Viele ohne Job
Norden gegen Süden: EU-Gipfel vertagt Entscheidung über Corona-Hilfsprogramm
Mit Rekordnegativzahlen macht sich das Coronavirus auf dem spanischen Arbeitsmarkt bemerkbar: Seit 12. März ist die Anzahl der Menschen ohne Job um 302.000 auf 3,5 Millionen gestiegen. Noch nie musste das Arbeitsministerium eine annähernd hohe Zahl erfassen.
Brüssel/Madrid – tl. Wenn sich 27 Staats- und Regierungschefs der EU in Krisenzeiten zu einem Gipfel verabreden, dann weiß man, was passiert: Es wird ums Geld gestritten. So auch am Donnerstag vor einer Woche, als es eigentlich darum ging, ein schnelles Hilfspaket zu schnüren, damit die Coronavirus-Krise keinen nicht wieder gut zu machenden sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Schaden in den Mitgliedsstaaten anrichtet. Doch dazu kam es nicht.
Fast wäre der Gipfel – diesmal per Video-Konferenz – sogar gescheitert. Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez und sein italienischer Kollege Guiseppe Conte weigerten sich, eine von Europarats-Präsident Charles Michel vorbereitete Abschluss-Erklärung zu unterzeichnen, in der das Wort Solidarität ganz vorne auftaucht, die aber weiter hinten inhaltlich völlig unverbindlich blieb. „ Das ist inakzeptabel“, soll Sánchez laut Zeitung „ El País“erbost gesagt haben.
Beide Ministerpräsidenten verlangten eine schnelle Lösung. Spanien und Italien sind am schlimmsten von der Corona-Krise betroffen. Ohne eine zeitliche Perspektive werde man den Gipfel scheitern lassen. So unter Druck gesetzt, kam die Runde überein, in 15 Tagen erneut zu konferieren. Bis dahin sollen die Finanzminister der Euro-Gruppe eine konsensfähige Lösung ausarbeiten.
Wie diese Lösung aussehen könnte, darüber aber gibt es kaum zu überbrückende Differenzen. Analog zur Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 stehen sich der Norden und der Süden in der EU gegenüber. Sánchez wünscht sich „ einen Marshall-Plan“für die EU und erhält Rückendeckung von Italien, Frankreich, Portugal und fünf weiteren Mitgliedern. Deutschland, die Niederlande, Österreich und Finnland gehören zu den Bremsern. „ Im Süden wird gestorben, im Norden wird gespart“, lästerten Kommentatoren.
An einem Reizwort werden die Meinungsunterschiede besonders deutlich: Euro-Bonds beziehungsweise jetzt Corona-Bonds. Also Anleihen, die von der Euro-Gruppe aufgenommen werden und für die gemeinsam gehaftet wird. Bereits in der Finanzkrise war dieser Wunsch der Süd-Länder abgeschmettert worden. Diesmal tun sich besonders die Niederlande hervor, diese Vergemeinschaftung von Schulden abzulehnen. „ Ich sehe auch keine Chance, dass sich unsere Meinung hier ändern wird“, so Ministerpräsident Mark Rutte.
Dessen Finanzminister Wupke Hoekstra spielt diesmal den „ bösen
Buben“. An die Adresse von Spanien und Italien gerichtet, äußerte der Minister: Man möge doch erst einmal der Sache nachgehen, warum gewisse Länder keinen Haushaltsspielraum gebildet hätten, obwohl die Euro-Zone sieben Jahre Wirtschaftswachstum erlebt habe. Was fatal an seinen Vorgänger und den früheren Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem erinnert, der sich in der Finanzkrise zu der Aussage hinreißen ließ, in Ländern wie Spanien oder Italien werde das Geld ohnehin „ nur für Frauen und Alkohol ausgegeben“.
Portugals Premierminister António Costa hatte denn auch nur ein Wort für den niederländischen Finanzminister Hoekstra übrig:
„ Widerwärtig.“In einer derart vergifteten Stimmung erscheint eine Einigung beim kommenden Gipfel unmöglich. Erschwerend kommt hinzu, dass wie in der Finanzkrise auch jetzt in der Corona-Krise nicht alle Länder gleichermaßen stark betroffen sind. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron brachte im Interview mit der Zeitung „ La Vanguardia“sein Unverständnis für die Haltung des Nordens auf den Punkt: „ Einige tun so, als wenn Spanien und Italien verantwortlich für Corona sind.“
Unterdessen bringt Deutschland den Europäischen StabilitätsMechanismus (ESM) ins Spiel. Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht, den Südländern diese
Option schmackhaft zu machen. Schließlich stünden mit diesem Instrumentarium sofort 410 Milliarden Euro zur Vergabe bereit. Allerdings sind die Vorbehalte groß gegen den ESM, der Teil des Euro-Rettungsschirms ist. In der Finanzkrise war die Vergabe der Mittel an strenge Auflagen und Kontrolle gebunden. Italien und Spanien befürchten, mit dem ESM erneut ihren politischen Handlungsspielraum zu verlieren.
Scholz bringt ESM ins Spiel
Das allerdings muss nicht sein. Anders als in der Finanzkrise, als es auch darum ging, eine unsolide Haushaltspolitik zu korrigieren, ist in der Corona-Krise kein schuldhaftes Verhalten erkennbar. Das mit den Bedingungen müsse diesmal so nicht sein, ließ der deutsche Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz in der ZDF-Talkrunde vorsichtig durchblicken. Interpretieren kann man das auch folgendermaßen: Wenn die vorhandenen Mittel des ESM aufgebraucht sind, kann diese Finanzierungsinstitution sich mit Anleihen neues Kapital auf dem Finanzmarkt beschaffen. Haften würden dann die Euro-Länder gemäß ihrer jeweiligen ESM-Anteile. Das wären dann Corona-Bonds durch die Hintertür. Ob diese Lösung konsensfähig wäre, ist allerdings fraglich. Derzeit sieht es eher danach aus, als müsse auch der europäische Geist dringend ans Beatmungsgerät.
Die Meinungsunterschiede werden beim Reizwort Corona-Bonds deutlich