Ein Frühling in Spanien
Lektionen in Verletzlichkeit und Stärke: Am 21. Juni enden 100 Tage Coronavirus-Notstand in Spanien – Eine Chronologie
Vorspiel
31. Januar 2020: Das Gesundheitsministerium bestätigt den ersten Fall von Covid-19 auf spanischem Boden. Weit weg, auf der kleinen Kanaren-Insel Gomera hat man einen deutschen Touristen isoliert. Kein Grund zur Panik.
13. Februar: Nach Absagen mehrerer großer Aussteller in der Sorge um ihre Mitarbeiter, sagen die Veranstalter den Mobile World Congress in Barcelona ab.
19. Februar: Der Valencia FC spielt in der Champions League gegen Atalanta Bergamo mitten im Coronavirus-Hotspot Lombardei. Rund 3.000 Fans sind mit dabei.
23. Februar: Das Gesundheitsministerium besteht darauf, dass alle Coronavirus-Fälle in Spanien eingeschleppt sind, einen „ lokalen Ansteckungsherd gibt es nicht“.
3. März: Der erste Coronavirus-Tote in Spanien wird anhand einer Obduktion registriert. Der Mann starb bereits am 13. Februar in Valencia. Gesundheitsminister Salvador Illa „ empfiehlt“, Sportevents ohne Publikum abzuhalten.
6. März: Die Guardia Civil stellt auf eigene Faust eine Gruppe unter Quarantäne, die sich in La Rioja bei einer Beerdigung mit Sars-CoV-2 infiziert hatte. Der leitende Offizier muss harsche Kritik einstecken. Drei Wochen später ist er tot, gestorben an Covid-19.
8. März: Am Internationalen Frauentag marschieren 50.000 Menschen durch Madrid, Vox hält am gleichen Tag einen Parteikongress ab, im Wanda Metropolitana spielt Atlético Madrid vor Publikum, der öffentliche Personennahverkehr transportiert über eine Millionen Menschen. Das Gesundheitsministerium riet lediglich jenen von der Teilnahme ab, die Symptome wie Husten oder Fieber hätten. Nur die Frauentagsdemo wird von der rechten Opposition später zum Hauptschuldigen für den schweren Verlauf der Coronavirus-Krise instrumentalisiert.
9. März: Madrid ordnet die Schließung der Schulen an. In Valencia leitet ein Knallfeuerwerk Mascletá die Fallas-Fiestas ein, die am Tag danach abgesagt werden.
11. März: Die Weltgesundheitsorganisation erklärt Covid-19 zur weltweiten Pandemie.
13. März: Spanien steht bei 128 Coronavirus-Toten und 4.209 registrierten Infizierten. Eine Verdoppelung innerhalb eines Tages und das bei minimaler Testdichte und -sicherheit. Am gleichen Tag übersteigt Italien die 1.000er-Grenze bei den Todesopfern.
Eskalation
14. März: Die Regierung verhängt den Notstand, verfassungsrechtlich „ Alarmzustand“und übernimmt die Zentralgewalt über das Gesundheitswesen, die Bildung, das Arbeitsrecht, alle Polizeistrukturen und die Mobilität der Bürger im ganzen Land. Der von Regierungschef Pedro Sánchez im Fernsehen in dramatischen Worten verkündete Notstand angesichts „ der größten Krise seit dem Bürgerkrieg“, gilt zunächst für zwei Wochen, danach muss das Parlament verlängern.
Über das ganze Land wird eine Ausgangssperre verhängt, nur Einkaufen, Arztbesuche und andere essentielle Gänge sind erlaubt. Kein Sport, keine Spaziergänge wie in anderen Ländern. Nur Läden für Grundnahrungsmittel, Kioske, Apotheken bleiben offen, alle anderen müssen schließen. Binnen Tagen fällt der Verkehr, um bis zu 90 Prozent ab. Ein Land, das praktisch das ganze Jahr im Freien lebt, wird in die Wohnungen gesperrt. Verwaiste spanische Straßen flimmern über die TVBildschirme weltweit. Dass es ernst wird, merkt auch der Letzte, als die Semana Santa in Sevilla mit ihren jahrhundertealten Prozessionen abgesagt wird. Bald wird Ostern in ganz Spanien gestrichen, es folgen Fiestas bis in den Herbst.
15. März: Noch immer flüchten Madrilenen in ihre Ferienwohnungen an die Küste, was die dort Wohnenden wütend macht, weil sie fürchten, die Hauptstädter schleppen das Virus in ihre Heimat. Es braucht einige Tage, bis die Polizei die Lage in den Griff bekommt.
Tausende Touristen sitzen noch in Spanien fest, weil ihre Flüge oder Fähren storniert wurden. Campingplätze und Hotels müssen aber schließen. Die Rückkehr zum Erstwohnsitz bleibt indes immer erlaubt, was für die meisten einen Ausweg ermöglicht. Viele Paare und Familien sind getrennt, alte und kranke Menschen bleiben ohne Besuch ihrer Familien isoliert.
17. März: Sánchez kündigt „ das größte Wirtschaftshilfspaket aller Zeiten“an. Bis zu 20 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung will er in die stillstehende Wirtschaft stecken, wenn die „ AnsteckungsKurve gebogen“ist. Die Mittel sollen aus neuen Schulden, EUHilfen sowie einer späteren Steuerreform generiert werden.
Als erster Schritt können alle Betriebe, die wegen des Notstandes nicht weiter produzieren können, ihre Angestellten in zeitweise Freistellung schicken, die ERTE, der Staat zahlt 75 Prozent des Lohns. Die Auszahlung wird sich indes stark verzögern und viele Menschen ins Elend stoßen. Fast vier Millionen ERTE-Anträge werden es letztlich sein. „ Wir lassen niemand zurück“, kündigt Sánchez an. Es wird eine Weile dauern bis die Regierung alle erfasst: Selbständige, Menschen ohne oder mit minimalen Einkommen, die nicht „ im System“sind, leiden am stärksten. Die Generation U35, die schon die Finanzkrise mit voller Wucht traf, ist wieder Verlierer.
Panik
20. März: Die Zahl der Coronavirus zugeordneten Toten steigt über 1.000, die Zahl der Infizierten verdoppelt sich vom Vortag auf 17.187. Doch Tests gibt es zu wenig. Die es gibt, stellen sich als unzuverlässig heraus, ein nicht lizensierter Händler hat den Staat über den Tisch gezogen.
Das Gesundheitsministerium, das mit dem Krisenstab unter Leitung von Dr. Fernando Simón, einem erfahrenen Virologen, täglich eine Pressekonferenz abhält, eiert bei den Kriterien rum. Es entsteht ein Dilemma: Registriert man alle symptomatischen Verdachtsfälle, schafft man bewusst eine Fehlerquote. Verlässt man sich auf die wenigen PCR-Tests auf SarsCoV-2-Erbgut, erfasst man nur einen kleinen Teil. Das Ministerium entscheidet sich für Letzteres, um eine Tendenz ablesen zu können und verdonnert die Regionen auf diese Kriterien. Nicht alle halten sich daran.
23. März: Die Krankenhäuser, vor allem die Intensivstationen in Madrid, arbeiten am Anschlag. Bilder mit an Sauerstoffflaschen angeschlossenen Patienten in den Gängen machen die Runde. Das Gesundheitspersonal klagt über mangelnde Ausrüstung, Müllsäcke dienen als Schutzkleidung, es feh
Anfang April ist die Stimmung im Land apokalyptisch