Täglich Auschwitz
Lektion vor Ort: Jarek Mensfelt aus Monforte führte fast 20 Jahre durch Gedenkstätte
Am 27. Januar jährte sich die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum 75. Mal. Seit der Eröffnung 1947 haben über 25 Millionen Menschen diese Gedenkstätte besucht. Doch genügt ein Besuch, um die Lektion aus der Geschichte zu verstehen? Jarek Mensfelt kann darauf Antwort geben. Der Pole arbeitete von 1995 bis 2013 in Auschwitz als Pressechef und gab Führungen durch den Erinnerungsort, ehe er der Liebe wegen nach Monforte del Cid zog.
CBN: Welche Gründe bewegen die Menschen zu einem Besuch der Gedenkstätte?
Mensfelt: Meiner Erfahrung als Guide nach gibt es Menschen, die insbesondere des Ortes wegen kommen. Die Mehrheit besucht Polen oder Tschechien und die Gedenkstätte erscheint den Menschen auf der Landkarte dann als Ort, den man unbedingt gesehen haben sollte. Andere haben einen Film gesehen oder ein Buch gelesen. Ich glaube, dass diese Menschen ein ehrliches Interesse haben.
Auf der anderen Seite wird Auschwitz aber auch zu politischen und propagandistischen Zwecken missbraucht. Da fallen mir vor allem die Besuche von Israelis ein, die mir nie gefallen haben. Sie kamen in Uniformen mit zionistischen Flaggen. Auch Gruppen der extremen Rechte kommen zur Besichtigung, um zum Hass anzustiften. Wenn ich das an einem Ort wie Auschwitz sehe, macht mich das sehr traurig. Es geht nicht mehr um das Gedenken an die Opfer, sondern um Hass. Darum sollte es dort auf keinen Fall gehen. Ein Ort wie Auschwitz zieht aber leider unweigerlich solche Leute an.
Wie sind die Reaktionen der Menschen?
Sehr unterschiedlich. Einige weinen, andere sind ganz ruhig, wieder andere machen Selfies. Was mich am meisten beeindruckt hat, waren die Treffen mit den Überlebenden und der nicht vorhandene Hass dieser Menschen auf die Mörder. Das war etwas Neues in meinem Leben, das mich beeinflusst und verändert hat.
Gibt es falsche Vorstellungen über Auschwitz?
Meistens werden von den Touristen nur die getöteten Juden in Verbindung mit Auschwitz gebracht.
Es ist aber etwas komplexer. Es starben beispielsweise auch 20.000 Sinti und Roma und viele Homosexuelle. Außerdem werden oft die deutschen Nationalsozialisten allein für Auschwitz verantwortlich gemacht. Dies ist allerdings nicht ganz richtig. Es ist ein europäisches Produkt, an dem jeder teilgenommen hat. Nicht nur Deutsche, sondern auch Polen, Franzosen oder Engländer. Um Auschwitz zu ermöglichen, war nicht nur ein Hitler nötig oder die deutschen Nationalsozialisten.
Wie schätzen sie die Funktion der Gedenkstätte ein?
Mit zwei Millionen Besuchern jährlich wird ermöglicht, dass die Erinnerung nicht verloren geht. Ich erachte den Besuch der Gedenkstätte allerdings nur als einen kleinen Teil von etwas ganz Großem. Das Wichtige ist nicht nach Auschwitz zu kommen und sich die Gaskammern anzusehen, sondern das Wichtige passiert in den Klassenzimmern, in den Schulen. Das Einzige, das die Möglichkeit bietet, dass Auschwitz verstanden werden kann und wie die Welt funktioniert, ist das Bildungssystem. Wenn du nach Auschwitz gehst, siehst du nichts von der wechselseitigen Abhängigkeit, also davon wie Auschwitz überhaupt möglich wurde. Ohne große Vorkenntnisse wird man bei einem Besuch nicht viel lernen.
Die Lektion, die Geschichte haben wir auch ohne Auschwitz. Es ist ein wichtiger Ort, aber er ist nicht unentbehrlich. Im Allgemeinen ist das Problem der Welt, dass anstatt aus der Geschichte zu lernen, jeder seinen eigenen Weg geht. Daran hat sich nichts geändert.