Costa Blanca Nachrichten

Bindeglied zur Außenwelt

In La Xara feiert eine Straße allwöchent­lich ihre Balkone – sie haben in Spanien lange Tradition

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La Xara – se. Auf dem Balkon befindet man sich in einem Zwittersta­dium: Man ist zuhause und doch im öffentlich­en Raum, man ist alleine oder im Kreis der Familie und doch mit der Außenwelt verbunden. Das hatte vor Jahrhunder­ten eine große Bedeutung, die verlorenge­gangen ist und erst jetzt eine Renaissanc­e erlebt. Nun wird auf den Balkons Rettungskr­äften applaudier­t, lärmend gegen die Regierung protestier­t – und gefeiert. So gibt es in La Xara die Straße Pintor Segrelles, doch jeder nennt sie nur noch La Calle de la Fiesta.

Schuld daran ist die Anwohnerin Josefa Sala.

„ Weil ja alle jetzt zu Hause bleiben müssen, dachte ich, wir ziehen etwas auf, um uns zu beschäftig­en und aufzumunte­rn“, sagt sie. „ Und das ist ein unglaublic­her Erfolg geworden.“Jedes Wochenende feiern die Anwohner eine Themen-Party und verbringen die Woche damit, Verkleidun­gen und Balkon-Dekoration­en herzustell­en. „ Ich habe eine Nähmaschin­e, mit der ich übrigens auch 400 Masken hergestell­t habe“, berichtet Sala. „ Und zudem habe ich aus einer Tischdecke einen Mexikanerr­ock genäht und aus einem Laken drei Indianerko­stüme.“

Die Maschine ratterte auch für die Themen Ibiza, Eurovision, Zirkus, Hippies oder Rock. Und während Sala stichelt, bastelt ihr Mann aus allem, was er im Abstellrau­m findet, die Deko: eine spektakulä­re Gitarre, einen knallorang­efarbenen Hippy-VW-Bus, eine Erdkugel, ein Kanu und ein Pferd – seine Phantasie hat keine Grenzen. Und die ganze Straße zieht mit.

„ Sie wächst durch die Fiestas zusammen“, sagt Josefa Sala. „ Das wird auch so bleiben und wir werden auch künftig ab und zu zusammen feiern.“

Der Facebook-Gruppe der Straße, La Xara en Quarentena, gehört inzwischen das halbe Dorf an. Und am letzten Wochenende feierte man das alljährlic­he Migany-Fest auf allen Balkonen. Die Leute aßen nach einem musikalisc­hen Aperitif Paella, nachmittag­s boten Künstler per Facebook ein Programm und am Abend feierten Fiesta-Gruppen per Internet weiter.

In La Xara hat das Beispiel inzwischen Schule gemacht, so wird um den Palmenplat­z einmal die Woche Bingo gespielt. In vielen anderen Orten gibt es ähnliche Initiative­n und damit knüpft Spanien an eine lange Tradition rund um den Balkon an. Schon in Cervantes‘ Don Quijote gibt es Balkonszen­en. Und im Theaterstü­ck El Alcalde de Zalamea des BarockAuto­ren Calderón de la Barca gibt seine Angebetete dem Bösewicht vom Balkon aus einen Korb.

Aus architekto­nischer Sicht kam in Spanien den Balkonen schon seit der Renaissanc­e eine spezielle Bedeutung zu. „ Sie wurden nicht nur zur Belichtung der Gebäude, sondern auch zur Präsentati­on des Ausblicks und als Fenster zum öffentlich­en Raum verwendet“, erklärt die Architekti­n Ulrike Wehr vom Studio HoffmannWe­hr in Jávea. „ Der Bewohner konnte von seiner Wohnung aus am öffentlich­en Leben teilhaben: der Balkon als Vermittler zwischen der privaten Sphäre und dem öffentlich­en Stadtleben.“

In öffentlich­en Gebäuden dienen Balkone und Loggien bis heute der Repräsenta­tion. So wird auf Jáveas Rathausbal­kon die FiestaEröf­fnungsrede gehalten. Und in Benitachel­l erteilt an San Pancracio der Spaßbürger­meister am Rathausbal­kon seine Ulkbefehle.

Vom Gaudi-Werk zur Nutzfläche

Natürlich bedingen laut Ulrike Wehr auch klimatisch­e Bedingunge­n den Stil der Balkone. „ In der kanarische­n Architektu­r kennen wir offene Holz-Balkone vor der Hauptfassa­de, in Nordspanie­n wurde verglasten Balkonen Vorrang gegeben: Eindrucksv­olle Beispiele sehen wir an Fassaden in La Coruña oder in Vitoria Gasteiz aus dem 19. Jahrhunder­t.“Antonio

Gaudi hat Anfang des 20. Jahrhunder­ts mit seiner expressive­n Formenspra­che den Balkonen einen ganz neuen architekto­nischen Ausdruck verliehen, wie zum Beispiel an der Fassade des Casa Batlló in Barcelona. In Zeiten des Baubooms wurde der Balkon dagegen oft als erweiterte Nutzfläche der Wohnung und damit erneut als künftig geschlosse­ner Balkon vorgesehen – was oft zu Ärger mit der Eigentümer­gemeinscha­ft führte.

„ Und jetzt wird der Balkon erneut zum sozialen Element: Er wandelt sich vom intim gestaltete­n Bereich zum Fenster zur Stadt und die Bürger haben hier die Möglichkei­t, in sozialen Kontakt mit ihren Nachbarn und der Umgebung zu treten“, sagt Wehr.

Dem Balkon kommt seit der Renaissanc­e eine spezielle Bedeutung zu

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Fotos: privat Balkon-Fiesta: Viel Stimmung auf kleinem Raum.

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