Torrevieja ahoi
Segler, Drugs und Habaneras: Bewegte Vergangenheit und neue Hoffnung im Hafen von Torrevieja
Torreviejas Hafen soll wieder mehr sein als ein dümpelnder Wasserparkplatz für Freizeitboote. Ambitionierte Pläne sehen den Puerto als das Zentrum der Stadt, das er mehr als zwei Jahrhunderte war. Schiffbauer und -brüchige, Fischer und Schmuggler gaben hier den Ton an: im Rhythmus der Habaneras und gewürzt mit einer kräftigen Prise Salz.
Auf 20 Leute kam ein Boot und längst nicht alle Fracht war legal
Als die Guardia Civil in der Vorwoche eine leckgeschlagene Motorjacht in den Hafen von Torrevieja schleppte, fand sie in ihrem Inneren und drumherum treibend 70 große Pakete mit insgesamt 3,1 Tonnen Haschisch. Geschichte und Realität einer Stadt in einem Polizeiprotokoll zusammengefasst. Während Residenten und Touristen das Bild der Stadt, ihre Boote das des Hafens bestimmen, ist Torrevieja gleichzeitig eine bis ins Innenministerium in Madrid verrufene Verteilerstation des europäischen Drogenhandels. Alle nutzen Meer und Hafen.
Wo heute Spaziergänger und Jogger die lange Mole Dique de Levante mit den tückischen Holzbohlen ablaufen, auf leise vor sich hin schaukelnde Hobby- und Sportboote des Club Náutico schauen und sich darüber echauffieren, dass es hier nach Katzennicht Hundeurin riecht, spielt sich seit Jahrhunderten eine bewegte Geschichte ab.
Sie erzählt von Piraten, Salzbergen, Schmugglern, Fischern, Matrosen, Schiffbau, Schiffbruch und anderen Brüchen und ist noch nicht zu Ende erzählt. Denn die Stadt hat endlich konkrete Ambitionen, dem Hafen wieder seine angemessene Rolle zuzugestehen, ihn zum gesellschaftlichen Zentrum der Stadt zu machen, nachdem man ihn über Jahrzehnte auf einen „ Parkplatz“für schwimmende Wohnmobile reduziert hatte.
Erst Napoleon, dann Erdbeben
Bis ungefähr 1800 war Torreviejas Küstenlinie eine Ansammlung von Fischerhütten und eine Salzverladestation, die 1777 unter königlichem Privileg entstand. Bis dahin war die schwer zu schützende Küste häufig von Piraten heimgesucht, dann folgten die Erbfolgekriege, bis es nichts mehr zu holen gab. 1803 erhielt Torrevieja zwar Stadtrecht, 1805 eine 50 Meter lange Mole für die Verschiffung von Agrargütern der Vega Baja errichtet, seit 1806 gab es eine Zollstation, ein Jahr darauf folgte ein Marinestützpunkt, der zunächst aus drei Beobachtern bestand.
Doch dann kam Napoleon (1808-1813) und 1829 das große
Erdbeben. Erst gegen 1830 kehrten allmählich Ruhe und staatliche Strukturen ein, Torrevieja bekam eine richtige Stadtverwaltung.
Die Menschen überlebten vorher wie nachher durch Fischerei, Landwirtschaft und Schmuggel. Die Salzwirtschaft hatte Bestand, reich wurden durch sie nur wenige, was bis heute gilt. Auch die neue Verladeanlage eines französischen Konzerns steht nie still und die Reste der alten sind heute noch zu sehen, gleich neben Club Náutico und Touristenbüro am Hafen. Relativ gut erhalten ist die Holzbrücke, von der man das Salz, das man auf Wägelchen heranschaffte, in die darunter wartenden Boote kippte. Das Wirtschaftsgebäude von 1777 daneben ist leider bis auf die Grundmauern ruiniert, soll aber restauriert werden wie bereits der Zollturm. Einen Teil der Anlage hat man als „ Eras de la Sal“zu einem Open-Air-Veranstaltungsort gemacht, Spiel- und Kultstätte des jährlichen, ureigenen HabanerasFestivals.
Dort, wo die „ Bella Lola 2“, die Bronzestatue von der Mole in die Ferne winkt, bis zur Cala Cornuda im Norden, erlebte Torrevieja ab 1830 seinen größten Boom. Neben dem Neubau der Stadt entwickelte sich eine imposante Schiffsbautätigkeit. Vor allem auf mittelgroße Segler zum Warentransport im Mittelmeer spezialisierten sich die Torrevejenser. Und selbst als anderswo schon auf Dampf umgestellt wurde, hielt man hier am Segel fest, die Navigationskünste waren landesweit gefragt.
Der örtliche Seemann Francisco Rebollo Ortega hat sich zum Chronisten dieser Zeit und seiner Stadt gemacht. In seinem Blog franciscorebollo.blogspot.com, wo er viele Geschichten, Dokumente und Daten gesammelt und bewahrt hat, berichtet er: „ Am Ende des 19. Jahrhunderts kauften Torrevejenser Reeder Segelboote aus Katalonien, Valencia und Galicien auf, die dort gegen Dampfschiffe ausgetauscht wurden, und so hatte die Stadt in den 20er Jahren (des 20. Jahrhunderts) im spanischen Mittelmeer die größte Segler-Flotte“. Ein erstes Achtungszeichen setzte man 1849 als man den dreimastigen Schoner „ Nuestra Señora del Carmen“vom Stapel ließ. Rund 200 Reeder, Bootseigner, ein Vielfaches an Matrosen und Tagelöhnern bevölkerte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Stadt, alle auf der Jagd nach Aufträgen. Dabei hatte die Stadt gerade 6.000 Einwohner, auf je 20 kam ein Boot. Zwielichtige Hafenkneipen fungierten als Heuerstellen – und nicht alle Ware war legal.
Hafenstadt ohne Hafen
Ähnlich erging es dem Hafen. Denn zunächst gab es gar keinen. Fast ein Jahrhundert kämpfte die Stadt um die Errichtung eines regulierten, staatlich anerkannten Hafens. Immerhin gab es ein Bürgertum, eine Kaufmannschaft, das Casino etablierte sich als kulturelles Zentrum. Doch die Küste blieb ein wildes Lager von teilbefestigten Stegen der Schiffsbauer und Landestellen der Fischer, wo das Recht des Stärkeren regierte.
Die Archive belegen Petitionen seit dem Jahr 1878 und 1915 gab es sogar eine Großdemonstration der Bürgerschaft, bis im gleichen Jahr endlich der Ministerrat in Madrid dem Bau eines Hafens mit einem Real Decreto zustimmte. Doch da war es für eine Positionierung im Markt schon viel zu spät. Der Großteil des Salzhandels wurde über Alicante abgewickelt, die Fischer in Santa Pola waren besser organisiert und den Warenverkehr gewannen Valencia und Cartagena bereits lange zuvor.
Rum, Syphilis und Habaneras
So blieb Torrevieja nur die Nische eines mobilen, schnellen Kleinhandels, die Konterbande – und die Karibik. Tatsächlich blieb die Segelei über den Atlantik noch eine Weile „ sicherer“und ökonomischer als die Überfahrt in Dampfschiffen, die reparaturanfällig und wegen des benötigten Treibstoffs teuer war. Die Torrevejenser Segelexperten waren dabei besonders gefragt, „ fünf bis sechs Monate dauerte eine Über- und Rückfahrt in die Karibik“, so der Chronist Rebollo.
Neben Rum und Syphilis brachten die Seeleute auch Musik mit. Die Habaneras, die zuerst in den Bars Havannas erklangen, sind das melancholische Erbe dieser
Zeit, das man noch heute jeden Sommer am Strand und im Hafen von Torrevieja mit einem internationalen Festival ehrt. Dazu kommen Chöre von den Philippinen bis aus China und den Einheimischen regelmäßig die Tränen. Dass die Hymne der Stadt eine schwermütige Habanera, ein karibischer Blues ist, versteht sich von selbst.
Iberisches Bermuda-Dreieck
Der Strand namens Los Náufragos,
Die Schiffbrüchigen“, liefert einen Hinweis. Von La Mata bis Cabo de Palos am Südende des Mar Menor befindet sich ein regelrechtes spanisches Bermudadreieck, in dem hunderte Segelboote und andere Schiffe verschwanden und mit ihnen ihre Besatzungen. Viele zerschellten an den Felsen vor dem heutigen Strand der Schiffbrüchigen als sie bei Sturm und tückischen Strömungen nicht mehr navigierbar waren.
Am spektakulärsten war natürlich der Untergang der Sirio 1906, die vor Cabo de Palos unter italienischer Flagge auf Grund lief und kenterte. 400 der 800 Passagiere und Besatzungsmitglieder ertranken, Überlebende strandeten in Torrevieja, von Fischern dorthin gerettet. Die nächste Welle der Zerstörung ging von Deutschen aus. Deren U-Boote machten im Ersten Weltkrieg Jagd auf britische und französische Versorgungsschiffe, hunderte wurden auch im Hoheitsgewässer des offiziell neutralen Spanien versenkt. Torrevieja lag mitten im Aufmarschgebiet. Beim Kaffeetrinken auf der Terrasse des Casino konnte man Dutzende deutscher U-Boote Luft holen“sehen, wie eine alte Fotografie im Stadtarchiv zeigt.
Das Casino ist so ziemlich die einzige physische Konstante im Hafenviertel von Torrevieja geblieben. Dieses wurde im Bürgerkrieg von den italienischen Faschisten im Auftrag Francos mehrfach bombardiert, wirtschaftliche Agonie und der übliche Überlebenskampf der Bevölkerung folgten.
Denkmal für ersten „Guiri“
Bis in den 50er und 60er Jahren schwedische Segler in La Mata anlegten und beschlossen, hier zu bleiben. Damals noch ein echtes Abenteuer. Dem ersten GuiriSiedler“, dem Schweden Nils Gäbel, ist an der Torre del Moro sogar ein Denkmal gewidmet. Viele
Nordlichter, dann auch aus deutschsprachigen Landen sollten folgen und mit ihnen Latinos und Maghrebiner, die sie bedienen. Ab den 90er Jahren entstand die bis heute größte russischsprachige Gemeinde auf spanischem Boden, viele angelockt vom nicht endenden Bauboom.
Die Stadt haben alle nachhaltig um- und zugebaut und verändert. Sie ist dreigeteilt: Einheimische, in- und ausländische Gastarbeiter, Residenten, die sich in der Mehrheit meistens höflich gegenseitig ignorieren, auch, weil viele die Sprachbarriere nie überwunden haben. Der Hafen hat sich diesem Gemenge angepasst: Links und rechts von Stränden und den sogenannten Naturbädern (Betonverschalungen in den Felsformationen) flankiert, die im Sommer den Inhalt von Sardinendosen imitieren. Die Fischereiflotte reduzierte sich mittlerweile auf ein halbes Dutzend Schiffe, die in einer heruntergekommenen Lonja ihre Ware umschlagen, daneben ein schwimmendes Museum“mit einem U-Boot als Attraktion. Ansonsten: Kleinjachten und die Segler von Hobbykapitänen, soweit das Auge reicht, Ruder- und Segelvereine, mit teils internationalem Renommee, Drachenbootclubs, umstellt von Bars, Verleihstationen und einem Rummelplatz, der einmal im Jahr einer andalusischen Feria weicht, sowie der HippieKrämermarkt.
Urbanistischer Schiffbruch
Zigtausende Residenten, eine Halbwelt und noch mehr Touristen liegen“im Hafen Torrevieja. Ob die Stadt dadurch eine Perspektive gewonnen oder ökologischen oder urbanistischen Schiffbruch erlitten hat, darüber braucht man nicht einmal mehr streiten. Denn der Exzess scheint unumkehrbar. Geht es nach aktuellen Plänen, kommen in den nächsten Jahren nochmals 8.000 neue Wohnungen hinzu und 20.000 auf die rund 80.000 (offiziellen) Einwohner drauf. Torrevieja kann also gar nicht anders als wie immer zu versuchen, das Beste oder zumindest das Erträglichste aus dem Gegebenen zu machen.