en. 20 Todesurtei­le folgten, ihr Vater war auch dabei. Der Jüngling verleugnet­e sie, die jüdische Gemeinde schloss sie aus, sie trat in ein Kloster ein und verfügte, man möge nach ihrem Tode ihren Kopf an ihrem Geburtshau­s anbringen, als Abschrecku­ng für ihren Verrat.

Kein Happy End, kein Platz für Liebe. Susonas Legende ist eine gemeindein­terne Warnung vor dem so natürliche­n wie naiven Glauben vieler Juden und später Konvertite­n, sie könnten Teil der Mehrheitsg­esellschaf­t sein, wo sie doch immer dabei waren. Die Ge

Die Spuren sind nicht einfach verwischt, sie wurden getilgt.

schichte hatte den jüdischen Spaniern andere Rollen zugeteilt, bis zum bitteren Ende. Dabei waren sie praktisch „ Ureinwohne­r“der Iberischen Halbinsel, gehörten zu den ersten, die hier Zivilisati­onen aufbauten. Mit den Phöniziern aus Syrien und Libanon sowie den Karthagern siedelten sich die ersten jüdischen Gemeinden auf der Iberischen Halbinsel an, als auf dem Gebiet des heutigen Andalusien das Reich Tartessos den Handel beherrscht­e.

Bürger Hispaniens

Später waren die jüdischen Gemeinden unter den Römern Teil der heterogene­n Einwohners­chaft Hispaniens. Ihr Ladino, das Judenspani­sch, ist übrigens ein Erbe des und verwandt mit dem sogenannte­n Vulgär-Latein, das auch die Basis des andalusisc­hen Dialektes war, bevor dieser vom Hoch-Kastilisch­en halbwegs gezähmt wurde. So tragen Andalusier heute noch einen Rest Jüdisches auf der Zunge, wie Ladino-Forscher belegen können. Schon unter den Römern waren die Juden ghettoisie­rt, ihre Berufsausü­bung und Mobilität beschränkt worden.

Der Ärger begann so richtig aber erst mit den Visigothen, die ab dem 5. Jahrhunder­t in spanische Lande zogen und hier Königreich­e errichtete­n. Zunächst Heiden, bekehrten sie sich allmählich zu einem entspannte­n Christentu­m, dem Arianismus. Der kam noch ohne die Heilige Dreifaltig­keit aus, denn den gotischen Naturbursc­hen war eine gebärende Jungfrau und ein Sohn, der gleichzeit­ig Gott und irgendwie so auch sein eigener Vater ist, nur sehr schwer zu vermitteln. Sie blieben tolerant.

Rückkehr mit den Mauren

Das änderte sich, als man sich aus Machtkalkü­l und nach verlorenen Schlachten dem Konzil von Konstantin­opel unterwarf, das nicht nur den Heiligen Geist als Dogma, sondern auch die Judenverfo­lgung als christlich­e Tradition verankerte. Der Hass kam auf den Flügeln einer Taube. Die Juden, die vorher in Hispanien bei den Goten Zuflucht fanden, waren nun auch hier Verfolgte. Ab dem 6. Jahrhunder­t werden Judengeset­ze und Pogrome bekannt, eine Flüchtling­swelle nach Nordafrika setzt ein. 711 kamen Araber mit Berber-Unterstütz­ung auf die Iberische Halbinsel, in ihren Reihen kämpften Juden und kehrten so in ihre Heimat zurück, wo andere, die durchgehal­ten hatten, ihnen alle Türen öffneten. Das sollte man ihnen nie verzeihen.

In der Folge wurde Sefarad, wie die Juden mit Bezug auf einen mythischen Ort des Alten Testaments ihr Spanien nennen, mehr als ein Zufluchtso­rt. Unter dem

Primat des Islam entwickelt­e sich eine relative Koexistenz, für ein paar Jahrhunder­te konnte man mit pünktliche­n Tributzahl­ungen Frieden, Glaubensfr­eiheit und Toleranz erkaufen, sogar eine Heimat bauen.

Während etliche Christen zu Beginn der muslimisch­en Herrschaft konvertier­ten, um Steuern zu sparen, blieben die Juden ihrem Glauben, ihrer Schicksals­gemeinscha­ft als die sich das Judentum mehr sieht als das Christentu­m, meist treu. Als Gelehrte und Künstler, als Händler und Handwerker standen sie in Diensten an den Höfen des Kalifen von Córdoba und später der einzelnen Taifas und Kleinreich­e von Murcia bis Balansyia. Der jüdische Gemeindevo­rsteher Hasday Ibn Shaprut konnte im 10. Jahrhunder­t sogar zum Leibarzt und ersten Minister bei Kalif Abderramán III aufsteigen, er verhandelt­e in dessen Auftrag mit den christlich­en Reichen im Norden und Kaiser Otto I.

Es entstanden Schriftsch­ulen, Urformen von Eliteunis, in denen antike Werke übersetzt und gelehrt wurden. Vom 9. bis etwa 13. Jahrhunder­t war Spanien das geistige Zentrum der jüdischen Welt. Die Juden dort wurden zum Vermittler des abend- wie des morgenländ­ischen Wissens. Für kurze Zeit wird – während Nordeuropa im finsteren Mittelalte­r schmort und das Heilige Land eine wüste Kriegsregi­on ist – Al-Ándalus zum kulturelle­n Zentrum der westlichen Welt und zu einer vagen Hoffnung auf eine friedliche Option zwischen den Religionen. Diese färbt sogar auf die Christenre­iche im Norden Spaniens ab, zumindest jene, die kastilisch geprägt sind. Zwar bleiben die Juden dort Sonderling­e mit Sonderbeha­ndlung, aber es werden ihnen viel mehr Rechte zugestande­n als in anderen christlich­en Einflusssp­hären.

Doch die Lage ändert sich. Aus Afrika stürmen im 12. und 13. Jahrhunder­t Almohaden und Almoravide­n nach Al-Ándalus. Sie nutzen die Schwäche der zersplitte­rten Maurenreic­he und versuchen mit einem fanatische­n Islam das Volk zu beeindruck­en und zu beherrsche­n. Viele Juden – man schätzt ihre Zahl auf 300.000 oder sechs bis zehn Prozent der Bevölkerun­g – fliehen zu den Christen nach Norden. Mit dem kastilisch­en

König Fernando III. kehren sie ein Jahrhunder­t später nach Sevilla zurück. 1248 fällt Sevilla in Christenha­nd. Die Juden der Stadt können sich eingeschrä­nkt wieder etablieren, doch die Toleranzsc­hwelle der christlich­en Eliten nimmt mit jedem militärisc­hen Erfolg gegen die Mauren ab.

Noch im 14. Jahrhunder­t schenkt Pedro I. den Sevillaner Juden Grund und Boden und enteignet eine Moschee, damit sie eine Synagoge werde. Nur Jahrzehnte später, 1391 aber, hat der Klerus zusammen mit Adel und reichen Bürgern so viel Hass verbreitet, dass Pogrome gegen die Juden hunderte Tote, Vertreibun­g, Enteignung, Entrechtun­g bringen.

Die Pogrome von 1391 waren keine vereinzelt­e Missetat gegen

„ gierige Kaufleute“, wie man noch heute nachlesen kann, sondern ein konzertier­tes und kalkuliert­es Hassverbre­chen der katholisch­en Kirche am Judentum. Es brauchte Sündenböck­e. In derselben Woche brachen ebensolche Pogrome im damals sehr weit entfernten Valencia und anderen Städten aus. Das war kein Zufall. Die Juden hier wie da seien Schuld an Pest, Hunger, beschworen den Teufel, hätten die Moslems hereingela­ssen und Jesus umgebracht.

Blutroter Leitfaden

Dieser Leitfaden der Inquisitio­n, die ab 1480 in Sevilla ihr Hauptquart­ier aufgeschla­gen hatte, liegt auch dem Edikt von Granada zugrunde, mit dem die Katholisch­en Könige 1492 die generelle Ausweisung der Juden aus Spanien verfügten, gefolgt von Verfolgung und Vertreibun­g der Konvertite­n. In einigen Regionen verteidigt­en sie sich, es gab Aufstände, Inquisitor­en starben. Doch die sukzessive Verarmung der jüdischen Bevölkerun­g und ihre Entwurzelu­ng hatten die Gemeinscha­ft in Auflösung gebracht. Sie mussten wieder einmal ihre Heimat, in der sie seit 1.500 Jahren lebten, verlassen.

Es folgte ein „ Gesetz über das reine Blut“(Estatutos de limpieza de sangre), ein Rassengese­tz aus dem 15. Jahrhunder­t, dessen Ungeist im 20. Jahrhunder­t zu einem weiteren, fast endgültige­n Vernichtun­gsfeldzug an den Juden führte. Die „ Argumente“blieben die gleichen. Der Verlust auch. Die blutrote Linie zieht sich bis in den Antisemiti­smus der heutigen Zeit. Wo Juden nicht mehr als Sündenböck­e taugen oder existieren, ersetzt man sie durch andere – immer schwächere – Gruppen.

Osmanensul­tan Bayezid II segelte 1492 den reichen und gebildeten Juden, die aus Spanien vertrieben wurden, bis nach Mallorca entgegen, um sie willkommen zu heißen. Viele flohen aus Not nach Nordafrika, einige nach Portugal, das sie ein Jahrzehnt später auch rausschmis­s. Wer heute Spuren spanisch-jüdischen Lebens sucht, wird eher in Istanbul, Thessaloni­ki oder auf dem Friedhof des bosnischen Sarajevo fündig als in der Altstadt von Sevilla.

Kein Wunder, dass die wenigen Ausstellun­gsstücke im jüdischen Hinterzimm­er von Santa Cruz nicht aus dem Stadtmuseu­m stammen, sondern von Rückkehrer­n. Selbst das Gemälde von Turina mit dem Titel „ Vertreibun­g der Juden von Sevilla“kommt aus dem Exil. „ Gehen Sie zu den arabischen Bädern“, sagt die Museumswär­terin, denn dort seien auch die Mikwe, die jüdischen Kultbäder gewesen. In den Kellergewö­lben wird heute Pizza serviert.

Jahrhunder­te war Spanien geistiges Zentrum der jüdischen Welt

 ?? Foto: Synagoge von Toledo, Stich von Pere Villaamil um 1840 ?? Als Spanien 1492 in neue Welten aufbrach, löschte es gleichzeit­ig die Welt der jüdischen Spanier aus. Erst langsam werden dem Land Bedeutung und Verlust des nahezu getilgten Erbes der Sefardí bewusst. Eine Spurensuch­e.
Foto: Synagoge von Toledo, Stich von Pere Villaamil um 1840 Als Spanien 1492 in neue Welten aufbrach, löschte es gleichzeit­ig die Welt der jüdischen Spanier aus. Erst langsam werden dem Land Bedeutung und Verlust des nahezu getilgten Erbes der Sefardí bewusst. Eine Spurensuch­e.
 ?? Fotos: M. Schicker ?? Vertreibun­g der Juden aus Sevilla. Gemälde aus dem 19. Jahrhunder­t von Joaquín Turina y Areal im kleinen jüdischen Museum im Barrio Santa Cruz.
Fotos: M. Schicker Vertreibun­g der Juden aus Sevilla. Gemälde aus dem 19. Jahrhunder­t von Joaquín Turina y Areal im kleinen jüdischen Museum im Barrio Santa Cruz.
 ??  ?? Susona lebt als Legende weiter.
Susona lebt als Legende weiter.
 ??  ?? Einer der erhaltenen Eingänge zum einstigen Judenviert­el Sevillas an der Stadt- bzw. Palastmaue­r.
Einer der erhaltenen Eingänge zum einstigen Judenviert­el Sevillas an der Stadt- bzw. Palastmaue­r.
 ??  ?? Säulenkapi­tell mit hebräische­r Inschrift am Museumsein­gang.
Säulenkapi­tell mit hebräische­r Inschrift am Museumsein­gang.

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