Kulturelle Brücke im Bau
Trotz gemeinsamer Sprache kochen Balearen, Valencia und Katalonien gern ihr eigenes Süppchen
Inselbewohner sind eigenbrötlerisch und speziell. Im Fall der Balearen zeigt sich das sehr deutlich. Keine der vier Inseln will mit den anderen etwas zu tun haben. Am ehesten vielleicht Formentera mit Ibiza, aber das ist wie eine Zwangsehe, denn der kürzeste Weg nach Formentera führt über Ibizas Flughafen und Hafen. Menorca hält sich aus allem heraus und Mallorca wird schon deshalb nicht geliebt, weil dort die Regierung sitzt, die über alle bestimmt und alle benachteiligt.
Erzherzog Ludwig Salvator hatte Ende des 19. Jahrhunderts seine Beobachtungen auf den Inseln in zwei dicken Bänden zusammengefasst. Nicht nur Mallorquiner reden Ibizencos schlecht, auch die Fischer mobben die Bauern: „ Die Ibizaner Bauern sind ein fröhliches, gutmüthiges Völkchen, und ganz mit Unrecht behaupten die Ibizaner Fischer und die Mallorquiner, dass sie schlechter als die Mauren seien“, schreibt er in „ Die Balearen in Wort und Bild“. Mit den Festlandspaniern haben sie gar nichts zu tun. Er weiß: „ Alle entfernen sich aber entschieden von den Spaniern des Continents; statt der abenteuerlichen Söhne Iberiens findet man auf den Balearen ein stilles ruhiges Volk.“
Gemeinsame Sprache
Wenn die Inselbewohner untereinander nicht viel miteinander zu tun haben wollen, weshalb sollten sie dann Sympathien für Katalanen oder Valencianer empfinden? Was von Politikern immer wieder als Achse gefeiert wird, beruht in erster Linie auf der gemeinsamen Sprache. Doch auch da herrscht Zwist. Katalanisch ist als Schriftsprache weitgehend genormt, aber gesprochen wird das Idiom in einer Vielzahl von Dialekten.
Luis Salvador beschrieb das auf seine gelehrige Art folgendermaßen: „ Auch in Bezug auf ihre Sprache weichen sie gar sehr von den Bewohnern Castiliens ab und nähern sich vielmehr den Cataloniern, indem sie ein verdorbenes Spanisch reden, das zum Theil noch ein Ueberbleibsel des alten Limousins ist. Dieser Dialekt heisst nach der grösseren Insel das Mallorquinische, er hat sich aber zu einer selbstständigen Sprache herausgebildet“.
Das mit der selbständigen Sprache ist so eine Sache. 2017, auf die Frage der mallorquinischen Sprecherin von Ciudadanos, ob die Mallorquiner Katalanen werden sollen, voraussetzend, dass Mallorquin nicht Katalanisch sei, antwortete ihr der Präsident des Inselrats: „ Glauben Sie wirklich, dass von den Pyrenäen bis Alicante und in Alghero (Sardinien) 14 Sprachen gesprochen werden? Von Kalifornien bis Patagonien, Cabo de Gata bis Finisterre spricht man Spanisch mit allen Akzenten und Dialekten, aber hier sprechen wir 14 Sprachen: Mallorquín, Menorquín, Ibicenco, Formenterense, Barcelonés, Alicantino, Valenciano, Andorrano usw…?“. Für ihn ist klar, alles ist Katalanisch. Mit lokalen Varianten selbstverständlich. Dass auf Ibiza Ibicenco gesprochen wird, kann man sich denken, dass die Hauptstadt-Einwohner noch einmal etwas anders sprechen als die Leute auf dem Land, muss man wissen. Auf Mallorca wird in Sollér und Pollença ein anderes Mallorquín gesprochen als im Rest der Insel.
Das und viele andere Beispiele zeigen, dass Katalanisch nicht standardisiert ist. Zwar unterscheidet man zwischen West- und Ostkatalanisch. Westkatalanisch ist die Provinz Lleida bis Valencia, alles andere Ostkatalanisch. Aber auch das gilt nur mit Ausnahmen. Palmas Regierung wurde vom Inselrat Formenteras 2018 scharf zurechtgewiesen, als diese in einem Dekret über Haustiere das Wort Moix für Katze benutzte. Moix wird nur auf Mallorca und Menorca verwendet, auf Ibiza und Formentera ist das spanische gato ein katalanisches gat.
Lokale Unterschiede und Animositäten beiseite, ist die gemeinsame Sprache für die mächtige Region Katalonien Grund für pan-katalanistische Tendenzen. Katalonien vereinnahmt außer dem französischen Roussillon und Andorra auch Valencia und die Balearen am liebsten gleich Richtung eigenständiger Megarepublik zu den
„ Països Catalans“. Dahinter steckt politisches Kalkül. Je mehr, desto mächtiger.
Spielball der Macht waren die Balearen im Laufe der Jahrhunderte allzu oft. Nach der wirtschaftlichen Blütezeit unter arabischer Herrschaft eroberte 1129 Jaume I. Mallorca für die Krone Aragons. Tausende Inselbewohner wurden getötet, katalanisch sprechende Siedler wanderten ein. Als Jaume II. das Königreich Mallorca erbte, kamen die katalanischen Gebiete Roussillon und Sardiniens hinzu. Unter Jaume III. wurden Mallorca und Ibiza endgültig der Krone Aragons unterstellt. Im Mittelalter ging es wirtschaftlich und demografisch bergab. Pestseuchen und Aufstände beutelten die Bevölkerung. Der blutige Bürgerkrieg der Germanías von 1521-1523, als Bruderschaften auf Mallorca angesteckt von Valencia und Galicien gegen die hohen Steuern aufbegehrten, vertrieb viele Inselbewohner nach Katalonien. Mallorca fühlte sich als Teil der Krone Aragons marginalisiert.
Auswanderung nach Valencia
Im Spanischen Erbfolgekrieg zu Beginn des 18. Jahrhunderts fiel Menorca an Großbritannien (bis 1802). Das Königreich Mallorca, Ibiza und Formentera wurde unter dem Bourbonen Felipe V., dem Sieger des Krieges, zu einer Provinz des spanischen Reiches. Statt Katalanisch sollte Spanisch gesprochen werden. Obwohl Landreformen und industrielle Projekte
der Aufklärung die wirtschaftliche Entwicklung förderten, blieben die Inseln mit ihrer zersiedelten Bevölkerung rückständig und eigenwillig.
Angesichts der wirtschaftlichen Depression und Benachteiligung unter aragonischer oder später bourbonischer Herrschaft blieb vielen Mallorquinern nur das Exil. Eine der größten Auswanderungen fand Anfang des 17. Jahrhunderts statt, als Inselbewohner das ländliche Valencia besiedelten, um die Arbeit der zum Christentum zwangskonvertierten Mauren zu übernehmen. Bevor Felipe III. 1609 mit einem Dekret die Vertreibung dieser Morisken angeordnet hat, versprach er den valencianischen Feudalherren, die um ihre Einkünfte fürchteten, dass neue Arbeitskräfte gesucht würden.
In eine neue Heimat
Innerhalb von drei Tagen mussten die Morisken die Iberische Halbinsel verlassen und sich nach Oran einschiffen. Mitnehmen durften sie nur, was sie tragen konnten. Allein Valencia verlor dadurch ein Drittel seiner Einwohner, 120.000 Menschen, vor allem Handwerker und Landarbeiter. Die Folgen waren verheerend, Zuckerrohrfelder lagen brach, die Schuhherstellung in Elche geriet ins Stocken, so dass die Preise stiegen.
Mallorquinische Familien wanderten nach Valencia aus und übernahmen die verlassenen Häuser, Höfe und Felder, um sie für den Adel zu bestellen. Vor allem die Marina Alta, Marina Baja, El Comtat und La Safor wurden von Mallorquinern bevölkert. Die Insel verlor zehn Prozent ihrer Einwohner, Santa Margalida im Nordosten sogar ein Viertel der Bevölkerung. Leute aus Manacor, Llucmajor, Artá und vielen anderen Orten zogen nach Jalón und ins Vall d’Ebo.
Berühmt ist heute das 640-Einwohner-Dorf Tàrbena in der Marina Baja, weil dort die Leute immer noch mit mallorquinischem Akzent sprechen und stolz auf diese
„ salat“- oder „ Parlar de sa“-Variante des Katalanischen sind. Wie auf den Balearen wird in Tàrbena sa casa gesagt, nicht la casa für Haus und Heim. Ganz genau nehmen darf man das aber nicht. Ausnahme ist Pollença auf Mallorca, dort wird la gesagt, während im katalanischen Cadaqués plötzlich sa angesagt ist.
Auch in der Gastronomie finden sich mallorquinische Spezialitäten wie die Sobrasada bis heute in Valencia wieder. Die mallorquinische Einwanderung nach der Vertreibung der Morisken ist ein Beispiel für den Austausch der Kulturen, der heute vom Centre d’Estudis de Repoblació Mallorquina (CERM) in Tàrbena in Zusammenarbeit mit der Valencianischen Sprachakademie, der Uni Alicante und der Uni der Balearen gepflegt wird.
Dieser Austausch wird offiziell gefördert, seit in allen drei Regionen ab 2015 progressive und regionalistische Formationen regieren. Das erleichtert die politische Zusammenarbeit, das macht die drei Regionen stark, um etwa gegenüber Madrid aufzutreten, wenn es in Brüssel um Agrarhilfen für die mediterrane Landwirtschaft geht. Am 20. Februar 2017 verlasen im Museu de Mallorca drei Kulturminister die sogenannte „ Erklärung von Palma“. Ruth Mateu (Balearen), Vicent Marzà (Valencia) und Santi Vila (Katalonien) stellten die Pläne für eine enge kulturpolitische Zusammenarbeit der historischen katalanisch sprachigen Regionen vor. Dazu gehören der Austausch von visuellen Künstlern, Musikern, Schriftstellern, Theateraufführungen und traditioneller Volkskunst, die künftig die Bühnen aller drei Regionen nutzen sollen, die Erstellung eines gemeinsamen Katalogs der verschiedenen Landesbibliotheken oder die Vereinheitlichung der Sprachzertifikate. Der gemeinsame Auftritt im Ausland soll vom katalanischen Kulturinstitut Ramon Llull gefördert werden.
Marzà erklärte, „ es ist ein weiterer Schritt, die kulturellen und kreativen Industrien jeder Region zu fördern, ein erster Stein, um eine Brücke für und nicht Mauern gegen einen wirkungsvollen mediterranen Kulturkorridor zu bauen“. Seine beiden Amtskollegen hoben die Notwendigkeit heraus, sich in der globalisierten Welt mit einer starken Sprache und Kultur zu behaupten.
Der kulturelle Austausch funktioniert in erster Linie auf bilateraler Ebene. Valencia und Katalonien wollten gemeinsam Stätten für das Unesco-Kulturerbe präsentierten, planen einen Kulturpark am Senia-Fluss und schicken Orchester und Theaterinszenierungen auf Tournee durch ihre Provinzen. Die Balearen und Valencia werden von der Baleària-Stiftung in kulturelle, umweltpolitische und soziale Aktivitäten eingebunden. Manchmal unter Einbeziehung Algeriens, seltener Kataloniens. Die Stiftung sorgt auch für einen Austausch
„ salat“-sprechender Schüler. Der Großteil der Schulabgänger der Inseln studiert übrigens in Barcelona, aus Ibiza 60 Prozent, nur neun Prozent wählen die Uni Valencia.
International symbolisiert das gemeinsame Auftreten das Kulturinstitut Ramon Llull (IRL). Es wurde 2002 von den Regierungen Kataloniens und der Balearen mit Sitz in Barcelona gegründet. Allerdings nahmen die Balearen, nachdem die konservative Volkspartei die Landtagswahl gewann, Abstand von dem Projekt. 2008 und dann wieder seit 2015 unter sozialistischer Koalitionsregierung sind sie Partner. Im Rahmen des kulturellen Strategieplans „ Haz Cultura“nimmt auch Valencia teil an den Aktivitäten.
Namensgeber ist der mallorquinische Gelehrte Ramon Llull (um 1232-1316). Der Theologe, Mystiker und Philosoph verfasste viele seiner rund 280 überlieferten Werke nicht in lateinischer, sondern in katalanischer Sprache. Er hat als Erfinder von Navigationsinstrumenten und der „ Ars magna“Geschichte gemacht. Sein Verfahren, mit Drehscheiben Begriffe zu kombinieren, kann als Vorläufer des Computers gelten. Bis heute berufen sich Künstler wie Anselm Kiefer und Hans Magnus Enzensberger auf seine Ars magna – die Große Kunst.
Auch ein katalanischer Literaturpreis ist nach Ramon Llull benannt und den hat gerade Gerard Quintana erhalten. Der Musiker der katalanischen Rockband „ Sopa de Cabra“aus Girona schreibt auch Romane. Ausgezeichnet wurde ein autobiografisches Werk, das seine Zeit auf Ibiza beschreibt. Da ist sie wieder, die kulturelle Brücke, wenn auch nur bilateral.
Tàrbena ist berühmt für den mallorquinischen Akzent der Bewohner