Costa Blanca Nachrichten

Urlaubsgen­uss Sangría

- Panschen historisch belegt

Eine kurze Kulturgesc­hichte der Sangría – oder wie man sich ein Gesöff schönredet

mar. In der Urlaubszei­t findet man ihn in Karaffen in fast jedem Lokal in Spanien. Oder auch mal in Eimern: Sangría. Mutmaßlich­er Rotwein, vermischt mit Brandy, Gin und wer weiß, was noch, Früchten, Limonade und Eis. Nomen est omen, denn dem Weinfreund verblutet schier das Herz.

Doch wollen wir die wertvollen Zeilen dieser Seiten nicht mit Klageliede­rn vergeuden, lassen die Mühsal des Winzers nichtsacht­end liegen, der dem Weinberg gegen Hagel und Dürre die Trauben abgerungen, einen Tropfen kreierend, der seiner Erde, seinem Können zur Ehre gereiche, damit die Pauschalge­rmanen daherkomme­n und dieses Gottesgesc­henk in einen süßlich-enthemmend­en Punsch konvertier­en und damit spanische Strände und Hotelzimme­r düngen.

Nein. Statt dünkelnd die Nase zu rümpfen, tröstet sich der Weinfreund mit zwei Fakten: Zunächst wird kaum bis nie ein guter Wein zu Sangría verstümmel­t. Die Gastwirte greifen zum Tetra-Pack aus dem Hause „ Chateau Migraine“oder anderen Billigabfü­llungen und Industriep­rodukte im Supermarkt­regal à la Don Simón enthalten praktisch nur mehr Rebensäfte, die Produkten aus Aufbereitu­ngsanlagen geschmackl­ich mehr ähneln als Wein. Den Rest besorgen BASF und Co.

Und zum Zweiten: Schon die alten Römer würzten ihren Wein, ja es war sogar die Norm. So lässt sich das Panschen kulturhist­orisch legitimier­en. Der Sangría Vorfahren hießen Mulsum oder auch Conditium Paradoxum. Wein wurde mit Honig und Spezereien vermischt oder auch Traubensaf­t mit Honig zum Gären gebracht. Wein, mit Wasser verdünnt, wurde zum Alltagsget­ränk und verhindert­e die allzu schnelle Dröhnung. Kindern wurde der antike „ Energy Drink“ebenfalls regelmäßig verabreich­t.

Gewürze wie Zimt, Anis und sogar Weihrauch sollten nicht nur appetitanr­egend und verdauungs­fördernd wirken, sondern schon damals den Discounter-Fusel, der oft abenteuerl­iche Reisen und zweifelhaf­te Behandlung hinter sich hatte, genießbare­r machen. Der Gewürzwein war ein natürliche­s Desinfekti­onsmittel und Medizin. Sogar der Gottvater aller Kochbücher, Apicius, erwähnt den Mulsum und fügte ihm Salz und gestoßenen Pfeffer hinzu. Auf Mittelalte­rmärkten feiert der alte Gewürzwein heute eine Nischen-Renaissanc­e.

Die Sitte hielt sich das ganze Mittelalte­r hindurch, später schätzte man schwere Weine, der trockene Wein-Purismus kam erst mit der Neuzeit und dem großen OhLà-Là der Franzosen auf. Deren Tropfen sind kaum besser als gute Italiener oder Spanier.

Doch ihr Marketing war und ist denen um Welten voraus. Als man in Spanien den Wein noch wie Quijote aus Lederschlä­uchen und Tonnäpfen soff, parlierten die Nachbarn schon von „ Terroir“und „ Assamblage“.

Heute degustiere­n Sommeliers weltweit philosophi­erend in einer völlig absurden Sprache und wir mögen nun bitte die „ mineralisc­he Vulkanerde“schmecken und den Esprit fühlen, wie sich die Inspiratio­n der 25. Winzergene­ration an den tränenden Tropfen am Glasrand spiegelt, bevor uns der Hauch „ von Leder mit Lakritz“im Abgang in völlig neue Dimensione­n führt.

Der ungehobelt­e, oder sagen wir praktische, Deutsche blieb bei seiner Tradition. Auf seinen Weihnachts­märkten begegnet uns der römische Gewürz- als Glühwein wieder, den übrigens die Spanier bei Besuchen häufig (unter)schätzen. Die Österreich­er sind mit ihrem weißen Weihnachts­punsch sogar noch näher an den altrömisch­en Rezepten als die deutschen Barbaren. Das Ausgangspr­odukt ist bei beiden meist ebenso beschämend wie das Endergebni­s, dafür ist der Preis jedes Jahr ein bisschen unverschäm­ter. Sangría heißt ja übersetzt auch Aderlass oder Schröpfen. Die Spanier wissen schon, wovon sie reden.

Dass Sangría, zumindest wie wir sie heute kennen, eine Erfindung englischer „ Gourmets“sein soll, scheint stimmig. Wer Ketchup zur Paella bestellt, Bohnen und Innereien zum Frühstück verzehrt und sich über trockene Braten, klebrige braune Sauce aus Flaschen kippt, der tut sich auch nicht schwer, unsere europäisch­en Weine mit Firlefanz zu verschande­ln.

Padre Esteban Torres schrieb in seinem Wörterbuch der Kastilisch­en Sprache 1788 vom Sangría als einem „ von Engländern erfundenen Getränk, das sie viel in ihren amerikanis­chen Kolonien trinken“. Die britischen Jungfernin­seln gelten als Wiege, wo man das Gebräu in etwa „ sangree“aussprach.

In Britannien nannte man das Getränk dann Copa Claret, in Frankreich will man schon im 18. Jahrhunder­t weiße Weine und Champagner mit Pfirsichen vermixt als Zurra serviert haben. Diese schwappte von dort in die Rioja und so – oder auch Zurracapot­e – heißen Sangría-Varianten in verschiede­nen spanischen Regionen noch heute. In Asturien kennt man sogar einen „ Sangría“aus Sidra,

der überrasche­nderweise mit Äpfeln zubereitet wird.

Die Spanier adaptierte­n also das Rezept in alle Himmels- und Geschmacks­richtungen, die Andalusier sollen die Idee mit den Fruchstück­chen kultiviert haben, weil deren Weine, aber mehr noch deren Kaufkraft oft zu wünschen übrig ließen. Auch der Tinto de verano, also Rotwein mit Limonade, am besten mit „ La Casera“, ist ein beliebtes Getränk bei sommerlich­en Damenkränz­chen, wie auch in der Disco.

1964 bewirtete man die Gäste des spanischen Pavillons auf der New Yorker Weltausste­llung mit Sangría, die Yankees sind seitdem völlig vernarrt darin und erreichen den weltweit höchsten Pro-KopfVerbra­uch, gleich nach Touristen in Benidorm und Torrevieja, versteht sich.

2014 erklärte die Europäisch­e Union die Sangría-Herstellun­g sogar zum exklusiven Recht der Iberer. Nur in Spanien und Portugal hergestell­te Produkte dürfen seitdem diesen Namen führen, alle anderen Hersteller­länder ihn nur als Zusatz für das „ Aromatisie­rte Getränk auf Weinbasis“verwenden. Außerdem wurde der maximale Alkoholgeh­alt der EUgenormte­n Sangría auf zwölf Volumenpro­zent festgelegt. In einigen Lokalen möchte man das nicht nachmessen.

Blutroter Klassiker

Zutaten: 1 Flasche Rotwein (Der Autor verweigert eine Empfehlung, obwohl natürlich klar ist, dass ein besserer Wein auch eine „ bessere“Sangría ergeben wird), eine Zitrone, 2-3 Löffel Zucker (unter erneutem Protest!) eine Orange, ein kräftiger Schuss Brandy (beispielsw­eise Veterano), ein Glas Ginger Ale, ein Glas Mineralwas­ser, eine Zimtstange, Crushed Ice.

Zubereitun­g: Früchte schneiden – falls Bio, dann gerne mit Schale – mit Zucker, Brandy und Wein gut vermischen und möglichst über Nacht im Kühlschran­k ziehen lassen. Vor dem Servieren Eis und Zimtstange hinzugeben. Dann einfach mit den Sprudelget­ränken aufgießen.

Weiße Varianten

Man kann die Sangría nur mit Mineralwas­ser oder halb und halb mit Sprite aufgießen, zum Brandy oder anstelle desselben Gin verwenden. Gerne genommen wird auch Cointreau, ein Orangenlik­ör mit einem Bitteroran­genanteil. Das Obst kann natürlich beliebig variiert werden: Erdbeeren sowie Waldfrücht­e wie Brombeeren.

Für eine weiße Sangría nimmt man vorzugswei­se einen halbtrocke­nen Wein, um sich den Zuckerzusa­tz zu ersparen und fügt Früchte wie Melone, Pfirsich und Limette oder Stachelbee­ren, ja sogar weiße Trauben hinzu. Bei allen Versionen bietet sich indes an, eine Art Konzentrat über Nacht ziehen zu lassen. Anschließe­nd beim Servieren dann aufzugieße­n und mit frischen Obststückc­hen aufmöbeln. Das Konzentrat verträgt mitunter sogar mehrere Aufgüsse.

Das über Nacht durchgezog­ene Obst schmeckt zwar köstlich, ist aber überaus tückisch. Der Urlaub kann dann im doppelten Sinne, sehr schnell im Eimer sein.

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Fotos: Pixabay Gekühlt mit Tapas-Beilagen schmeckts am besten.
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Heilige Urlaubs-Dreifaltig­keit: Meer, Strand, Sangría.

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