Liebe Leser,
Am Montag hat Fernando de Ávila mit 63
Jahren wieder das Licht der Welt erblickt.
Seine Familie fuhr den geschwächten Mann im Rollstuhl aus dem Krankenhaus von Santa Bárbara in Soria, in dem er 75 Tage lang stationär behandelt wurde. Fernando de Ávila verpennte die Coronakrise. Am 11. März musste er eingeliefert werden, und während wir uns die Hände ein ums andere Mal wuschen und uns von einer Phase in die nächste schleppten, rang Fernando de Ávila mit dem
Tod. 52 Tage lang litt er auf der Intensivstation. Womöglich bekam er nicht richtig mit, wie Tausende Covid-19-Patienten in die UCI kamen und sie als eine Nummer in der Statistik des Gesundheitsministeriums über die Coronavirus-Opfer verließen. Am Montag schien Fernando de Ávila nicht so recht zu wissen, wie ihm geschah, genauso wenig wie er weiß, was für eine Welt ihn erwartet. Das Krankenhauspersonal machte ihm mit Applaus Mut, er wird ihn brauchen.
Nicht gesundheitlich, aber politisch steht auch Ministerpräsident Pedro Sánchez auf wackligen Beinen. Am Wochenende ließ er die Fanfaren für den Schlussakt der Coronakrise anstimmen – angeschlagen nach dem Desaster mit dem Pakt mit Bildu und der Verlängerung des Notstandsdekrets ergriff er abermals die Flucht nach vorne. Nun versucht auch Spanien in extremis die Urlaubssaison zu retten und lässt ausländische Touristen ab 1. Juli wieder einreisen. Die Regionen müssen nicht mehr zwingend zwei Wochen lang eine Phase des Deeskalationsplans durchlaufen, einigen Territorien stellt er ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Notstandsdekret in Aussicht. Dabei gingen nur vier Wochen ins Land, seit die Zahl der täglich erfassten Coronavirus-Opfer weit über 800 lag.
Bei der Ankunft in der neuen Normalität wird niemand einem Pedro Sánchez den Applaus spenden, der Fernando de Ávila begleitete. Dieses Mitgefühl bringt man ihm nicht entgegen, weder als Mensch noch als Politiker noch als Präsident. Dabei führte Sánchez Spanien durch eine seiner schwersten Krisen, als seine eigene Familie an Covid-19 litt. Anders als im Rest Europas konnte er auf keinen Burgfrieden bauen. Auf der Grundlage brüchiger Pakte musste er ein Land führen, das von seiner wirtschaftlichen Struktur her jeder Krise so anfällig gegenübersteht wie ein Risikopatient dem Coronavirus. Wir haben Sánchez erlebt, wie er log, hintertrieb, gravierende Fehler beging und vertuschte, aber auch wie er sich vor die Nation stellte und die Verantwortung übernahm. Als die Särge aus den Kliniken rollten, hielt er an seiner restriktiven Linie fest, wich von ihr auch nicht ab, als sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gegen ihn stellten. Letztendlich hat Spanien die Pandemie unter Kontrolle gebracht – zu welchem Preis, steht auf einem anderen Blatt. Für die Überwindung der gesundheitlichen Krise verdient Sánchez mehr Anerkennung als er bekommt. Leicht war das nicht. Nun kommen neue Herausforderungen auf Spanien zu – diesbezüglich kann Pedro Sánchez einen klaren Vorteil ausspielen. Er bringt wie kein anderer Krisenerfahrung mit.