Liebe Leser,
vielleicht haben Sie dieser Tage auch viele dieser Whatsapp-Parodien über das Coronavirus erhalten. Eine dieser Lachnummern zeigt eine Luftaufnahme von einem Supermarkt. Man sieht von oben eine Schlange von Kunden sich langsam auf den Eingang zu bewegen. Sie erinnert tatsächlich an eine
Prozession. Das ist also die Semana Santa
2020 – was auf den ersten Blick absurd erscheint, stimmt irgendwie traurig. Denn es bringt zum Ausdruck, worauf der Notstand unser soziales Leben reduziert hat: auf den Besuch des Supermarkts.
Sicherlich, das Ausmaß dieser sanitären Katastrophe hat uns alle überrollt, Regierung wie Bürger. Vielleicht haben wir deshalb diese tiefen Einschnitte in unser Leben und in unsere Freiheiten gerne hingenommen, ja sogar begrüßt. Schließlich leiden und sterben Menschen zu Tausenden. Angesichts der drastischen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus haben wir in Spanien uns auf die Solidarität berufen und uns im gleichen Zug vor möglichen Ausreißern – in den Sozialen Netzwerken gerne mit Beweisfotos als unsolidarische Mitmenschen denunziert – geschützt. Deutschland dagegen hat seinen Bürgern ein größeres Maß an Vertrauen entgegengebracht und gewisse Risiken in Kauf genommen. Man kann die Pandemie und die Reaktion beider Länder darauf nur bedingt vergleichen – aber ein Verbot wiegt überall die Bevölkerung in größerer Sicherheit als ein Appell. Und die Freiheit zählt fast immer zu den ersten Opfern einer Diktatur.
Ganz am Anfang der Krise fragten Journalisten Ministerpräsident Pedro Sánchez, ob er nicht eine härtere Gangart bei Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus einlegen wolle. So manches aus China, antwortete er, könne er nicht in Einklang mit der spanischen Lebensweise bringen. Wenige Tage darauf haben die Ereignisse dieses Selbstbewusstsein unter sich begraben. Nun belehrt uns sein Innenminister, dass die öffentliche Gesundheit im Notfall über den Grundrechten steht. Vorsicht – wenn wir dem Bedürfnis nach Sicherheit unsere Freiheits- und Grundrechte opfern, schlagen wir den falschen Weg ein. Wir sind nicht China.
Die Regierung Sánchez hat nun den Notstand bis Ende April verlängert. Ein konsequenter Schritt – kommen doch noch kritische Wochen auf uns und das Land zu. Die jüngsten Zahlen drücken aus, dass diese Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Wir alle haben angesichts einer unbekannten Bedrohung viel Verantwortungsbewusstsein bewiesen, mehr als die Regierung uns zutraute. Das sollte die Regierung in Madrid im Hinterkopf behalten, wenn sie bei den anstehenden Maßnahmen über die schrittweisen Lockerungen der Auflagen über Handy-Ortungen und Internierungen in chinesische Arche Noahs nachdenkt. Wir waren vor dieser Krise mündige Bürger und haben weder nach einem starken Staat gerufen, noch die Erfüllung im Einkaufswagen gesucht. Das wollen wir auch danach nicht.