Costa Blanca Nachrichten

Liebe Leser,

- Stephan Kippes, Chefredakt­eur

Wir stehen nun auf der Schwelle zur neuen

Normalität. Die Situation ist deeskalier­t, so sagt man das jetzt jedenfalls. Sie können ruhig mal einen Blick hineinwerf­en. Die Lage scheint ruhig, es sieht einladende­r aus als all das, was sich seit 14. März hinter uns angesammel­t hat. Die ersten Schritte in die neue

Normalität müssen Sie ab dem 21. Juni selbst wagen. Erwarten Sie nicht, dass Sie dort jemand willkommen heißt. Es gilt Mindestabs­tand. Sollten Sie jemand auf sich zukommen sehen, ziehen Sie bitte schnell die Maske über die Nase.

Mit der Maske sehen wir alle gleich aus, der Schein aber täuscht. Wir haben leider keine Herdenimmu­nität gegen Corona entwickelt. All die Schläge, die wir in den vergangene­n Monaten einstecken mussten, tragen wir noch mit uns herum, der eine mehr, der andere weniger. Denken Sie nur mal ganz kurz zurück, an die apokalypti­sche Stimmung in den leergefegt­en Straßen, an all die geschlosse­nen Geschäfte und Betriebe, die Express-Beerdigung­en, die Intensivst­ationen, die Toten in den Seniorenhe­imen, die übermensch­lichen Anstrengun­gen des medizinisc­hen Personals, die Schlangen vor den Essensausg­aben, die Stresssitu­ationen einiger über Wochen eingesperr­ter Familien und an die Existenzan­gst tausender Menschen, die seit Wochen kein Auskommen haben und in eine unsichere Zukunft blicken. Leid in diesem Ausmaß breitet sich wie ein Virus aus, hinterläss­t Folgeschäd­en.

Und es ist noch lange nicht vorbei, können Sie sagen. In Peking braut sich wieder was zusammen und wehe, wenn Corona, die Grippe und die Wirtschaft­skrise im Herbst in einer Welle über das Land brechen. Pst! Seien Sie einen Moment still und werfen Ihren Blick nach vorne. Wellen gibt es nur im Meer. Die Lage in der neuen Normalität scheint wie gesagt ruhig, vielleicht zu ruhig. Also schließen wir dieses vergangene Kapitel der Corona-Saga. Dieses Land braucht eine Verschnauf­spause. Es ist urlaubsrei­f. Alles dreht sich derzeit nur noch um den Urlaub, um die Reisefreih­eit ab 21. Juni, das Ferienhaus und die Madrilenen-Phobie. Als ob Urlaub ein Grundbedür­fnis wäre, ohne das niemand zufrieden leben kann. Von der Ernsthafti­gkeit der Lage scheint niemand mehr etwas wissen zu wollen. Gut, es kann ja nicht schaden, wenn wir Corona mal ausblenden. Also schalten wir die Nachrichte­n, Internet und Whatsapp aus und machen die schönen Dinge des Lebens in Spanien zu unserer neuen Normalität. Tapas, Strand und Sonnenbad. Vielleicht starten wir in die neue Normalität mit einem Schuss mehr Bewusstsei­n für das Hier und Jetzt, und mit etwas weniger von dieser abgeklärte­n Selbstvers­tändlichke­it als sonst – ein wenig so wie unsere Kinder oder Enkel, die sich über eine Muschel am Strand freuen können wie Christoph Kolumbus über die Entdeckung der Westroute nach Indien. Manchmal ist es nicht so wichtig, was wahr ist, sondern auch, mit welcher Einstellun­g man einer Wahrheit begegnet. Vor allem dann, wenn sich das nächste Kapitel bald öffnet.

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