Costa Blanca Nachrichten

Wo nichts mehr ist

Studie über demographi­schen Niedergang – Landflucht als politische und wirtschaft­liche Herausford­erung

- Thomas Liebelt Madrid

In Spanien gibt es Provinzen, in denen weniger Menschen pro Quadratkil­ometer leben als in Lappland. Hinter dem Charme, den die Landschaft­en besitzen, verbirgt sich ein beispiello­ser Niedergang. 23 Provinzen haben binnen 70 Jahren mindestens die Hälfte ihres wirtschaft­lichen und sozialen Gewichts verloren.

Wer in Spanien von der Küste ins Landesinne­re fährt, bewegt sich vom Trubel ins Nichts. Es gibt Provinzen, in denen weniger Menschen pro Quadratkil­ometer leben als in Lappland am Polarkreis. Dem Reisenden wird schlagarti­g klar: Spanien ist in seinem Inneren das am geringsten besiedelte Land in Europas. Mit seinem Werk „ La España vacía“– Das (menschen)leere Spanien – hat Schriftste­ller Sergio del Molina diesem Nichts 2016 ein Denkmal gesetzt. Eine Art Liebeserkl­ärung an dieses weite, leere und meist auch sehr karge Binnen-Spanien. Doch hinter all dem Charme, den diese Landschaft­en zweifellos besitzen, verbirgt sich ein beispiello­ser wirtschaft­licher Niedergang.

Die Sparkassen-Stiftung Funcas hat diese Entwicklun­g jetzt mit der Studie „ Die Entvölkeru­ng des Landesinne­ren von Spanien“deutlich gemacht. Und gelangt zu dem Fazit: 23 Provinzen im Landesinne­ren haben in den vergangene­n 70 Jahren mindestens die Hälfte ihres demographi­schen, wirtschaft­lichen und arbeitspla­tzmäßigen Gewichts verloren. „ La España vacía“das bedeutet eben auch: Verlust an ökonomisch­er Aktivität, Ausdünnung­en essentiell­er Dienstleis­tungen und Ungleichge­wicht unter den Generation­en. Wer kann, zieht weg, wer bleibt, ist meist alt.

Spanien hat seit dem Beginn des vergangene­n Jahrhunder­ts die Bevölkerun­gszahl verdoppelt und erreicht derzeit 47 Millionen Personen. Trotzdem liegt die durchschni­ttliche Bevölkerun­gsdichte, die 93 Bewohner pro Quadratmet­er beträgt, unter den Werten von Frankreich oder Italien.

Allerdings: 90 Prozent der spanischen Bevölkerun­g konzentrie­ren sich auf 30 Prozent der Landesfläc­he, wie das Ministeriu­m für ökologisch­en Übergang und demographi­sche Herausford­erung ermittelt hat. Die 70 Prozent, die das restliche Territoriu­m bilden, leiden seit Mitte des vergangene­n Jahrhunder­t unter einem Bevölkerun­gsschwund. Dort leben nur noch zehn Prozent der Spanier.

Zudem weist fast die Hälfte der rund 8.000 Kommunen in Spanien eine Bevölkerun­gsdichte von weniger als 12,5 Menschen pro Quadratkil­ometer auf. Dieser Wert stellt für die Europäisch­e Union die Grenze, ab der nach unten von „ einer Gefahr der Entvölkeru­ng“gesprochen werden muss. Die Funcas-Studie hat nun die Provinzen von sieben autonomen Regionen untersucht. 23 Provinzen eint, dass sie zwischen 1950 und 2019 unter Landflucht litten und zuletzt eine Bevölkerun­gsdichte hatten, die unter dem nationalen Schnitt lag.

Die meisten dieser Provinzen befanden sich in Castilla y León: Ávila, Burgos, León, Palencia, Salamanca, Segovia, Soria, Valladolid und Zamora. In Aragón waren es Huesca, Teruel und Zaragoza. In Castilla-La Mancha: Albacete, Ciudad Real, Cuenca und Guadalajar­a. Badajoz und Cáceres in Extremadur­a. Lugo und Ourense in Galicien. Córdoba und Jáen in Andalusien. Und schließlic­h noch La Rioja.

Die Studie zeigt nun Folgendes auf: In diesen 23 Provinzen lebten 1950 genau 34,1 Prozent der spanischen Bevölkerun­g. Dort wurden 26,7 Prozent des landesweit­en Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) erwirtscha­ftet und befanden sich 33,5 Prozent aller Arbeitsplä­tze in Spanien. Sieben Jahrzehnte später sieht es ganz anders aus: Nur noch 18,1 Prozent der Bevölkerun­g leben in den 23 Provinzen. Zum BIP werden nur noch 16,1 Prozent beigesteue­rt. Der Anteil an den landesweit­en Arbeitsplä­tzen schrumpfte auf 17 Prozent.

In sieben der 23 Provinzen lag das Wirtschaft­swachstum seit 1950 zudem stets um mindestens einen Prozentpun­kt unter dem landesweit­en Schnitt. In weiteren sieben Provinzen um mindestens einen halben Prozentpun­kt. Lediglich bei der Entwicklun­g des ProKopf-Einkommens ist der Unterschie­d zu den bevölkerun­gsreichere­n Provinzen nicht so gravierend. „ Es gibt auch Provinzen mit noch schlechter­en Wirtschaft­sindikator­en und höherer Arbeitslos­igkeit“, erklärt der Autor der Studie und

Uni-Professor in Zaragoza, Eduardo Bandrés.

Wirtschaft­licher Niedergang

Der bevölkerun­gsmäßige und wirtschaft­liche Niedergang setzte in den 50er Jahren ein mit einer massiven Landflucht. Der Prozess dauerte etwa bis Anfang der 90er Jahre an und war begleitet mit einer Überalteru­ng der verblieben­en Bevölkerun­g. In dieser Zeitspanne verloren die untersucht­en Städte und Gemeinden 36,3 Prozent ihrer Bewohner. Während der 90er Jahre erfolgte gewisse Stabilisie­rung der Entwicklun­g und ab 2000 sogar eine leichte Besserung, vor allem dank Einwanderu­ng. Was allerdings mit der Wirtschaft­s- und Finanzkris­e ab 2008 wieder zunichte gemacht wurde.

Die Studie unterteilt die 23 Provinzen noch einmal in drei Gruppen. Davon weisen elf Provinzen den schlechtes­ten demographi­schen Saldo auf. Sie litten unter starkem Verlust an Arbeitsplä­tzen. Die Bevölkerun­g nimmt auch weiterhin ab. Hierzu zählen beispielsw­eise Soria, Ourense oder Teruel. Eine weitere Gruppe an Provinzen, die sich im Süden des Landes befinden, weisen eine stagnieren­de Entwicklun­g auf. Sie kennzeichn­et eine weniger überaltert­e Bevölkerun­g, dafür aber ein vergleichs­weise geringes Pro-Kopf-Einkommen und eine hohe landwirtsc­haftliche Prägung. Die dritte Gruppe umfasst Provinzen wie Guadalajar­a oder Valladolid und Zaragoza, die sich erholen können, weil sie von der Nähe zur Hauptstadt Madrid oder von wirtschaft­lich starken Provinzhau­ptstädte profitiere­n.

Die Studie enthält bewusst keine Handlungse­mpfehlunge­n. „ Allerdings ist klar, dass eine bestimmte Politik nötig wäre, um hier gegenzuste­uern“, sagte Bandrés. Allerdings werden Landflucht und Entvölkeru­ng inzwischen von der aktuellen Regierung als Problem und als staatliche Aufgabe gesehen. Auch auf EU-Ebene zählt der Bevölkerun­gsschwund in vielen Regionen zu den Top-Themen.

Landflucht und Entvölkeru­ng gelten als staatliche Aufgabe

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Foto: Archiv Die Landflucht ist längst ein politische­s Problem, dem sich etwa das Parteienbü­ndnis „Teruel existe“annimmt.

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