In der kritischen Phase
Land am Limit Während die Impfkampagne stockt, durchleben Hospitäler dritten Albtraum Immer mehr Gemeinden auch in Valencia, Murcia und Andalusien, werden wegen Rekord-Inzidenzen beim Coronavirus abgesperrt, die Gastronomie ist häufiger geschlossen als g
Mit einem in die katalanische Regionalpolitik abgehenden Gesundheitsminister Salvador Illa und der neuen Gesundheitsministerin Carolina Darias (s. Seite 27), fast 1.700 Covid-Toten binnen einer Woche und einer 14-Tage-Inzidenz am Mittwoch, 27. Januar, von genau 900 Coronavirusfällen auf 100.000 Einwohnern, schlittert Spanien in den Höhepunkt der dritten Coronavirus-Welle und ist damit einmal mehr das Sorgenkind Europas.
Wenn der Chef des sanitären Krisenstabes der spanischen Regierung, Fernando Simón, vor den Kameras davon spricht, dass Spanien „ womöglich den Höhepunkt“der Infektionszahlen der dritten Welle „ erreicht hat oder bald erreicht“, weiß das Publikum längst, dass den am Anschlag arbeitenden Mitarbeitern in den Krankenhäusern das Schlimmste noch schwere Wochen bevorstehen. Am Mittwoch stagnierte – erstmals in diesem Jahr – die Zahl der neuen Hospitalisierungen, 7.730 waren es in der letzten Woche.
Die Zahlen sind schockierend, sechs spanische Regionen liegen mit ihrer Inzidenz über 1.000 Fällen, Valencia bildet mit 1.460 Fällen am Mittwoch landesweit das Schlusslicht. Dort beträgt die Belegung der UCIs, also Intensivstationen, 63 Prozent allein durch Covid-Patienten.
Mehrere Krankenhäuser sind bereits über einem vertretbaren Limit, müssen nicht nur improvisieren, sondern verschieben mittlerweile neben nicht lebensnotwendigen Operationen sogar Krebsbehandlungen und andere Therapien, wenn die sich nicht an private Spitäler delegieren lassen. Valencias Gesundheitsministerin Ana Barceló musste einräumen, dass sich das Virus bei uns massenhaft und unkontrolliert ausbreitet“.
Spanien ist vom deutschen Robert-Koch-Institut am Wochenende auch auf die Liste der Hochinzidenz-Gebiete gesetzt worden, nachdem das Land diesem Verdikt zuvor noch entkommen war. Damit wird der Reiseverkehr noch mehr erschwert, neben einer Online-Einreiseregistrierung wird ein frischer, negativer PCR-Test verlangt und für die Einreise nach Spanien gilt ohnehin nur noch ein
triftiger Grund“(alles dazu in unserer Service-Beilage).
Die Europäische Union versucht, einmal mehr, durch Empfehlungen ein zumindest abgestimmtes, wenn schon kein einheitliches Handeln im Umgang mit den Infektionsgebieten anzuregen und legt den Mitgliedsländern ans Herz, alle Orte und Gebiete mit einer 14-Tage-Inzidenz von über 500 rigoros abzuriegeln. Derzeit liegt fast ganz Spanien über dieser Schwelle.
Sorgen macht man sich in Brüssel vor allem um die Dynamik der neuen Virus-Varianten, die nicht nur ansteckender, sondern auch problematischer zu sein scheinen und sich extrem schnell verbreiten. Eine Feldstudie in Andalusien hat ermittelt, dass im Süden der Region bereits jeder fünfte neue Fall auf die britische Mutation zurückzuführen sei. In Spanien selbst versuchen Bürgermeister, Provinz- und Regionalpräsidenten im Rahmen der ihnen zugestandenen Kompetenzen das Spreading“des Virus durch eine Immobilisierung der Bevölkerung einzuschränken.
Virologen haben der Zentralregierung nun mehrfach vorgerechnet, dass Maßnahmen zwar durchaus lokal abgestuft und angepasst angewandt werden könnten, aber zentral gesteuert werden müssten. Doch die Zentralregierung in Madrid verkauft ihre offensichtliche Augen-zu-und-durch-Politik als
Vertrauen in die Verantwortlichkeit von regionalen Verantwortungsträgern und Bürgern“, die Zahlen zeigen, wie sehr dieser zu trauen ist.
Die Stellschrauben der Restriktionen werden in einigen Regionen immer wieder überzogen, sodass bereits mehrfach Richter einschritten, um den Politikern ihre gesetzlichen Grenzen aufzuzeigen. Andernorts werden die Möglichkeiten bis zum Maximum ausgereizt: In Andalusien waren am vorigen Wochenende fast 400 Kommunen isoliert, in knapp 200 die Gastronomie geschlossen. In Murcia sind 36 von 45 Gemeinden unter Quarantäne, Treffen mit Menschen aus fremden Haushalten sind untersagt.
Kein Besuch, aber Schule
Beim Corona-Schlusslicht in Valencia sind die Maßnahmen noch verwirrender: Die Gastronomie in der Region ist dicht, eine örtliche Quarantäne gibt es hingegen nur für Orte über 50.000 Einwohner, allerdings nur am Wochenende und an Feiertagen. Damit will man verhindern, dass die Menschen ihre Freizeit nutzen, um die Wohnung des Freundes zur Kneipe umzurüsten oder das Virus von den Enkeln auf die Großeltern übertragen. Ins Shopping-Center darf man aber, wenn auch nur bis 18 Uhr.
Widersprüchlich sind auch andere Vorgaben, wie in Valencia, wo man zu Hause bis auf den unmittelbaren Lebensgefährten oder die Pflegekraft gar niemanden mehr empfangen, auf der Straße sich nur mit einem Fremden“ treffen darf, dafür aber alle Schulen offen bleiben. Dort sind stundenlang bis zu 30 Kinder aus unterschiedlichen Haushalten auf engem Raum zusammen, Durchlüftung und Masken hin oder her. Elternvereine fordern daher eine Schließung der Schulen, zumindest jetzt für die kritischste Phase.
Härter aber kürzer
Experten drängen auf härtere“, dafür kürzere Lockdowns, und darauf, dass die Regeln sich an zentral definierten Kennzahlen orientieren, nicht nach Pi mal Daumen der regionalen Gesundheitsminister. Solche Kennziffern gäben auch den immer verzweifelnder werdenden sekundären, aber nicht weniger existentiell Betroffenen der Krise, also Selbstständigen, Kellnern, Wirten eine Orientierung. Deren Lage und die bis dato mangelnde Unterstützung der prekären Sektoren der Wirtschaft untergraben die Autorität der Regierung und damit auch die Demokratie.
Opfer- und Leugnerdemos
Dann wundert es auch wenig, dass neben den Demos der direkt Betroffenen in vielen Städten Spaniens auch die harten CoronaLeugner, Opfer-Verhöhner und Relativierer mehr Zulauf bekommen. Rund 1.300 von ihnen demonstrierten in Madrid am Wochenende in einem Marsch für die Freiheit“, weitgehend ohne Masken, ohne Abstand, ohne Lösungsvorschläge und ohne von der Polizei belästigt zu werden. Dass die Widerstandsbewegung“in Spanien bei Weitem nicht die Dimensionen wie in Deutschland erreicht, hat vielleicht auch damit zu tun, dass die Leute mit der Bewältigung ihres Alltags in Spanien mehr ausgelastet sind und vom Staat traditionell ohnehin nicht viel zu erwarten haben.
Hinsichtlich der Exit-Strategie aus dem Notstand gibt es in Spanien unterschiedliche Signale. Ostern, traditionell der Auftakt zur Urlaubs- und Tourismussaison, ist abgeschrieben, zum zweiten Male. Ob man bereits zum Sommerbeginn die notwendige 70-Prozent-Durchimpfung erreicht haben wird, hängt vom Stand der Impfkampagne (siehe nebenstehender Artikel) und deren Wirksamkeit sowie der enden wollenden Geduld der Spanier ab.
Mangel an wirksamer Hilfe untergräbt Autorität der Regierung und der Demokratie