Leiises SOS
Beinahe ausgestorbener Vogel als Naturschutz-Ikone – Die Marmelente, zum Artenschutztag, 3. März
Fast wäre die Marmelente still und leise ausgestorben. Nun ist sie der Star einer spanischen Doku, und Spaniens Regierung lässt für ihre Rettung Millionen Euro springen. Über einen faszinierenden Vogel – zum internationalen Artenschutztag.
Gesehen haben sie die wenigsten von uns, geschweige denn, dass sie bleibenden Eindruck hinterlassen hätte. Gäbe es das Lebewesen nicht, wäre es eigentlich egal. Und doch haben in den vergangenen Jahren Menschen Kosten, Mühen und reichlich Lebensenergie dafür geopfert, dass sie überlebt: Die Marmelente, spanisch Cerceta Pardilla. Auch wir nehmen uns ihr auf textliche Weise an: zum Welttag des Artenschutzes am 3. März.
Ein scheues und stilles Vögelchen ist sie, die „ tölpelhafte Ente“, wie Spanier sie nennen. Die eher zwitschert als quakt und Federn trägt, die – daher ihr Name Marmelente – an bräunliche Töne von Marmorgestein erinnern. Voller Stolz könnte sie ihr Gefieder aufplustern und durch die Gegend tragen, denn: Tatsächlich ist die Ente die einzige Vertreterin der evolutionären
Linie der Gattung
Marmaronetta.
Aber das behält das diskrete Entlein lieber für sich. Und meidet unter ihrer schwarzen Maske an der Augenpartie jeglichen Blickkontakt. Dieses Merkmal und ihr Hang, sich zu verbergen, verlieh einer neuen Doku über sie den Titel „ Patches“, was auf Englisch als „ Maske“übersetzt werden kann. Ausgerechnet mit dem unspektakulären Entlein gewannen die valencianischen Macher des Films, Regisseur Batista Miguel und Biologe Pablo Vera, einen Preis im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Im Januar kürte das US-Festival Nature without Borders die 52-Minuten-Doku mit der Auszeichnung „ Outstanding Excellence“. Zum „ trending topic“wurde damit auch die Ente mit den Marmorfedern – vor allem in Spanien, ihrem so gut wie einzigen Heimatland in Europa.
Aus Heimat werden Abgründe
Das – so hoffen die Filmemacher – wird der Ente Auftrieb geben, die noch zur Jahrtausendwende praktisch totgesagt wurde. Dabei hatte sie noch hundert Jahre zuvor zu Abertausenden Feuchtgebiete in Asien und Europa bevölkert. Was war dem Vogel bloß widerfahren?
Blicken wir für die Antwort zunächst quer über das Mittelmeer in den Irak. Dort sind die AhwarSümpfe heute als Schutzgebiet der Artenvielfalt bezeichnet, und übrigens auch als Reliktlandschaft der mesopotamischen Kultur – ein Ge biet von ungeheurem Wert für Umwelt und Mensch zugleich. Hier lag aber auch menschliche und tierische Pein unheimlich eng beieinander.
Denn seit den 1980ern wurde das Marschland zum Schauplatz blutiger Zerstörung. Zunächst ließ das Regime von Saddam Hussein in seiner genozidalen Rage gegen Kurden und andere Minderheiten die Sümpfe systematisch trocknen. Strategische Punkte für den Krieg waren wichtiger als zarte, unschuldige Lebewesen. In den 90ern tat Hussein es erneut, nun um schiitische Partisanen niederzuschlagen.
Am Ende waren die uralten Sümpfe, seit jeher Heimat unserer Marmelente, um 90 Prozent geschrumpft. Auch wenn nach Husseins Fall die Regenerierung be
gann, leidet das Gebiet bis heute, etwa wegen industrieller Projekte, an chronischem Wassermangel.
Keine Kriege und Genozide dagegen brauchte Spaniens Küste, um die Lebensräume der Marmelente niederzuwälzen. Schon im 18. Jahrhundert hatte man für die Neubesiedlung Lagunenlandschaften von Valencia oder Murcia ausgetrocknet. Doch das war nichts im Vergleich zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Mensch aus Vogelperspektive
Auf einmal wurde der Bau von Ferienhäusern zur dringendsten Aufgabe. Der Massentourismus erhob sich, und mit ihm Beton, Asphalt, jede Menge Lärm und Müll. Aus Entensicht – zumal die Freizeitjagd ihr übriges tat – gar nicht so anders als ein kriegerischer Holocaust. Um 2000 war die Marmelente am Ende. Nur drei Brutpaare gab es auf Mallorca. Was dann geschah, gleicht einem Wunder.
Dieses Wunder schildert „ Patches“. Drei Generationen der Marmelente verfolgt der Film. Die erste stirbt in Afrika, als Europa nur noch eine Handvoll Paare zählt. Das nächste Tier wird bereits in Gefangenschaft geboren und später Patches das Leben schenken, der Protagonistin, die auserwählt wird, ein Feuchtgebiet an Valencias Küste wieder zu bevölkern.
Wie ein Abenteuerfilm zoomt die Doku in die fantastischsten Naturgebiete Spaniens am Mittelmeer, von Castellón über Valencia und Alicante bis nach Sevilla und Huelva. Auch Feuchtgebiete von Marokko am Atlantik sind dabei.
Das Besondere am Film: Erzählt wird zwar aus der Perspektive des Tieres. Doch mischt auch immer der Mensch mit, in seiner zwiespältigen Rolle: Als Invasor und Zerstörer, der zartes Leben eiskalt vernichten kann. Andererseits aber als der, der Leben auch da noch retten kann, wo es längst zu spät erscheint. Denn der Alarm einzelner wurde tatsächlich erhöht.
Seit 2000 rauften sich Umweltschützer aus ganz Europa zusammen – vor allem aus Spanien und Deutschland – und setzten alles daran, doch noch das leise aussterbende Vögelchen zu retten. Es entstanden Initiativen wie das Auswilderungsprojekt in Mallorca, an dem sich seit 2009 deutsche Zoos aus Kronberg, Berlin oder Köln beteiligen und in Zusammenarbeit mit dem Servei de Protecció d’Èspècies in Palma hunderte Enten in die Wildnis entlassen haben.
Die in „ Patches“gezeigte Behörde ist das Centro de Recuperación „ Saler“in Valencia, die etwa Auswilderungen im Naturpark El Hondo bei Elche durchführt. Doch das bisherige Wunder ist noch nicht genug für die Rettung: Nur 45 Marmel-Paare brüteten 2020 in Spanien, Tendenz wieder fallend.
So eilt der Ente nun auch die Regierung zu Hilfe. Kurz vor dem Aktionstag für Artenschutz startete Spanien das Projekt „ Life: Cerceta Pardilla“, koordiniert von der Stiftung Biodiversität des Umweltministeriums, unterstützt von den Regionen Valencia, Murcia und Andalusien, den Vereinen SEO/Bird Life und Anse und angeleitet durch das genannte Artenschutz-Zentrum „ Saler“und das „ Cañada de los Pájaros“in Andalusien.
In fünf Jahren sollen 3.000 Hektar Feuchtgebiete am Mittelmeer aufgebessert und erweitert und Marmelenten über die Grenzen Spaniens hinaus nachverfolgt werden. Knapp 6,4 Millionen Euro macht die Regierung locker, davon 75 Prozent vom „ Life“-Fonds der Europäischen Union.
Das hässliche Entlein
„ Wenn die Marmelente verschwindet, verlieren wir einen Teil von uns selbst.“Das erklärte der Staatssekretär für Umwelt, Hugo Morán, beim Vorstellen des „ Life“-Projekts für den stillen Vogel.
Zum Abschluss noch eine beeindruckende Szene aus „ Patches“. Ein Ei, gehalten von der mächtigen Hand eines Menschen. Ein messerscharfes Instrument blitzt auf, nähert sich und pellt das Ei vorsichtig. Zum Vorschein kommt ein Ding, das sich nicht bewegt, nass, mit dunklen chaotischen Federn.
Ein hässliches Entlein, das noch kein Licht gesehen hat. Als das bedrohliche Instrument weg ist und das Wesen auf der Oberfläche liegt, bewegt es das Köpfchen. Als hätte es noch eine Botschaft für den Betrachter parat. Der Artenschutz – sagt es ohne Stimme – beginnt schon mit dem Ei.