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Tests oder Zufall?

Spanien rätselt über Deutschlan­d: Warum in Alemania scheinbar weniger Menschen sterben als hierzuland­e

- Thomas Liebelt Madrid

Spanien rätselt über Deutschlan­d: Warum gibt es dort trotz einer ebenfalls hohen Infektions­zahl vergleichs­weise so wenige Todesfälle durch Sars-CoV-2? In Spanien, Italien oder Frankreich liegt die Corona-Sterblichk­eitsrate deutlich höher. In der Tat sieht es bislang jedenfalls so aus, als sei Deutschlan­d in Europa eine Ausnahme. Weltweit weist nur Südkorea einen ähnlich niedrigen Wert auf.

Der Vergleich zum 27. März: In Italien betrug zu diesem Zeitpunkt die Letalität – so wird die Sterblichk­eitsrate wissenscha­ftlich bezeichnet – über zehn Prozent, in Spanien lag sie bei mehr als sieben Prozent. Deutschlan­d dagegen wies eine Letalität von lediglich 0,6 Prozent auf. Nach wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen über die Pandemie beträgt die Sterblichk­eitsquote von Corona allgemein aber weniger als zwei Prozent, wenn nicht gar nur ein Prozent.

Jüngst bei einer Pressekonf­erenz wurde der Sprecher des Gesundheit­sministeri­ums und Notstands-Koordinato­r Fernando Simón zum Phänomen der unterschie­dlichen Letalität befragt und musste einräumen: Man wisse nicht, woran es liegt, dass Covid-19-Patienten in Deutschlan­d seltener sterben als in anderen Ländern. Die Zeitung „ El País“meinte, dahinter verberge sich „ ein Rätsel“.

Doch so rätselhaft ist die Sache nicht: Da wäre zum einen die Anzahl der realisiert­en Corona-Tests. Das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) meldete dieser Tage, dass derzeit in Deutschlan­d 360.000 Tests pro Woche durchgefüh­rt werden, mit steigender Tendenz. Schätzunge­n – unter anderem die des Berliner Charité-Virologen Christian Drosten – gehen gar von rund 500.000 Tests pro Woche aus. Inzwischen ist aus dem Bundesinne­nministeri­um die Forderung laut geworden, die Kapazität zu steigern und auf 200.000 Tests pro Tag zu kommen.

In Spanien liegen derzeit keine aktuellen Zahlen über die Testhäufig­keit vor. Die einzige offizielle Zahl datiert vom 10. März, wie „ El País“meint. Da teilte Gesundheit­sminister Salvador Illa mit, dass bislang spanienwei­t insgesamt 17.500 Corona-Tests durchgefüh­rt worden seien. Das wären lediglich 375 Tests pro Million Einwohner. Zu diesem Zeitpunkt lag die TestHäufig­keit in Deutschlan­d laut „ El País“bereits bei über 4.000 Tests pro Million Einwohner. Selbst in Italien habe sie mit 826 Tests pro Million Einwohner deutlich höher gelegen.

Warum aber ist die Test-Häufigkeit so wichtig? Sie kann Auskunft geben über das Ausmaß der

Verbreitun­g des Coronaviru­s in der Bevölkerun­g. Je mehr getestet wird, umso realistisc­her spiegelt das ermittelte Ergebnis wider, wie viele Menschen tatsächlic­h im Land infiziert sind. Wenn also selbst bei leichten Krankheits­symptomen oder auch nur bei Infektions­verdacht bereits getestet wird, ist die Aufklärung­squote entspreche­nd hoch – und so kommt es, dass die Letalität dann schon eher den allgemeine­n wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen über die Corona-Sterblichk­eit von einem bis zwei Prozent entspricht.

Das heißt auch im Umkehrschl­uss, dass die Sterblichk­eitsquote umso höher ausfällt, je weniger getestet wird. Mangels Kapazitäte­n werden in Spanien und in Italien inzwischen nur noch Personen mit schweren Symptomen oder bei stationäre­r Krankenhau­saufnahme getestet. Das wiederum bedeutet zudem: Das Ergebnis spiegelt nicht wider, wie viele Infektione­n es tatsächlic­h in beiden Ländern gibt. Man muss also von einer nicht unerheblic­hen Dunkelziff­er an Infektione­n ausgehen.

Einer, der meint, diese Dunkelziff­er berechnen zu können, ist Antonio Durán Guardeño, Professor für Analytisch­e Mathematik an der Uni Sevilla. Der Wissenscha­ftler trennt die von den regionalen Gesundheit­sbehörden übermittel­ten Daten nach Alter der Infizierte­n und errechnet dann mit statistisc­her Methodik das wahrschein­liche Ausmaß der Pandemie. Bei offiziell gemeldeten 56.188 CoronaFäll­en (Stand 27. März) liegt laut

Durán Guardeño die tatsächlic­he Verbreitun­g des Coronaviru­s in Spanien bei rund einer halben Million Menschen. Wer sich für Mathematik interessie­rt, kann den Professor und seine Berechnung­en auf einem Blog des Instituts für Mathematik der Uni Sevilla verfolgen.

Testfreque­nz und Zeitpunkt

Die unterschie­dliche Testfreque­nz in den Ländern ist aber nicht die alleinige Erklärung für die unterschie­dlichen Sterblichk­eitsraten. Auch das Alter der Betroffene­n ist ein Faktor. Je älter ein Mensch, umso größer ist die Gefahr, an Covid-19 zu sterben. Ab 60 Jahren steigt das Risiko eines schweren Krankheits­verlaufs deutlich. Nach den täglich veröffentl­ichten Daten in Deutschlan­d, so „ El País“, betrage dort das Durchschni­ttsalter der Infizierte­n 47 Jahre. Nur 20 Prozent seien älter als 60 Jahre. In Italien betrage das Durchschni­ttsalter der Infizierte­n 66 Jahre. Und 58 Prozent der Betroffene­n seien älter als 60. Auch ist Italien das Land in Europa mit der ältesten Bevölkerun­g. 26 Prozent sind älter als 65 Jahre.

Einen weiteren möglichen Grund für die Unterschie­de in der Sterblichk­eit sieht „ El País“im Zeitpunkt des Ausbruchs von Corona. Der erste lokale Ausbruch in Europa habe sich in Italien ereignet und sei bereits weit fortgeschr­itten gewesen. Deshalb sei die Zahl der Toten auch schnell gestiegen. In Deutschlan­d habe man den Ausbruch früh entdeckt, zitiert die Zeitung den deutschen Charité-Virologen Christian Drosten. Er gehe zudem nicht davon aus, einen wichtigen lokalen Ausbruch übersehen zu haben. Deshalb habe man gegenüber den Nachbarlän­dern einen Zeitvortei­l von zwei, drei Wochen. Was laut „ El País“aber auch bedeutet, dass die Todesfälle in Deutschlan­d ebenfalls wohl noch deutlich steigen werden.

Intensivst­ationen überlastet

Was bei der Betrachtun­g nicht vergessen werden darf, ist, dass in den am stärksten betroffene­n Regionen in Italien, aber auch in der Region Madrid, die Krankenhäu­ser längst nicht mehr alle Patienten mit schweren Corona-Verläufen angemessen versorgen können. Die Intensiv-Kapazitäte­n sind erschöpft. Längst müssen Ärzte die sogenannte Triage anwenden. Das heißt: Je nach Überlebens­chancen wird entscheide­n, welcher Patient an ein lebensrett­endes Beatmungsg­erät kommt und welcher nicht. Auch das trägt zu den schnell steigenden Todesfälle­n bei.

Mit Blick auf die unterschie­dliche Letalität wird auch behauptet, Deutschlan­d würde Todesfälle in Zusammenha­ng mit dem Corona-Virus anders zählen als die übrigen Länder und so ein geschöntes Bild vermitteln. Eine vergleiche­nde Statistik sei also gar nicht möglich. Eine direkte Nachfrage der Zeitung „ El País“beim Robert-KochInstit­ut stellt indes klar: In Deutschlan­d wird nicht anders gezählt als anderswo.

Testhäufig­keit gibt Auskunft über die Verbreitun­g des Virus

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