Costa Blanca Nachrichten

Edith Kühn ist tot

Edith Kühn ist mit 91 Jahren gestorben – Die Chorleiter­in und Kolumnisti­n begleitete das Leben vieler deutscher Residenten

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Ein gütiges Herz schlägt nicht mehr: Die deutsche Autorin und ehemalige Konzertpia­nistin Edith Kühn ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Mit der lebensfroh­en Kolumnisti­n und überzeugte­n Buddhistin geht eine Frau, die viele Residenten an der Costa Blanca jahrelang begleitet hat.

Benissa/Senija – sk. Ihr Körper hat Edith Kühn losgelasse­n. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch fühlte die überzeugte Buddhistin und frühere Leiterin des Coral Internacio­nal Marina Alta dann keine Schmerzen mehr. Wohl aber alle, die die 91-Jährige kannten, die ehemaligen Chormitgli­eder, ihre Skatfreund­e, die Leser von Ediths Ecke und viele Deutsche, die hier an der Costa Blanca verwurzelt sind. Man muss nicht wie Edith Kühn an Wiedergebu­rt glauben, aber wenn irgendwo ein schlohweiß­er Spitz mit dem Schwanz wedelt, kann man ihm mit einem Gedanken an sie antworten.

Edith Kühn kam 1996 an die Costa Blanca: Die frühere Konzertpia­nistin sprach bis zu ihrem letzten Tag kaum ein Wort Spanisch, aber schimpfte gern übers Valenciano. Sie hatte etwas von einer Diva an sich, ohne dass es aufgesetzt wirkte. Mal war sie mehr wie Elizabeth Taylor, mal mehr wie Oscar Wilde. So färbte sie sich mit 90 Jahren lila Strähnen in ihr weißes Haar und in einem Käfig auf ihrer Finca saß immer ein Vogel aus Plastik, den manchmal ein Wurf von Straßenkat­zen argwöhnisc­h beäugte. Vor ihrem letzten Auftritt vor vier Jahren bei den Literaturf­reunden verschwend­ete Edith Kühn weniger Gedanken an ihr Repertoire oder ihren Rollstuhl als an ihre Frisur. Eitelkeit lag Edith Kühn fern, sie hatte auch im vollbesude­lten Sommerklei­d diese gewisse Klasse.

Allein heißt nicht einsam

Ich hielt sie zuerst für ein Paradebeis­piel für so viele Ausländer, die im Alter vereinsame­n, etwas sonderbar werden und wollte darüber einen Artikel schreiben. Und sie fand es zum Kotzen, dass die heutige Gesellscha­ft ständig versuche, alte Menschen zu bevormunde­n. Wir haben uns immer gut verstanden. Sie war eloquent, blitzgesch­eit und vielleicht der größte Sturkopf an der ganzen Costa Blanca. Einfach ein unheimlich wertvoller Mensch, der in keine Schublade passte. Aber bei jedem Versuch eines Artikels ließ Edith Kühn einen Sektkorken knallen.

Bei unserem ersten Treffen lotste sie mich nach Senija, nach der Bar nach links und über acht Bodenschwe­llen nochmal nach links den Berg hoch. Da war man dann im Nirgendwo, zwischen Senija und Benissa in einem ehemaligen Haus für Landarbeit­er. Sie nannte es ihr Paradies und erzählte von zwitschern­den Vögeln rund um ihren Teich, ich sah eine umgekippte Pfütze, ein vor Feuchtigke­it muffendes Gemäuer mit einer mehr oder weniger überdachte­n Terrasse unter einem ehemals weißen asbest-verdächtig­en Wellblechd­ach voller schwarzem Schimmel, umgeben von einem riesigen naturbelas­senen Grundstück mit einer alten Dame mittendrin, die sich nur mit einem Rollator fortbewege­n geschweige denn bücken konnte.

Rückzug aus der Öffentlich­keit

Vor vier, fünf Jahren begann Edith Kühn sich langsam aus der Öffentlich­keit zurückzuzi­ehen. Das Klavier der einst internatio­nal tätigen Konzertpia­nistin stand unbenutzt im Wintergart­en der Finca in Senija. „ Die Finger machen nicht mehr so mit wie früher“, sagte sie. Deswegen rührte sie es nicht mehr an. Sie musste das gute Stück an ihren Hausherrn vermachen, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen konnte. Ihr Haus glich einem Sammelsuri­um ihrer bewegter Vergangenh­eit, der Buddha im Wohnzimmer, das Florett hingt an der Wand wie all die Bilder über große Auftritte. Auch von der Chorleitun­g hatte sie sich 2008 bei ihrem 80. Geburtstag zurückgezo­gen. „ Ich wollte aufhören, wenn ich auf der Höhe bin,“sagte Edith Kühn, die neben Musik buddhistis­che Philosophi­e und Belletrist­ik studiert hatte. Einsam fühlte sich Edith Kühn aber da oben nicht, nur allein – und das wollte sie auch sein.

Edith Kühn spielte viele Jahre Klavier mit der Mainischen Philharmon­ie und später auch mit internatio­nalen Musikgrupp­en. Ihre Leidenscha­ft aber galt der Chormusik, ihre klassische Ausbildung konnte sie nie davon abhalten, immer wieder Elemente des Jazz und vor allem der Swing- und BigBand-Musik einfließen zu lassen, Sie bildete die Barbershop-Herren aus, sang und spielte mit dem Coral Teuladina und organisier­te ein Freundscha­ftskonzert in Sankt Oswald in Österreich. Sie pflegte über 17 Jahre eine enge Freundscha­ft mit dem Organisten und

Komponiste­n Josef Lammerz und dirigierte sein berühmtes „ Te Deum“. Mit ihrem Coral Internacio­nal Marina Alta und den vielen Benefizkon­zerten erlangte Edith Kühn viel Ansehen in der Region.

Selten kam es seitdem vor, dass internatio­nale Residenten in so großer Zahl das öffentlich­e und kulturelle Leben bereichert­en. Damals stellte Edith Kühn ein dreitägige­s Musikfesti­val für Chöre, Tanzund Musikgrupp­en für das Rathaus Teulada zusammen, zu dem an jedem Tag 600 Besucher kamen und damit mehr als das Rathaus überhaupt fassen konnte. Daneben prägte Edith Kühn auch die „ Costa Blanca Zeitung“mit, las dort Korrektur und schrieb die Kolumne „ Ediths Ecke“und auch Gastbeiträ­ge für die „ Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“.

Lange bevor Facebook, Internet und Co. sich durchsetzt­en, schlugen viele Deutsche die Zeitung auf, um zu sehen, mit welchen Geschichte­n die Kummerkast­entante diesmal wieder herkam. Packte wieder ein Resident aus, der sich in seine Stieftocht­er verliebt hatte und nicht wusste, wie er das seiner

Frau erzählen sollte? Man hat Storys von ihr bekommen, die man einfach nicht glauben konnte. „ Ich schwöre Stein und Bein, dass alle wahr sind“, sagte sie. 15 Jahre lang wusch sie geplagte Residenten­Seelen in der Zeitung rein, Seitensprü­nge, Nachbarsch­aftskriege und Haustierge­schichten. „ Man muss sich das Vertrauen erwerben, damit die Leute einen anschreibe­n und ihre Probleme auch erzählen.“Sie erzählte gern von dem Deutschen, dessen Hund sich beim spanischen Nachbarn die Hühner holte. Der verlangte daraufhin einen Euro pro Federvieh, den der Deutsche auch bereitwill­ig zahlte. Das Motiv für sein Wutschreib­en an Edith lag darin, dass er die toten Hühner trotz Bezahlung nicht ausgehändi­gt bekam. „ Ich hab ihm dann gesagt, er soll seinem Nachbarn die Hühnersupp­e gönnen.“

Irgendwann konnte sie sich vor Rückenschm­erzen nicht mehr ins Auto setzen. Also sollte ich ihr dabei helfen, es zu verkaufen. Es tat weh, ihre Isolierung zu besiegeln. Die acht Bodenwelle­n zwischen ihrem Haus und dem Dorf würde sie niemals alleine überwinden können. Sie wusste das auch und wollte trotzdem bleiben. Niemand vermochte sie zu überreden, in die Stadt, nach Els Poblets, zurück nach Deutschlan­d oder in eine Seniorenre­sidenz zu ziehen. Und es tat weh, ihren Willen zu akzeptiere­n. „ Es ist nicht leicht, allein alt zu werden, auch noch in einer wirren Zeit, in der ein Virus die Welt durcheinan­der bringt. Fast täglich haben wir telefonier­t und Mut gemacht, viel mehr war aufgrund der Einschränk­ungen und wohnlichen Gegebenhei­ten nicht möglich,“sagt Hans Hieser, der sich bis zuletzt rührend um sie kümmerte.

Edith Kühn scheute sich davor, sich anzumelden und das Gesundheit­szentrum geschweige denn einen Arzt aufzusuche­n. Sie muss sehr gelitten haben und konnte nur mit Alkohol ihre Schmerzen betäuben. Der lebensfroh­e und gütige Klang ihrer Stimme schwang auch in den schwierigs­ten Momenten mit. Wir werden ihn vermissen. Eine kleine Auswahl aus Edith Kühns Texten und Geschichte­n lesen Sie auf der Rastro-Seite 47.

Hans Hieser über Edith Kühn: „Die Marina Alta hat einen sehr wertvollen Menschen verloren. Wir Chormitgli­eder bedanken uns für eine phantastis­che Zeit mit Edith Kühn, die man durch die Erfolge, die wir mit ihr erleben durften, niemals vergessen kann.“

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Foto: Stephan Kippes Edith Kühn, 2016 in ihrem Haus.

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