Tests oder Zufall?
Spanien rätselt über Deutschland: Warum in Alemania scheinbar weniger Menschen sterben als hierzulande
Spanien rätselt über Deutschland: Warum gibt es dort trotz einer ebenfalls hohen Infektionszahl vergleichsweise so wenige Todesfälle durch Sars-CoV-2? In Spanien, Italien oder Frankreich liegt die Corona-Sterblichkeitsrate deutlich höher. In der Tat sieht es bislang jedenfalls so aus, als sei Deutschland in Europa eine Ausnahme. Weltweit weist nur Südkorea einen ähnlich niedrigen Wert auf.
Der Vergleich zum 27. März: In Italien betrug zu diesem Zeitpunkt die Letalität – so wird die Sterblichkeitsrate wissenschaftlich bezeichnet – über zehn Prozent, in Spanien lag sie bei mehr als sieben Prozent. Deutschland dagegen wies eine Letalität von lediglich 0,6 Prozent auf. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Pandemie beträgt die Sterblichkeitsquote von Corona allgemein aber weniger als zwei Prozent, wenn nicht gar nur ein Prozent.
Jüngst bei einer Pressekonferenz wurde der Sprecher des Gesundheitsministeriums und Notstands-Koordinator Fernando Simón zum Phänomen der unterschiedlichen Letalität befragt und musste einräumen: Man wisse nicht, woran es liegt, dass Covid-19-Patienten in Deutschland seltener sterben als in anderen Ländern. Die Zeitung „ El País“meinte, dahinter verberge sich „ ein Rätsel“.
Doch so rätselhaft ist die Sache nicht: Da wäre zum einen die Anzahl der realisierten Corona-Tests. Das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) meldete dieser Tage, dass derzeit in Deutschland 360.000 Tests pro Woche durchgeführt werden, mit steigender Tendenz. Schätzungen – unter anderem die des Berliner Charité-Virologen Christian Drosten – gehen gar von rund 500.000 Tests pro Woche aus. Inzwischen ist aus dem Bundesinnenministerium die Forderung laut geworden, die Kapazität zu steigern und auf 200.000 Tests pro Tag zu kommen.
In Spanien liegen derzeit keine aktuellen Zahlen über die Testhäufigkeit vor. Die einzige offizielle Zahl datiert vom 10. März, wie „ El País“meint. Da teilte Gesundheitsminister Salvador Illa mit, dass bislang spanienweit insgesamt 17.500 Corona-Tests durchgeführt worden seien. Das wären lediglich 375 Tests pro Million Einwohner. Zu diesem Zeitpunkt lag die TestHäufigkeit in Deutschland laut „ El País“bereits bei über 4.000 Tests pro Million Einwohner. Selbst in Italien habe sie mit 826 Tests pro Million Einwohner deutlich höher gelegen.
Warum aber ist die Test-Häufigkeit so wichtig? Sie kann Auskunft geben über das Ausmaß der
Verbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung. Je mehr getestet wird, umso realistischer spiegelt das ermittelte Ergebnis wider, wie viele Menschen tatsächlich im Land infiziert sind. Wenn also selbst bei leichten Krankheitssymptomen oder auch nur bei Infektionsverdacht bereits getestet wird, ist die Aufklärungsquote entsprechend hoch – und so kommt es, dass die Letalität dann schon eher den allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Corona-Sterblichkeit von einem bis zwei Prozent entspricht.
Das heißt auch im Umkehrschluss, dass die Sterblichkeitsquote umso höher ausfällt, je weniger getestet wird. Mangels Kapazitäten werden in Spanien und in Italien inzwischen nur noch Personen mit schweren Symptomen oder bei stationärer Krankenhausaufnahme getestet. Das wiederum bedeutet zudem: Das Ergebnis spiegelt nicht wider, wie viele Infektionen es tatsächlich in beiden Ländern gibt. Man muss also von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer an Infektionen ausgehen.
Einer, der meint, diese Dunkelziffer berechnen zu können, ist Antonio Durán Guardeño, Professor für Analytische Mathematik an der Uni Sevilla. Der Wissenschaftler trennt die von den regionalen Gesundheitsbehörden übermittelten Daten nach Alter der Infizierten und errechnet dann mit statistischer Methodik das wahrscheinliche Ausmaß der Pandemie. Bei offiziell gemeldeten 56.188 CoronaFällen (Stand 27. März) liegt laut
Durán Guardeño die tatsächliche Verbreitung des Coronavirus in Spanien bei rund einer halben Million Menschen. Wer sich für Mathematik interessiert, kann den Professor und seine Berechnungen auf einem Blog des Instituts für Mathematik der Uni Sevilla verfolgen.
Testfrequenz und Zeitpunkt
Die unterschiedliche Testfrequenz in den Ländern ist aber nicht die alleinige Erklärung für die unterschiedlichen Sterblichkeitsraten. Auch das Alter der Betroffenen ist ein Faktor. Je älter ein Mensch, umso größer ist die Gefahr, an Covid-19 zu sterben. Ab 60 Jahren steigt das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs deutlich. Nach den täglich veröffentlichten Daten in Deutschland, so „ El País“, betrage dort das Durchschnittsalter der Infizierten 47 Jahre. Nur 20 Prozent seien älter als 60 Jahre. In Italien betrage das Durchschnittsalter der Infizierten 66 Jahre. Und 58 Prozent der Betroffenen seien älter als 60. Auch ist Italien das Land in Europa mit der ältesten Bevölkerung. 26 Prozent sind älter als 65 Jahre.
Einen weiteren möglichen Grund für die Unterschiede in der Sterblichkeit sieht „ El País“im Zeitpunkt des Ausbruchs von Corona. Der erste lokale Ausbruch in Europa habe sich in Italien ereignet und sei bereits weit fortgeschritten gewesen. Deshalb sei die Zahl der Toten auch schnell gestiegen. In Deutschland habe man den Ausbruch früh entdeckt, zitiert die Zeitung den deutschen Charité-Virologen Christian Drosten. Er gehe zudem nicht davon aus, einen wichtigen lokalen Ausbruch übersehen zu haben. Deshalb habe man gegenüber den Nachbarländern einen Zeitvorteil von zwei, drei Wochen. Was laut „ El País“aber auch bedeutet, dass die Todesfälle in Deutschland ebenfalls wohl noch deutlich steigen werden.
Intensivstationen überlastet
Was bei der Betrachtung nicht vergessen werden darf, ist, dass in den am stärksten betroffenen Regionen in Italien, aber auch in der Region Madrid, die Krankenhäuser längst nicht mehr alle Patienten mit schweren Corona-Verläufen angemessen versorgen können. Die Intensiv-Kapazitäten sind erschöpft. Längst müssen Ärzte die sogenannte Triage anwenden. Das heißt: Je nach Überlebenschancen wird entscheiden, welcher Patient an ein lebensrettendes Beatmungsgerät kommt und welcher nicht. Auch das trägt zu den schnell steigenden Todesfällen bei.
Mit Blick auf die unterschiedliche Letalität wird auch behauptet, Deutschland würde Todesfälle in Zusammenhang mit dem Corona-Virus anders zählen als die übrigen Länder und so ein geschöntes Bild vermitteln. Eine vergleichende Statistik sei also gar nicht möglich. Eine direkte Nachfrage der Zeitung „ El País“beim Robert-KochInstitut stellt indes klar: In Deutschland wird nicht anders gezählt als anderswo.
Testhäufigkeit gibt Auskunft über die Verbreitung des Virus