Costa Blanca Nachrichten

Leiises SOS

Beinahe ausgestorb­ener Vogel als Naturschut­z-Ikone – Die Marmelente, zum Artenschut­ztag, 3. März

- Stefan Wieczorek Valencia

Fast wäre die Marmelente still und leise ausgestorb­en. Nun ist sie der Star einer spanischen Doku, und Spaniens Regierung lässt für ihre Rettung Millionen Euro springen. Über einen fasziniere­nden Vogel – zum internatio­nalen Artenschut­ztag.

Gesehen haben sie die wenigsten von uns, geschweige denn, dass sie bleibenden Eindruck hinterlass­en hätte. Gäbe es das Lebewesen nicht, wäre es eigentlich egal. Und doch haben in den vergangene­n Jahren Menschen Kosten, Mühen und reichlich Lebensener­gie dafür geopfert, dass sie überlebt: Die Marmelente, spanisch Cerceta Pardilla. Auch wir nehmen uns ihr auf textliche Weise an: zum Welttag des Artenschut­zes am 3. März.

Ein scheues und stilles Vögelchen ist sie, die „ tölpelhaft­e Ente“, wie Spanier sie nennen. Die eher zwitschert als quakt und Federn trägt, die – daher ihr Name Marmelente – an bräunliche Töne von Marmorgest­ein erinnern. Voller Stolz könnte sie ihr Gefieder aufpluster­n und durch die Gegend tragen, denn: Tatsächlic­h ist die Ente die einzige Vertreteri­n der evolutionä­ren

Linie der Gattung

Marmaronet­ta.

Aber das behält das diskrete Entlein lieber für sich. Und meidet unter ihrer schwarzen Maske an der Augenparti­e jeglichen Blickkonta­kt. Dieses Merkmal und ihr Hang, sich zu verbergen, verlieh einer neuen Doku über sie den Titel „ Patches“, was auf Englisch als „ Maske“übersetzt werden kann. Ausgerechn­et mit dem unspektaku­lären Entlein gewannen die valenciani­schen Macher des Films, Regisseur Batista Miguel und Biologe Pablo Vera, einen Preis im Land der unbegrenzt­en Möglichkei­ten. Im Januar kürte das US-Festival Nature without Borders die 52-Minuten-Doku mit der Auszeichnu­ng „ Outstandin­g Excellence“. Zum „ trending topic“wurde damit auch die Ente mit den Marmorfede­rn – vor allem in Spanien, ihrem so gut wie einzigen Heimatland in Europa.

Aus Heimat werden Abgründe

Das – so hoffen die Filmemache­r – wird der Ente Auftrieb geben, die noch zur Jahrtausen­dwende praktisch totgesagt wurde. Dabei hatte sie noch hundert Jahre zuvor zu Abertausen­den Feuchtgebi­ete in Asien und Europa bevölkert. Was war dem Vogel bloß widerfahre­n?

Blicken wir für die Antwort zunächst quer über das Mittelmeer in den Irak. Dort sind die AhwarSümpf­e heute als Schutzgebi­et der Artenvielf­alt bezeichnet, und übrigens auch als Reliktland­schaft der mesopotami­schen Kultur – ein Ge biet von ungeheurem Wert für Umwelt und Mensch zugleich. Hier lag aber auch menschlich­e und tierische Pein unheimlich eng beieinande­r.

Denn seit den 1980ern wurde das Marschland zum Schauplatz blutiger Zerstörung. Zunächst ließ das Regime von Saddam Hussein in seiner genozidale­n Rage gegen Kurden und andere Minderheit­en die Sümpfe systematis­ch trocknen. Strategisc­he Punkte für den Krieg waren wichtiger als zarte, unschuldig­e Lebewesen. In den 90ern tat Hussein es erneut, nun um schiitisch­e Partisanen niederzusc­hlagen.

Am Ende waren die uralten Sümpfe, seit jeher Heimat unserer Marmelente, um 90 Prozent geschrumpf­t. Auch wenn nach Husseins Fall die Regenerier­ung be

gann, leidet das Gebiet bis heute, etwa wegen industriel­ler Projekte, an chronische­m Wassermang­el.

Keine Kriege und Genozide dagegen brauchte Spaniens Küste, um die Lebensräum­e der Marmelente niederzuwä­lzen. Schon im 18. Jahrhunder­t hatte man für die Neubesiedl­ung Lagunenlan­dschaften von Valencia oder Murcia ausgetrock­net. Doch das war nichts im Vergleich zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts.

Mensch aus Vogelpersp­ektive

Auf einmal wurde der Bau von Ferienhäus­ern zur dringendst­en Aufgabe. Der Massentour­ismus erhob sich, und mit ihm Beton, Asphalt, jede Menge Lärm und Müll. Aus Entensicht – zumal die Freizeitja­gd ihr übriges tat – gar nicht so anders als ein kriegerisc­her Holocaust. Um 2000 war die Marmelente am Ende. Nur drei Brutpaare gab es auf Mallorca. Was dann geschah, gleicht einem Wunder.

Dieses Wunder schildert „ Patches“. Drei Generation­en der Marmelente verfolgt der Film. Die erste stirbt in Afrika, als Europa nur noch eine Handvoll Paare zählt. Das nächste Tier wird bereits in Gefangensc­haft geboren und später Patches das Leben schenken, der Protagonis­tin, die auserwählt wird, ein Feuchtgebi­et an Valencias Küste wieder zu bevölkern.

Wie ein Abenteuerf­ilm zoomt die Doku in die fantastisc­hsten Naturgebie­te Spaniens am Mittelmeer, von Castellón über Valencia und Alicante bis nach Sevilla und Huelva. Auch Feuchtgebi­ete von Marokko am Atlantik sind dabei.

Das Besondere am Film: Erzählt wird zwar aus der Perspektiv­e des Tieres. Doch mischt auch immer der Mensch mit, in seiner zwiespälti­gen Rolle: Als Invasor und Zerstörer, der zartes Leben eiskalt vernichten kann. Anderersei­ts aber als der, der Leben auch da noch retten kann, wo es längst zu spät erscheint. Denn der Alarm einzelner wurde tatsächlic­h erhöht.

Seit 2000 rauften sich Umweltschü­tzer aus ganz Europa zusammen – vor allem aus Spanien und Deutschlan­d – und setzten alles daran, doch noch das leise aussterben­de Vögelchen zu retten. Es entstanden Initiative­n wie das Auswilderu­ngsprojekt in Mallorca, an dem sich seit 2009 deutsche Zoos aus Kronberg, Berlin oder Köln beteiligen und in Zusammenar­beit mit dem Servei de Protecció d’Èspècies in Palma hunderte Enten in die Wildnis entlassen haben.

Die in „ Patches“gezeigte Behörde ist das Centro de Recuperaci­ón „ Saler“in Valencia, die etwa Auswilderu­ngen im Naturpark El Hondo bei Elche durchführt. Doch das bisherige Wunder ist noch nicht genug für die Rettung: Nur 45 Marmel-Paare brüteten 2020 in Spanien, Tendenz wieder fallend.

So eilt der Ente nun auch die Regierung zu Hilfe. Kurz vor dem Aktionstag für Artenschut­z startete Spanien das Projekt „ Life: Cerceta Pardilla“, koordinier­t von der Stiftung Biodiversi­tät des Umweltmini­steriums, unterstütz­t von den Regionen Valencia, Murcia und Andalusien, den Vereinen SEO/Bird Life und Anse und angeleitet durch das genannte Artenschut­z-Zentrum „ Saler“und das „ Cañada de los Pájaros“in Andalusien.

In fünf Jahren sollen 3.000 Hektar Feuchtgebi­ete am Mittelmeer aufgebesse­rt und erweitert und Marmelente­n über die Grenzen Spaniens hinaus nachverfol­gt werden. Knapp 6,4 Millionen Euro macht die Regierung locker, davon 75 Prozent vom „ Life“-Fonds der Europäisch­en Union.

Das hässliche Entlein

„ Wenn die Marmelente verschwind­et, verlieren wir einen Teil von uns selbst.“Das erklärte der Staatssekr­etär für Umwelt, Hugo Morán, beim Vorstellen des „ Life“-Projekts für den stillen Vogel.

Zum Abschluss noch eine beeindruck­ende Szene aus „ Patches“. Ein Ei, gehalten von der mächtigen Hand eines Menschen. Ein messerscha­rfes Instrument blitzt auf, nähert sich und pellt das Ei vorsichtig. Zum Vorschein kommt ein Ding, das sich nicht bewegt, nass, mit dunklen chaotische­n Federn.

Ein hässliches Entlein, das noch kein Licht gesehen hat. Als das bedrohlich­e Instrument weg ist und das Wesen auf der Oberfläche liegt, bewegt es das Köpfchen. Als hätte es noch eine Botschaft für den Betrachter parat. Der Artenschut­z – sagt es ohne Stimme – beginnt schon mit dem Ei.

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Foto: Umweltmini­sterium
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Fotos: Stefan Wieczorek Scheues Vögelchen: Auch in Naturparks wie El Hondo macht die Marmelente am liebsten Gebrauch von ihrer „Maske“.
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Foto: ALVOLAI Die Macher der Doku „Patches“.
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Fotos: Ukedocu Artenschut­z beginnt im Ei: Leben oder Zerstörung – der Mensch hat’s in der Hand.

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