Schrittweise raus
Spaniens Deeskalationsplan – Ab Samstag Sport und Spaziergänge möglich
Die erste Feuerprobe erwies sich als ein Kinderspaziergang. Am Dienstag legte Ministerpräsident Pedro Sánchez dann seinen Deeskalationsplan vor, mit dem er in vier Phasen das Land schrittweise in die Normalität zurückführen will. Bereits ab Samstag und in der Phase Null erlaubt die Regierung Individualsport und Spaziergänge
– für Montag legte Pedro Sánchez seinem Volk eine Paella to-go aus dem Lieblingsrestaurant, aber im heimischen Esszimmer, ans Herz.
Schon seit Sonntag dürfen Kinder in Begleitung eines Erwachsenen eine Stunde lang ins Freie. Diese ersten Lockerungen basieren auf der Grundlage der zuletzt sehr positiven Entwicklung der CoronaPandemie.
Madrid – sk. Man hört von draußen wieder die Kinder lachen. Spanien kommt aus dem CoronaLoch heraus, Schritt für Schritt. Seit Sonntag dürfen Kinder unter 14 Jahren wieder nach draußen – maximal drei Kinder aus einem Haushalt in Begleitung eines Erwachsenen eine Stunde lang und nicht weiter als einen Kilometer vom Haus entfernt. Ab Samstag, 2. Mai, ziehen die Sportler und Spaziergänger nach und am Montag startet der Deeskalationsplan mit seinen vier Phasen, den Ministerpräsident Pedro Sánchez am Dienstag vorstellte (eine Übersicht finden Sie auf Seite 41).
Fest steht noch nicht, in welchem Rahmen Spanier ab Samstag Individualsport betreiben und Spaziergänge mit Personen des selben Haushalts unternehmen können. Ministerpräsident Sánchez hat einen Zeitplan ins Gespräch gebracht, das Gesundheitsministerium hat aber noch keine Details bekannt gegeben. Fest steht, es handelt sich um eine Lockerung der Ausgangssperre in der Vorbereitungs-Phase Null und nicht etwa um ihre Aufhebung. Das Notstandsdekret gilt übrigens weiter und wird voraussichtlich noch weitere Male verlängert.
Die jüngsten Zahlen erlauben dem Ministerpräsidenten, das Land zu öffnen. Seit Freitag hält sich die Zahl der Menschen, die an Covid-19 sterben, unter 400 pro Tag. Von Samstag auf Sonntag sank sie sogar auf 288. Ferner liegen die Zahlen der Menschen, die täglich gesundgeschrieben werden, inzwischen deutlich über denen, die mit einem PCR-Test positiv getestet werden (siehe Seite 8).
Die Zahl der Neuinfizierten lag am Dienstag bei 1.308 und damit 0,6 Prozent über der vom Montag. Seit dem Ausruf des Notstands verzeichnete das Land weder absolut noch relativ so niedrige Zahlen in dieser Sparte. Am Mittwoch konnte das Gesundheitswesen 6.399 Covid-19-Patienten aus der Behandlung entlassen ein erfreulicher Rekord. Unter diesen Voraussetzungen biegt sich die Ansteckungskurve nach unten, wenn auch noch auf hohem Niveau.
Der Plan de Desescalada sitzt auf einem soliden Fundament. Anders als die europäischen Nachbarn scheut sich allerdings die spanische Regierung vor konkreten Angaben, vor allem was die Zeiten betrifft. Alle Regionen legen am Montag erstmal mit Lockerungen innerhalb der Phase Null los, die bis 11. Mai dauert. Nur die Baleareninsel Formentera sowie La Gomera, El Hierro und La Graciosa auf den Kanaren dürfen aufgrund ihrer geringen Fallzahlen gleich in die Phase Eins springen.
Bis 11. Mai und dem Beginn der Deeskalation mit der Phase Eins dürfen die Spanier auf dem Festland einzeln Sport im Freien treiben, Verbandssportler können das Einzeltraining wieder aufnehmen. Spaziergänge bleiben sowohl für Kinder als auch für Senioren möglich. Bars und Restaurants können Essen zum Mitnehmen anbieten und Betriebe können Kunden einzeln und nach Terminvergabe bedienen, wie etwa ein Friseur. Diese Lokale müssen spezielle Öffnungszeiten für Senioren anbieten und über Schutz- beziehungsweise Abtrennungsvorrichtungen verfügen. Man darf seinen Gemüsegarten wieder pflegen, falls dieser im Heimat- oder Nachbarort liegt. Die Regierung empfiehlt dringend“, eine Atemschutzmaske bei allen Aktivitäten im Freien zu tragen.
Deutlich lockerer geht es in der Phase Eins und dem Beginn der Deeskalation im besten Fall ab 11. Mai zu. Die Geschäfte und Märkte machen wieder auf, allerdings nicht die Einkaufszentren. Bars und Restaurants können Gäste auf
Deeskalationsplan als „ein Horizont“und „Weg“aus der Coronavirus-Krise
ckungsrate, also wie viele Personen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Der in Spanien als R angegebene Wert liegt landesweit bei eins, in Murcia laut dem Institut Carlos III in den vergangenen 14 Tagen bei 0,61, in der Extremadura bei 0,68 und in Asturien bei 0,73.
Einiges kommt auf das Gesundheitswesen, auf die Krankenhäuser und Gesundheitszentren in den Regionen zu. Die Krankenhäuser müssen entsprechend mit
Masken, Handschuhen und notwendigem Schutzmaterial sowie Beatmungsgeräten ausgestattet sein und die Kapazitäten auf den Intensivstationen wohl verdoppeln. Krankenhäuser wie Gesundheitszentren müssen Covid-19-Bereiche von denen mit anderen Patienten trennen.
Ferner müssen die Regionen Seniorenresidenzen wöchentlich kontrollieren und Covid-19-Patienten binnen 24 Stunden isolieren können. Nicht zuletzt deshalb müssen Hotels und andere Wohnungen bereitgestellt werden, damit CoronaPositive dort in die Quarantäne können, falls das zu Hause nicht möglich ist. Ihre Kontakte müssen nachvollziehbar sein. Jeder mit Covid-19-Symptomen muss einem PCR-Test unterzogen werden können. Was Gesundheitsminister Illa seinen Regionen aufs Auge drückt, folgt den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC). Den Mai und Juni wird man wohl als eine Art Probephase sehen müssen, in der es gilt, die Wirtschaft anzukurbeln und über den Sommer hinweg das Land erneut für Covid-19 im Herbst und Winter zu rüsten.
Nicht nur das Gesundheitssystem muss einer neuen CoronaWelle standhalten können. Die
Kommunen müssen strikte epidemiologische Kontrollen einführen und in der Lage sein, Menschen mit Covid-19-Symptomen sofort zu testen, neue Fälle zu behandeln und die Gesellschaft vor Ansteckung zu schützen.
Madrid liebäugelt insgeheim damit, die Bewegungen der Bürger über Handyortung zu verfolgen. Eine Maßnahme, die aus Datenschutzgründen umstritten ist. Alternativ dazu erwägt man, Kontrollen der Körpertemperatur einzuführen.
Ministerpräsident Sánchez teilte die Schlüsselrollen sowohl bei der schrittweisen Rückkehr in die Normalität als auch beim sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau den Kommunen zu. Freilich, ohne konkreter zu werden. „ Es gibt in dieser Krise keine Karte, keinen Kompass, um sich orientieren zu können. Man wird ein unheimlich hohes Reaktionsvermögen brauchen“, sagte der Präsident des spanischen Gemeinde- und Städtebundes, Abel Caballero, gleichzeitig Bürgermeister von Vigo.
Der Mindestabstand von zwei Metern dürfte viele große Städte vor ein Verkehrsproblem stellen.
Wie soll die Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln gewährleistet werden, was geschieht, wenn die Auslastung dort derart sinkt, dass auf den Straßen in den Innenstädten gar nichts mehr geht? Die Gastronomie und der Handel müssen ihre Räumlichkeiten umstrukturieren. Und rentiert sich das noch, wenn statt 100 Personen nur noch 25 in ein Restaurant dürfen? Die Regierung zwinkert den Rathäusern zu, bei der Ausweisung der Terrassen und Außenbereiche den Gastronomen großzügig entgegenzukommen, finanziell wie räumlich. Das Coronavirus verbreitet sich im Freien weniger stark als in Innenräumen. Dass der Sommer aber mit dem Virus ganz Schluss macht, entbehrt ebenso einer wissenschaftlichen Grundlage wie der Glaube, dass eine Immunität nach einer Covid-19-Erkrankung vor weiterer Ansteckung schützt.
Wie auch immer die neue Realität aussieht, sie könnte die Menschen weiter auseinander bringen. Bis ein Impfstoff kommt, werden soziale Kontakte anders gepflegt werden, die Körpersprache wird sich ändern, das Küsschen hier und das Händedrücken aus den mediterranen Ländern verschwinden. Der Abstand von zwei Metern zueinander wird alltäglich werden.
„Es gibt in dieser Krise keine Karte, um sich orientieren zu können“