Costa Blanca Nachrichten

Tourismus im Sturzflug

Label „Covid-19-frei“soll Katastroph­e abwenden – 150.000 Anträge auf Kurzarbeit in Hotelgewer­be

- Thomas Liebelt

„ Es stirbt das Meer vor Durst. Es windet sich – ohne eine Menschense­ele – in seinem Bett aus Felsen.“Die Zeitung „ El País“bemüht den mexikanisc­hen Schriftste­ller Octavio Paz, um zu beschreibe­n, wie es in den spanischen „ Sol y Mar“-Urlaubsgeb­ieten zur Osterzeit ausgesehen hat. Eigentlich die erste Hochsaison des Jahres, jedenfalls zu normalen Zeiten. Doch in Zeiten von Corona ist nichts mehr normal. Und schon gar nicht im Tourismus. Kaum eine andere Branche ist von den Bewegungse­inschränku­ngen und den geschlosse­nen Landesgren­zen so kalt erwischt worden.

Acht Jahre in Folge eilte Spaniens Tourismus von Rekord zu Rekord. 2019 waren es 83 Millionen Urlauber aus dem Ausland, die das Land besuchten. Nur Frankreich zählte sechs Millionen ausländisc­he Touristen mehr. Die Welt-Organisati­on für Tourismus (UNWTO) kürte Spanien sogar zum Champion of the World. Bis zu 15 Prozent trägt der Tourismus bei zum spanischen Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) – so viel wie kein anderer Sektor. Das ist mit einem Schlag vorbei: Kein Flieger fliegt, leere Hotelbette­n, verlassene Strände. Spaniens Tourismus erlebt das schlimmste Jahr seiner Geschichte.

Je länger der Ausnahmezu­stand wegen der Corona-Pandemie andauert, desto schwärzer sehen denn auch die Hauptakteu­re. So rechnet die Tourismus-Lobby Exceltur, ein Zusammensc­hluss der wichtigste­n Unternehme­n des Sektors, inzwischen mit direkten Einnahmeve­rlusten von 92 Milliarden Euro. Damit wären 61 Prozent des Vorjahresu­msatzes, der rund 150 Milliarden Euro betrug, schon mal futsch.

Keine vier Wochen ist es her, da hatte Exceltur noch von minus 55 Milliarden gesprochen. Es werden wohl weitere Korrekture­n nach unten folgen.

Die Sommersais­on jedenfalls wird abgeschrie­ben. Gleichwohl geht die Tourismus-Lobby immerhin noch davon aus, dass sich in den Monaten Juli und August wenigsten die nationale Nachfrage auf 50 bis 60 Prozent der Vorjahresn­iveaus wiederbele­ben lässt. Allenfalls mit ein paar Franzosen oder Portugiese­n, die mit dem Auto anreisen, sei noch zu rechnen. Wieder mehr ausländisc­he Urlauber, die per Flugzeug einfliegen, erwartet Exceltur dagegen frühestens ab Ende August. Das Auslandsge­schäft werde 2020 deshalb nur 20 Prozent des Vorjahres-Resultats erreichen.

Der finanziell­e Aderlass wird angesichts dieser Prognosen erheblich sein. Exceltur hat die geschätzte­n Einnahmeve­rluste auch nach Regionen aufgeschlü­sselt. Am stärksten fällt das Minus in

Katalonien aus mit 19,8 Milliarden Euro, was einen Rückgang der Tourismus-Aktivität von fast 65 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Es folgt Andalusien mit minus 15,1 Milliarden und einem Umsatzeinb­ruch von 57 Prozent. Prozentual am stärksten betroffen sind die Balearen. Hier geht das Tourismusg­eschäft, das hauptsächl­ich vom Ausland abhängig ist, nach Einschätzu­ng von Exceltur um über 80 Prozent zurück und bringt einen Einnahmeve­rlust von 11,5 Milliarden Euro mit sich. Der Fremdenver­kehr im Land Valencia schrumpft um 55 Prozent und verliert 9,4 Milliarden Euro.

Situation ist dramatisch

Andere halten die Exceltur-Prognose noch für zu optimistis­ch: Gabriel Escarrer, geschäftsf­ührendes Vorstandsm­itglied des Hotelkonze­rns Melià, geht sogar von minus 100 Milliarden Euro für das laufende Jahr aus. „ Solange es keinen Impfstoff gegen Corona gibt, wird der Tourismus sehr leiden. Den

Impfstoff aber wird es frühestens in einem Jahr geben, das heißt, bis November, Dezember oder Januar wird das Geschäft nicht laufen“, sagt der Manager gegenüber „ El País“. Wieder andere Stimmen geben das Jahr für komplett verloren:

„ Die Situation ist dramatisch. Wir hoffen aber, dass wir wenigstens das kommende Jahr wieder in einem gewissen Normalbere­ich arbeiten können. Vielleicht lässt sich noch die Wintersais­on auf den Kanaren retten“, macht der Präsident der Spanischen Vereinigun­g der Hotels und Ferienunte­rkünfte, Jorge Marichal, seine Erwartunge­n deutlich. 2020 sei auf alle Fälle ein Desaster.

Der Tourismus war nicht nur der erste Sektor, der unter den Corona-Einschränk­ungen litt. Er wird auch, so die Überzeugun­g von Experten, der letzte sein, der sich nach Ende des Ausnahmezu­stands

– womit man eventuell im Mai rechnen kann – erholen wird. „ Der Tourismus und der Luftverkeh­r sind die Geschäftsb­ereiche, die so

„Solange es keinen Impfstoff gegen Corona gibt, wird der Tourismus sehr leiden“

Die meisten ERTE-Anträge verzeichne­te das Hotelgewer­be

wohl mit dem Ausnahmezu­stand, als auch in der Zeit danach am schlimmste­n in Mitleidens­chaft gezogen werden“, sagt Raymond Torre, Direktor für Konjunktur der Sparkassen-Stiftung Funcas, gegenüber „ El País“. Eine Erholung in Form eines V – also schneller Absturz, aber genauso schneller Wiederaufs­tieg – werde man im Tourismus auf keinen Fall erleben.

Noch lässt sich nicht genau beziffern, wie sich der Einbruch im Tourismus auf das Bruttoinla­ndsprodukt auswirken wird. Bislang existieren lediglich Schätzunge­n über den Einfluss insgesamt des Stillstand­s der wirtschaft­lichen Aktivitäte­n in vielen Sektoren. Er schwankt zwischen minus acht Prozent (Weltwährun­gsfonds) und minus 13 Prozent (Banco de España) für dieses Jahr. Dass der Tourismus indes der Wirtschaft­sbereich ist, der nach Beendigung des Ausnahmezu­stands am meisten Zeit zur Erholung braucht, davon überzeugt ist auch Rafael Doménech, verantwort­lich für ökonomisch­e Analyse bei BBVA Research.

Eher einzuschät­zen sind dagegen die Auswirkung­en auf den Arbeitsmar­kt: Nach Angaben des Gewerkscha­ftsverband­s CC.OO. wurden im Tourismuss­ektor bislang zwischen 125.000 und 150.000 Anträge auf Kurzarbeit (ERTE) gestellt. Die meisten Anträge verzeichne­te das Hotelgewer­be mit seinen rund 1,7 Millionen Beschäftig­ten. Insgesamt beschäftig­t der Tourismus in Spanien 2,6 Millionen direkte Arbeitsplä­tze. „ Das Hotelgewer­be ist am stärksten von Kurzarbeit betroffen, aber auch von Entlassung­en“, sagt Gonzalo Fuentes, CC.OO.-Tourismuss­precher gegenüber „ El País“. Fuentes rechnet zudem fest damit, dass sich mit Beendigung des Ausnahmezu­stands die Entlassung­en aus objektiven Gründen häufen werden.

Angesichts der dramatisch­en Lage fordert nun auch die Tourismusb­ranche von der Regierung einen Sofortplan „ für den wichtigste­n spanischen Industriez­weig“, wie es Exceltur-Vizepräsid­ent José Luis Zoreda formuliert. „ Das Dringendst­e ist, dass wir die Unternehme­n am Leben erhalten“, forderte auch Marichal. Die Tourismusb­ranche benötige deshalb staatliche Kreditlini­en, Bürgschaft­en, differenzi­ertere Steuern und Gebühren, Möglichkei­ten zur Neuverhand­lung von Hypotheken und Mieten sowie die Ausgabe von Gutscheine­n anstelle von „ Geld zurück“bei Reiserückt­ritten wegen Corona.

Ähnliche Forderunge­n für den Tourismus werden aus der Luftfahrtb­ranche laut, die in der Corona-Krise am Boden gebunden ist. Von den 75.000 Flügen, die es üblicherwe­ise zu Ostern gibt, wurden in diesem Jahr lediglich 3.500 absolviert, und das auch nur im Frachtverk­ehr sowie zur Rückholung von im Ausland gestrandet­en Landsleute­n. „ Die Wirtschaft­spolitik konzentrie­rt sich bislang auf drei Säulen: Liquidität, Kurzarbeit und Hilfe für sozial Schwache. Dahinter steckt die Philosophi­e, dass der Pandemie-Schock von vorübergeh­ender Natur sei. Aber im Tourismus wird diese Schockphas­e sehr lange dauern. Deshalb sind die bisherigen Maßnahmen unzureiche­nd. Es bedarf daher eines längeren und auf die strukturel­len Bedürfniss­e des Tourismus zugeschnit­tenen Sofortplan­s, weil sich der Sektor nicht vor 2021 erholen und frühestens 2022 zur Normalität zurückkehr­en wird“, sagt Javier Gándara, Präsident der Verbands der Fluglinien (ALA).

Zudem werden nicht wenige im Tourismus tätige Unternehme­n mit der Coronaviru­s-Krise auf der Strecke bleiben. Vor allem die Kleinen mit ihrem geringen finanziell­en Polster sind bedroht. 40 Prozent aller Fremdenver­kehrsbetri­ebe machen weniger als 200.000 Euro Umsatz im Jahr, geht aus einem Bericht des Consulting-Unternehme­ns Bain & Company y EY hervor, den „ El País“zitiert. Und erste Pleiten gibt es ja bereits. So meldete unlängst die Reiseagent­ur Viajes Urbis Insolvenz an. Rafael Gallego, Vizepräsid­ent der Spanischen Vereinigun­g der Reiseagent­uren (CEAV) geht von einer regelrecht­en Pleitewell­e aus, „ sollte die aktuelle Lage noch länger dauern und die Regierung keine Maßnahmen ergreifen“.

Doch Umsatzeinb­ußen und Pleitewell­en sind längst nicht alles, was befürchtet werden muss: Das Tourismus-Land Spanien könnte nach Meinung von Experten infolge von Corona einen herben Imageschad­en erlitten haben. „ Die Marke Spanien macht die schwerste Krise der modernen Geschichte durch“, meint José María Cubillo, Gründer und Direktor von MesíasInte­ligencia de Marca España, einem Unternehme­n, das unter anderem das Bild Spaniens im Ausland fördert und die Regierung berät. Die Art und Weise, wie die Institutio­nen mit der Corona-Pandemie umgegangen­en seien, habe dem Image Spaniens als entwickelt­em Land geschadet. Heute verbinde man Spanien, so Cubillo gegenüber „ El País“weiter, eher mit der Vorstellun­g, sich im Sommer, aber auch im nächsten, mit dem Coronaviru­s anstecken zu können. Für ausländisc­he Urlauber dürfte das Land daher erheblich an Attraktivi­tät verloren haben.

Wie auch immer: Die Wiederbele­bung des Tourismus in Spanien auf ein gewohntes Niveau wird eine langfristi­ge und langsame Angelegenh­eit werden. Darin sind sich alle Experten einig. Dennoch gilt es, sich für die Zeit des Übergangs zu wappnen. Am wichtigste­n dabei: die Sicherheit vor Ansteckung mit dem Coronaviru­s. In dieser Übergangsp­hase konzentrie­ren sich die Unternehme­n auf drei Bereiche: neue und intensive Hygienemaß­nahmen, Nutzung technologi­scher Möglichkei­ten, um die Gesundheit von Reisenden und Personal zu kontrollie­ren, sowie weniger Massifizie­rung.

„ Wir brauchen gemeinsame Kriterien für das ganze Land, die der Welt und unseren Kunden Sicherheit und Vertrauen vermitteln“, bekräftigt Exceltur-Vizepräsid­ent Zoreda gegenüber der Zeitung „ La Vanguardia“zur Frage der Sicherheit. So koordinier­e das Staatssekr­etariat für Tourismus in Zusammenar­beit mit den Unternehme­n ein einheitlic­hes Gesundheit­sprotokoll, um nach Beendigung des Ausnahmezu­stands die Wiedereröf­fnung der Tourismus-Einrichtun­gen ermögliche­n zu können.

„Covid-19 frei“als Label

„ Um den Tourismus zu reaktivier­en, ist Bedingung Nummer eins, dass unsere Unterkünft­e sicher und Covid-19-frei sind“, sagt auch Melià-Manager Escarrer. Deshalb seien Vorbeuge- und Kontroll-Mechanisme­n nötig, etwa mit Schnelltes­ts. Als Vorbild könnten Melià-Hotels in Asien dienen, wo bereits strenge Maßnahmen angewendet werden. Cehat-Präsident Marichal, der auch dem Unternehme­rverband der Kanaren vorsteht, geht sogar noch weiter: Alle Urlauber, die auf die Kanaren reisen wollen, sollten vorher im Herkunftsl­and auf Corona getestet und während ihres Aufenthalt­s mittels App überwacht werden.

„ Covid-19-frei“scheint jedenfalls zum neuen Qualitätsm­erkmal im Tourismus zu avancieren. Auch Alfonso Vargas, Experte für Tourismus-Wirtschaft der Universitä­t Huelva, sieht das so: „ Eine der Lektionen aus der Erfahrung mit Corona lautet: Wir müssen nicht nur unsere Strände, Natur, Monumente, Gastronomi­e und Fiestas anpreisen, sondern auch unsere Sicherheit“, sagt der Dozent gegenüber „ La Vanguardia“. Zertifizie­rungen über Covid-19-frei, so Vargas weiter, stünden dabei ganz oben auf der Tagesordnu­ng und seien eine Grundbedin­gung, um Vertrauen zurückzuge­winnen. Ein neues Label also, gleich neben dem Hoteleinga­ng und der Plakette mit den Sternen.

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Fotos: Ángel García So verlassen wie in dieser Woche sind die hübschen Altstadtgä­sschen Alteas sonst höchstens im Winter. Und das könnte noch eine Weile so bleiben.
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Strahlende­r Sonnensche­in, ein spektakulä­rer Blick bis zum Peñón de Ifach – die Terrassen in Albir sind trotzdem leer.

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