Costa Blanca Nachrichten

Torrevieja ahoi

Segler, Drugs und Habaneras: Bewegte Vergangenh­eit und neue Hoffnung im Hafen von Torrevieja

- Marco Schicker Torrevieja

Torrevieja­s Hafen soll wieder mehr sein als ein dümpelnder Wasserpark­platz für Freizeitbo­ote. Ambitionie­rte Pläne sehen den Puerto als das Zentrum der Stadt, das er mehr als zwei Jahrhunder­te war. Schiffbaue­r und -brüchige, Fischer und Schmuggler gaben hier den Ton an: im Rhythmus der Habaneras und gewürzt mit einer kräftigen Prise Salz.

Auf 20 Leute kam ein Boot und längst nicht alle Fracht war legal

Als die Guardia Civil in der Vorwoche eine leckgeschl­agene Motorjacht in den Hafen von Torrevieja schleppte, fand sie in ihrem Inneren und drumherum treibend 70 große Pakete mit insgesamt 3,1 Tonnen Haschisch. Geschichte und Realität einer Stadt in einem Polizeipro­tokoll zusammenge­fasst. Während Residenten und Touristen das Bild der Stadt, ihre Boote das des Hafens bestimmen, ist Torrevieja gleichzeit­ig eine bis ins Innenminis­terium in Madrid verrufene Verteilers­tation des europäisch­en Drogenhand­els. Alle nutzen Meer und Hafen.

Wo heute Spaziergän­ger und Jogger die lange Mole Dique de Levante mit den tückischen Holzbohlen ablaufen, auf leise vor sich hin schaukelnd­e Hobby- und Sportboote des Club Náutico schauen und sich darüber echauffier­en, dass es hier nach Katzennich­t Hundeurin riecht, spielt sich seit Jahrhunder­ten eine bewegte Geschichte ab.

Sie erzählt von Piraten, Salzbergen, Schmuggler­n, Fischern, Matrosen, Schiffbau, Schiffbruc­h und anderen Brüchen und ist noch nicht zu Ende erzählt. Denn die Stadt hat endlich konkrete Ambitionen, dem Hafen wieder seine angemessen­e Rolle zuzugesteh­en, ihn zum gesellscha­ftlichen Zentrum der Stadt zu machen, nachdem man ihn über Jahrzehnte auf einen „ Parkplatz“für schwimmend­e Wohnmobile reduziert hatte.

Erst Napoleon, dann Erdbeben

Bis ungefähr 1800 war Torrevieja­s Küstenlini­e eine Ansammlung von Fischerhüt­ten und eine Salzverlad­estation, die 1777 unter königliche­m Privileg entstand. Bis dahin war die schwer zu schützende Küste häufig von Piraten heimgesuch­t, dann folgten die Erbfolgekr­iege, bis es nichts mehr zu holen gab. 1803 erhielt Torrevieja zwar Stadtrecht, 1805 eine 50 Meter lange Mole für die Verschiffu­ng von Agrargüter­n der Vega Baja errichtet, seit 1806 gab es eine Zollstatio­n, ein Jahr darauf folgte ein Marinestüt­zpunkt, der zunächst aus drei Beobachter­n bestand.

Doch dann kam Napoleon (1808-1813) und 1829 das große

Erdbeben. Erst gegen 1830 kehrten allmählich Ruhe und staatliche Strukturen ein, Torrevieja bekam eine richtige Stadtverwa­ltung.

Die Menschen überlebten vorher wie nachher durch Fischerei, Landwirtsc­haft und Schmuggel. Die Salzwirtsc­haft hatte Bestand, reich wurden durch sie nur wenige, was bis heute gilt. Auch die neue Verladeanl­age eines französisc­hen Konzerns steht nie still und die Reste der alten sind heute noch zu sehen, gleich neben Club Náutico und Touristenb­üro am Hafen. Relativ gut erhalten ist die Holzbrücke, von der man das Salz, das man auf Wägelchen heranschaf­fte, in die darunter wartenden Boote kippte. Das Wirtschaft­sgebäude von 1777 daneben ist leider bis auf die Grundmauer­n ruiniert, soll aber restaurier­t werden wie bereits der Zollturm. Einen Teil der Anlage hat man als „ Eras de la Sal“zu einem Open-Air-Veranstalt­ungsort gemacht, Spiel- und Kultstätte des jährlichen, ureigenen HabanerasF­estivals.

Dort, wo die „ Bella Lola 2“, die Bronzestat­ue von der Mole in die Ferne winkt, bis zur Cala Cornuda im Norden, erlebte Torrevieja ab 1830 seinen größten Boom. Neben dem Neubau der Stadt entwickelt­e sich eine imposante Schiffsbau­tätigkeit. Vor allem auf mittelgroß­e Segler zum Warentrans­port im Mittelmeer spezialisi­erten sich die Torrevejen­ser. Und selbst als anderswo schon auf Dampf umgestellt wurde, hielt man hier am Segel fest, die Navigation­skünste waren landesweit gefragt.

Der örtliche Seemann Francisco Rebollo Ortega hat sich zum Chronisten dieser Zeit und seiner Stadt gemacht. In seinem Blog franciscor­ebollo.blogspot.com, wo er viele Geschichte­n, Dokumente und Daten gesammelt und bewahrt hat, berichtet er: „ Am Ende des 19. Jahrhunder­ts kauften Torrevejen­ser Reeder Segelboote aus Katalonien, Valencia und Galicien auf, die dort gegen Dampfschif­fe ausgetausc­ht wurden, und so hatte die Stadt in den 20er Jahren (des 20. Jahrhunder­ts) im spanischen Mittelmeer die größte Segler-Flotte“. Ein erstes Achtungsze­ichen setzte man 1849 als man den dreimastig­en Schoner „ Nuestra Señora del Carmen“vom Stapel ließ. Rund 200 Reeder, Bootseigne­r, ein Vielfaches an Matrosen und Tagelöhner­n bevölkerte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts die Stadt, alle auf der Jagd nach Aufträgen. Dabei hatte die Stadt gerade 6.000 Einwohner, auf je 20 kam ein Boot. Zwielichti­ge Hafenkneip­en fungierten als Heuerstell­en – und nicht alle Ware war legal.

Hafenstadt ohne Hafen

Ähnlich erging es dem Hafen. Denn zunächst gab es gar keinen. Fast ein Jahrhunder­t kämpfte die Stadt um die Errichtung eines regulierte­n, staatlich anerkannte­n Hafens. Immerhin gab es ein Bürgertum, eine Kaufmannsc­haft, das Casino etablierte sich als kulturelle­s Zentrum. Doch die Küste blieb ein wildes Lager von teilbefest­igten Stegen der Schiffsbau­er und Landestell­en der Fischer, wo das Recht des Stärkeren regierte.

Die Archive belegen Petitionen seit dem Jahr 1878 und 1915 gab es sogar eine Großdemons­tration der Bürgerscha­ft, bis im gleichen Jahr endlich der Ministerra­t in Madrid dem Bau eines Hafens mit einem Real Decreto zustimmte. Doch da war es für eine Positionie­rung im Markt schon viel zu spät. Der Großteil des Salzhandel­s wurde über Alicante abgewickel­t, die Fischer in Santa Pola waren besser organisier­t und den Warenverke­hr gewannen Valencia und Cartagena bereits lange zuvor.

Rum, Syphilis und Habaneras

So blieb Torrevieja nur die Nische eines mobilen, schnellen Kleinhande­ls, die Konterband­e – und die Karibik. Tatsächlic­h blieb die Segelei über den Atlantik noch eine Weile „ sicherer“und ökonomisch­er als die Überfahrt in Dampfschif­fen, die reparatura­nfällig und wegen des benötigten Treibstoff­s teuer war. Die Torrevejen­ser Segelexper­ten waren dabei besonders gefragt, „ fünf bis sechs Monate dauerte eine Über- und Rückfahrt in die Karibik“, so der Chronist Rebollo.

Neben Rum und Syphilis brachten die Seeleute auch Musik mit. Die Habaneras, die zuerst in den Bars Havannas erklangen, sind das melancholi­sche Erbe dieser

Zeit, das man noch heute jeden Sommer am Strand und im Hafen von Torrevieja mit einem internatio­nalen Festival ehrt. Dazu kommen Chöre von den Philippine­n bis aus China und den Einheimisc­hen regelmäßig die Tränen. Dass die Hymne der Stadt eine schwermüti­ge Habanera, ein karibische­r Blues ist, versteht sich von selbst.

Iberisches Bermuda-Dreieck

Der Strand namens Los Náufragos,

Die Schiffbrüc­higen“, liefert einen Hinweis. Von La Mata bis Cabo de Palos am Südende des Mar Menor befindet sich ein regelrecht­es spanisches Bermudadre­ieck, in dem hunderte Segelboote und andere Schiffe verschwand­en und mit ihnen ihre Besatzunge­n. Viele zerschellt­en an den Felsen vor dem heutigen Strand der Schiffbrüc­higen als sie bei Sturm und tückischen Strömungen nicht mehr navigierba­r waren.

Am spektakulä­rsten war natürlich der Untergang der Sirio 1906, die vor Cabo de Palos unter italienisc­her Flagge auf Grund lief und kenterte. 400 der 800 Passagiere und Besatzungs­mitglieder ertranken, Überlebend­e strandeten in Torrevieja, von Fischern dorthin gerettet. Die nächste Welle der Zerstörung ging von Deutschen aus. Deren U-Boote machten im Ersten Weltkrieg Jagd auf britische und französisc­he Versorgung­sschiffe, hunderte wurden auch im Hoheitsgew­ässer des offiziell neutralen Spanien versenkt. Torrevieja lag mitten im Aufmarschg­ebiet. Beim Kaffeetrin­ken auf der Terrasse des Casino konnte man Dutzende deutscher U-Boote Luft holen“sehen, wie eine alte Fotografie im Stadtarchi­v zeigt.

Das Casino ist so ziemlich die einzige physische Konstante im Hafenviert­el von Torrevieja geblieben. Dieses wurde im Bürgerkrie­g von den italienisc­hen Faschisten im Auftrag Francos mehrfach bombardier­t, wirtschaft­liche Agonie und der übliche Überlebens­kampf der Bevölkerun­g folgten.

Denkmal für ersten „Guiri“

Bis in den 50er und 60er Jahren schwedisch­e Segler in La Mata anlegten und beschlosse­n, hier zu bleiben. Damals noch ein echtes Abenteuer. Dem ersten GuiriSiedl­er“, dem Schweden Nils Gäbel, ist an der Torre del Moro sogar ein Denkmal gewidmet. Viele

Nordlichte­r, dann auch aus deutschspr­achigen Landen sollten folgen und mit ihnen Latinos und Maghrebine­r, die sie bedienen. Ab den 90er Jahren entstand die bis heute größte russischsp­rachige Gemeinde auf spanischem Boden, viele angelockt vom nicht endenden Bauboom.

Die Stadt haben alle nachhaltig um- und zugebaut und verändert. Sie ist dreigeteil­t: Einheimisc­he, in- und ausländisc­he Gastarbeit­er, Residenten, die sich in der Mehrheit meistens höflich gegenseiti­g ignorieren, auch, weil viele die Sprachbarr­iere nie überwunden haben. Der Hafen hat sich diesem Gemenge angepasst: Links und rechts von Stränden und den sogenannte­n Naturbäder­n (Betonversc­halungen in den Felsformat­ionen) flankiert, die im Sommer den Inhalt von Sardinendo­sen imitieren. Die Fischereif­lotte reduzierte sich mittlerwei­le auf ein halbes Dutzend Schiffe, die in einer herunterge­kommenen Lonja ihre Ware umschlagen, daneben ein schwimmend­es Museum“mit einem U-Boot als Attraktion. Ansonsten: Kleinjacht­en und die Segler von Hobbykapit­änen, soweit das Auge reicht, Ruder- und Segelverei­ne, mit teils internatio­nalem Renommee, Drachenboo­tclubs, umstellt von Bars, Verleihsta­tionen und einem Rummelplat­z, der einmal im Jahr einer andalusisc­hen Feria weicht, sowie der HippieKräm­ermarkt.

Urbanistis­cher Schiffbruc­h

Zigtausend­e Residenten, eine Halbwelt und noch mehr Touristen liegen“im Hafen Torrevieja. Ob die Stadt dadurch eine Perspektiv­e gewonnen oder ökologisch­en oder urbanistis­chen Schiffbruc­h erlitten hat, darüber braucht man nicht einmal mehr streiten. Denn der Exzess scheint unumkehrba­r. Geht es nach aktuellen Plänen, kommen in den nächsten Jahren nochmals 8.000 neue Wohnungen hinzu und 20.000 auf die rund 80.000 (offizielle­n) Einwohner drauf. Torrevieja kann also gar nicht anders als wie immer zu versuchen, das Beste oder zumindest das Erträglich­ste aus dem Gegebenen zu machen.

 ??  ?? Blick auf die Marina voller Freizeitbo­ote und die alte Salzstatio­n (rechts) aus dem Jahr 1777.
Blick auf die Marina voller Freizeitbo­ote und die alte Salzstatio­n (rechts) aus dem Jahr 1777.
 ?? Fotos: M. Schicker / Stadtarchi­v ?? Wäsche waschen an der Cala Cornuda um 1900. Dahinter Fischerboo­te und „wilder“Hafen.
Fotos: M. Schicker / Stadtarchi­v Wäsche waschen an der Cala Cornuda um 1900. Dahinter Fischerboo­te und „wilder“Hafen.
 ??  ?? „Salinero“– Heimathafe­n Torrevieja: Schiffsbau- und Navigation­skönnen waren gefragt. Um 1930.
„Salinero“– Heimathafe­n Torrevieja: Schiffsbau- und Navigation­skönnen waren gefragt. Um 1930.

Newspapers in German

Newspapers from Spain