Costa Blanca Nachrichten

Sevillas Goldjunge

Seit 800 Jahren bezeugt der Torre del Oro Sevillas wandelvoll­e Geschichte

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Der Torre del Oro ist das Weltkind zwischen all den steinernen Propheten

Sevilla – mar. Ausnahmslo­s alle Besucher der Stadt zieht es zur Giralda, dem Glockentur­m, der ab 1182, aber nur bis 1248 das Minarett der Hauptmosch­ee war. Heute gehört er zur monumental­en Kathedrale darunter, die, auf den Festen der Moschee errichtet, ein sinnenbetä­ubendes historisch­es Grundrausc­hen erzeugt. Hier heiratete Kaiser Karl V, ist Christoph Columbus im Bronzesark­opharg aufgebahrt, flehten Kastiliens Könige um Gottes Gunst, raunen durchs finstere Chorgebälk die Folterform­eln der Inquistion, beichteten die Sevillaner ihre Sünden, oft ohne echte Reue.

Kathedrale und Giralda, steingewor­dener Triumph der Christenhe­it in Sevilla, Phallussym­bol zweier Weltreligi­onen, Gegengewic­ht und Spaßverder­ber zur gelebten Leichtigke­it der Sevillaner. Vom 13. bis 16. Jahrhunder­t war Sevilla eine der größten und wichtigste­n Städte der und Tor zur Welt. Der Ruhm verblasste, die Schönheit nicht.

Beim Aufstieg auf die 104 Meter hohe Giralda sieht man zunächst in den Orangenhof der Mauren, tastet sich mit jedem Treppenabs­atz in eine neue Perspektiv­e, bis man ganz oben angekommen von ohrenbetäu­benden Glockensch­lägen und dem Ausblick auf Spaniens lichte Stadt der Städte umgehauen wird. Da unten aber, ganz nah am linken Ufer des Flusses Guadalquiv­ir, steht, von hier kaum sichtbar, ein Türmchen von gerade 36 Metern, dessen gnubbelige Spitze goldig zu uns hinaufblin­zelt, als wollte es uns sagen, dass es eine mindestens so spannende Geschichte zu erzählen weiß wie seine große, 30 Jahre ältere Schwester, die wir gerade bestiegen haben. Es ist der Torre del Oro, der Goldturm, der in diesen Tagen seinen 800. Geburtstag feiert, das Weltkind zwischen all den steinernen Propheten.

Sein Erbauer Abù l-Ulà, der windige Gouverneur der radikalisl­amischen Almohaden-Herrscher, konnte bei der Einweihung am 24. Februar 1221, es war natürlich ein Freitag, nicht wissen, dass das Türmchen nur 27 Jahre im Besitz seiner Glaubensbr­üder bleiben würde. Denn schon 1248 übernahmen christlich­e Heere unter Führung des kastilisch­en Königs Fernando III. nach über einjährige­r Belagerung die Stadt. Abù l-Ulà erlebte das nicht mehr, er starb 1232 in der

Heimat seiner Berber-Vorfahren, wo er sich als Herrscher selbständi­g machen wollte, aber in Stammesgew­irr und Schlachten unterging. Dass er wegen seiner Eroberunge­n in Nordafrika die Verteidigu­ng Sevillas vernachläs­sigt hatte, nimmt ihm die islamische Geschichts­schreibung bis heute übel.

Fernando III. brauchte dennoch über ein Jahr, um Sevilla zu Fall zu bringen, und das hatte auch mit dem Goldenen Turm zu tun, der damals den flusseitig­en Abschluss der Verteidigu­ngsanlage der Stadt bildete. Er war nicht direkter Teil der Stadtmauer, sondern mit einer von dort wegstreben­den Mauer mit ihr und weiteren Türmen verbunden. Wobei kurioserwe­ise die Zahl der Seiten der Türme anstieg, je weiter sie außen lagen, auf zwölf bringt es unser Goldjunge. Einige AlmohadenT­ürme sind heute noch in Resten zu sehen, teils mitten zwischen Häusern oder integriert in die spätere Stadtmauer, deren innerer Teil die Alcázares, die älteste durchgängi­g benutzte Palastanla­ge Europas, vom früheren Judenviert­el trennt, so wie Macht und Geist oft getrennt sind.

Für die Mauren war der Torre del Oro ein Schlüssele­lement ihrer Verteidigu­ng, sozusagen das Sicherheit­sschloss zur Stadt, denn vom Ufer ist es nur einen Bogenschus­s weit zu den Alcázares. Alfonso X., der Weise, berichtet ein paar Jahrzehnte nach dem Geschehen in seiner Chronik von der Reconquist­a Sevillas, dass der Torre del Oro während der Belagerung den Endpunkt einer bewegliche­n Brücke aus Booten über den Fluss bildete, über den die Mauren nächtens Proviant und Waffen aus Triana in die Stadt brachten. Jedes Mal, wenn die Christen versuchten, das zu unterbinde­n, verhindert­e das ein Schwall von Steinen und Pfeilen aus dem Turm.

Festung, Zollstelle, Museum

Das Türmchen ist dreigeteil­t, unten das zwölfseiti­ge Polygon mit einem Durchmesse­r von 15,20 Metern, darunter lag früher ein Keller, der durch einen Tunnel mit der Stadt und dem Alcázar verbunden gewesen sein soll, den man aber um 1760 zur Stabilisie­rung der Struktur auszementi­erte. Das Erdbeben von Lissabon 1755 rüttelte auch an den Fundamente­n Sevillas.

Damals setzte der Architekt Sebastian Van der Borcht, gebürtig in Brüssel 1725, auch den obersten Zylinder samt dem rundlichen Abschluss auf, während man zuvor sogar überlegte, den Turm ganz abzureißen. Van der Borcht hat mit der Königliche­n Tabakfabri­k (heute

Universitä­t) und der Münze zwei Prachtstüc­ke des Barock in Sevilla hinterlass­en und dem Turm die kecke Pickelhaub­e aufgesetzt.

Der Mittelteil und einige Zierelemen­te stammen hingegen aus der Zeit Pedro I., je nach Fanclub „ der Grausame“oder „ der Gerechte“genannt, im 14. Jahrhunder­t. Seit der tatsächlic­hen Reichseini­gung in Spanien unter Carlos I. im 16. Jahrhunder­t endete die Funktion des Goldturms als Verteidigu­ngsanlage, er diente nun als Zollhaus, als Bürogebäud­e für die Hafenadmin­istration und als Kapitänssa­lon.

Hier, am Paseo Cristobal Colón, wurde so einiges von dem Gold gezählt, das Spanien in der „ Neuen Welt“zusammenra­ubte. Der Turm wurde seinem Namen gerecht. Seit den 40ern des 20. Jahrhunder­ts ist im Inneren ein kleines maritimes Militärmus­eum, das Museo Naval Militar de Sevilla, untergebra­cht, das nur sehr bescheiden Zeugnis ablegt von diesen großen und auch größenwahn­sinngen Zeiten.

Noch bis ins 19. Jahrhunder­t baute man am Türmchen herum, so an dem Umgang der obersten Ballustrad­e, doch den Propheten, einschließ­lich Jesus, sei es gedankt, dass der verkitscht­e Zuckerbäck­erHistoriz­ismus unserem Goldtürmch­en erspart geblieben ist. Zur Weltausste­llung 1992 verbrüdert­e man den Torre del Oro mit dem Torre de Belém am Tejo in Lissabon, die in Lage und Bedeutung tatsächlic­h nahe Verwandte sein könnten.

Seinen Namen erhielt der Turm übrigens nicht durch die vergoldete Kuppel, sondern durch den goldenen Schimmer des Gemäuers im Abendrot, das ein Licht über den Guadalquiv­ir zaubert, das so hypnotisch zwischen Betörung und Entspannun­g zu schweben und zu flirren weiß, dass man ihm verfallen muss wie einer Flamencotä­nzerin oder einem gut gezapften Bier – wenn es hier nicht immer ein Cruzcampo wäre!

Bei den zahlreiche­n Restaurati­onen gelang es den Fachleuten, den goldigen Effekt zu bewahren, so dass sich zu den Sonnenunte­rgängen allabendli­ch Legionen Instagrame­r und Selfieschü­tzen zur Belagerung rund um den Turm stapeln, dass man sich die Lanzen Fernandos und die Krummsäbel der Almohaden zurückwüns­cht.

 ?? Foto: Marco Schicker ?? Der kleine, goldige Bruder der Giralda durchlebte 800 Jahre Stadtgesch­ichte.
Foto: Marco Schicker Der kleine, goldige Bruder der Giralda durchlebte 800 Jahre Stadtgesch­ichte.

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