Liebe Leser,
vielleicht kann man nicht mehr von einer
Reisewelle wie in den vergangenen Jahren sprechen, aber Touristen kommen, vor allem
Spanier, und wenn man am Wochenende in ein etwas renommierteres Restaurant gehen möchte, sollte man reserviert haben. Das ist schön – wir haben etwas Normalität in unserem Alltag zurückgewonnen.
Auch die Königsfamilie macht Spanienurlaub. Felipe VI und Letizia gehen mit ihrer
Rundreise mit gutem Beispiel voran. Das Paar hat auch Sevilla besucht – ein Reiseziel, das man rundweg empfehlen kann. Nur die Trabantenstadt Tres Mil Viviendas steht zu Recht in keinem Reiseführer. Felipe VI wollte sich im ärmsten Viertels Spaniens die Sorgen und Nöte der Bevölkerung anhören. Nur erwarten die Leute keine Almosen, sondern fordern soziale Gerechtigkeit vom Monarchen. Einen Job halt, etwas Perspektive und bisschen Hoffnung für die Zukunft. Wie viele überall. Ein Spanienurlaub ist schon eine Reise ins Elend.
Spanien hat zwei Gesichter, ein Hälfte des Antlitzes liegt in der Sonne und präsentiert sich Urlaubern von seiner schönsten Seite, mit TapasRestaurants, tollen Stränden und malerischen Altstädten in lauen Sommernächten. Bei dem Anblick lässt sich das Corona-Trauma vergessen.
Im Schatten aber liegt das ungeschminkte Spanien, ein von sozialen Gräben zerfurchtes Antlitz. Während sich an den Stränden die Sonnenschirme öffneten, gingen die Taxifahrer in Madrid auf die Straße. Kaum ein Fahrgast steigt mehr zu. Die Radboten der Essensauslieferungsdienste protestierten in Málaga, weil sie wie Sklaven des 21. Jahrhunderts arbeiten. Am Wochenende drückten in 60 Städten Demonstrationen die Forderung nach einem sozialen Wiederaufbau aus. Überarbeitet, krank und frustriert hielt das medizinische Personal Madrids der Bevölkerung vor Augen, dass ihr Gesundheitswesen heute schlechter dasteht als vor Corona.
Das Nationale Institut für Statistik hat im ersten Quartal einen Rückgang der Wirtschaft von 5,2 Prozentpunkten erfasst. Das ist eine grausame Hausnummer. Und die Zentralbank kartete nach mit Forderungen nach Steuererhöhungen und Einsparungen bei den Staatsausgaben – was sich nach der bewährten Medizin anhört, mit der Spanien die Wirtschaftskrise 2008 überwunden hat. Nur stehen weite Teile der Bevölkerung heute schlechter da als vor der Krise. Was Podemos mit sozialpolitischen Vorstößen wie Vermögenssteuer, Regulierung der Aufenthaltserlaubnis von Immigranten, Mindestlohn oder Grundgehalt beabsichtigt, ist eine Abkehr von neoliberalen Sparmaßnahmen. Mehr Sozialpolitik soll es sein, damit nicht schon wieder die junge Bevölkerung unter 35 Jahren, die Frauen und die Geringverdiener die Krise auslöffeln. Die Sparmaßnahmen haben nicht das Gesundheitswesen verbessert, sie haben keine Arbeitsplätze gesichert, sie haben nicht für Innovation in Forschung oder Bildung gesorgt, sie haben nicht die Wirtschaftssektoren angekurbelt, die nicht nur Aktionären etwas bringen, sondern auch dem Land.