Beben bis Madrid
Machtwechsel in Murcia, Neuwahlen in Madrid? Ciudadanos-Partei löst politisches Beben in ganz Spanien aus
Am Mittwoch haben Ciudadanos und Sozialisten in Murcia einen Misstrauensantrag gegen die Volkspartei eingereicht – und ein politisches Erdbeben in mehreren Regionen Spaniens ausgelöst. So ließ etwa die Madrider Regionalchefin Isabel Ayuso kurzerhand die Koalition mit Ciudadanos platzen und löste den Landtag auf.
Murcia zählt zu den seismisch aktivsten Regionen Spaniens. Dennoch kommt es äußerst selten vor, dass die Erschütterungen eines Bebens dort bis in andere Regionen zu spüren sind und sogar Madrid erzittern lassen. Am Mittwoch, 10. März, war es soweit. Der kleinere Regierungspartner in Murcia, die Ciudadanos (C’s), reichten einen Misstrauensantrag gegen den Regionalpräsidenten Fernando López Miras ein und kündigten damit die Koalition mit der Volkspartei (PP) auf. Zuvor versicherten sie sich der Unterstützung der PSOE. Das Ziel ist, in einer Sitzung des Landtags, die für den 17. und 18. März angesetzt ist, die 26-jährige PP-Herrschaft in Murcia zu beenden.
Den 23 Abgeordneten von Ciudadanos (6) und PSOE (17) stehen im Parlament in Murcia 16 Vertreter der PP und die vier Rechtsaußen von Vox gegenüber. Die Rebellen bräuchten nicht einmal die zwei Podemos-Stimmen, um ihren Antrag durchzubringen. Das Gleiche wiederholt sich für die Landeshauptstadt Murcia. Auch im Rathaus soll ein Misstrauensantrag die Machtverhältnisse verschieben.
Zur Begründung gab C’s an, dass die kurze Ehe mit der PP zerrüttet sei. Man wolle weder den Amtsmissbrauch rund um die Impfskandale, noch die Korruptionsaffären mittragen, bei denen die PP lieber die Aufdecker anpatze, als für Aufklärung zu sorgen. Dazu kommen persönliche Feindseligkeiten in der Koalition. Dennoch wirkten die Gründe vorgeschoben. Bald wurde klar, dass hinter der Volte ein Masterplan von Ciudadanos-Chefin Inés Arrimadas steckte, an dem Sanchez’ PSOE beteiligt war.
Freiheit oder Sozialismus
Wie eine Bombe schlug die Kunde aus Murcia in Madrid und in weiteren spanischen Regionen ein, in denen PP und C’s gemeinsam, teils mit, teils ohne Duldung von Vox regieren. Der Bruch in Murcia stellte mit einem Schlag sämtliche Mitte-Rechts-Allianzen im Land in Frage und damit die Strategie von PP-Chef Pablo Casado, langfristig ein Rechtsbündnis zu etablieren, das mit C’s und Vox als linke und rechte Außenverteidiger dauerhaft und vor allem auch auf nationaler
Ebene eine Mehrheit gegen die PSOE von Regierungschef Pedro Sánchez und dessen linke Bündnispartner absichern könnte. Der sich unter Schmerzen zum Staatsmann versteifende Casado und seine schrille Stimme in Madrid, Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso, sollen von den äußerst diskret vorbereiteten Plänen der Murcianer Ciudadanos schon in der Nacht zuvor gewusst haben. Ihre Verabredung, so überliefert es El País“, habe gelautet: Wenn sich C’s das traut, ziehen wir die atomare Option.“Erdbebengleichnisse genügten an dieser Stelle nicht mehr, es musste Weltkriegsrhetorik her.
Ayusos große Stunde
Ab Mittwochmittag überschlugen sich die Ereignisse. Madrids Ministerpräsidentin Isabel Díaz Ayuso trat vor die Presse und kündigte die Auflösung des Landtags der Hauptstadtregion sowie Neuwahlen für den 4. Mai an. Sie könne den Verrat“der Ciudadanos nicht hinnehmen, die unsere Regierungen für die Freiheit in die Luft jagen“und sie wolle mit dem Schritt einem gleichartigen Misstrauensantrag in Madrid zuvorkommen.
Kurz darauf entließ sie die Ciudadanos-Landesminister und ihren Vize von den C’s, Ignacio Aguado. Bei der nun anstehenden Landtagswahl am 4. Mai könnten die Madrilenen zwischen Freiheit oder Sozialismus“wählen, so Ayuso in ihrer unnachahmlichen Art, mit der sie simple Sprüche kokett und patzig über die Rampe bringt. Madrids Liberale warfen Ayuso ihrerseits Verrat vor, sie hätte den Bruch längst geplant und spekuliere auf einen Wahlsieg, den sie auch mit Vox absichern würde.
Alle Augen auf Andalusien
Es folgten hektische Stunden. Die PSOE in Castilla y León brachte ebenfalls einen Misstrauensantrag ein, hingegen kommunizierten Madrids PP-Bürgermeister und sein C’s-Partner im Rathaus Geschlossenheit. In der Hauptstadt, die als linker gilt als die Region, sollte die Koalition lieber erstmal halten. Alle Augen richteten sich nun nach Andalusien, der politisch schwergewichtigen Mutter der Rechtsbündnisse zwischen PP, C’s und Vox. Würden Ciudadanos auch hier die Bombe platzen lassen? Die Mehrheitsverhältnisse in Andalusien, wo die größte Partei in der Opposition sitzt (PSOE mit 33 Stimmen) und die Ciudadanos mit 21 Stimmen vergleichsweise stark vertreten sind, würden einen Machtwechsel möglich machen. Doch Andalusien hielt aus PP-Sicht. Vorerst.
Neuwahlen unzulässig?
Nur Minuten nach der Ankündigung von Neuwahlen in Madrid, meldeten sich die linke Partei Más Madrid und die PSOE zu Wort. Sie hätten bereits zwei Misstrauensanträge eingebracht, Ayuso daher gar nicht das Recht, das Parlament aufzulösen bis über diese Anträge abgestimmt wurde. Damit wäre auch die Ausrufung von Neuwahlen rechtswidrig. Ayuso, so twitterte es von den Ciudadanos, führe sich auf wie Trump. Das Präsidium des Regionalparlamentes bestätigte, dass es die Misstrauensanträge zugelassen habe mit den Stimmen der PSOE und C’s. Nun werden Gerichte entscheiden müssen, wie es weitergeht. Die Kardinalsfrage lautet: Genügte die Hinterlegung der Auflösungserklärung Ayusos im Parlamentssekretariat die vor den Misstrauensanträgen einging oder wird der Vorgang erst durch die Veröffentlichung im Amtsblatt (BOE) rechtlich schlagend. Dann nämlich wären PSOE und C’s schneller gewesen, könnten Ayuso abwählen und eine neue Regionalregierung etablieren.
Arrimadas letzte Chance
Die kommenden Tage werden die offenen Fragen beantworten. Klar ist schon jetzt, dass im kleinen Murcia ein Dominosteinchen angestoßen wurde, das die politische Landschaft in Spanien gründlich verändern kann. Es ist der verzweifelt anmutende Versuch der Ciudadanos und ihrer Chefin Inés Arrimadas, ihre zuletzt sogar in ihrer Heimat“Katalonien fast aufgeriebene Partei aus der rechten Zange zu befreien. Arrimadas will C’s als Kraft der Mitte, sozusagen als spanische FDP, darstellen und so vor der Bedeutungslosigkeit retten. Sie hatte sich schon mehrmals Regierungschef Sánchez als Mehrheitsbeschafferin angedient, dafür aber die Latte meist zu hoch gelegt. Jetzt scheint die politische Existenzangst so groß geworden zu sein, dass sie alte Ressentiments über Bord warf und den riskanten Befreiungsschlag wagte.
Ob er glückt, werden früher oder später in den Regionen wie auf nationaler Ebene die Wähler entscheiden. Derzeit überwiegen die Indizien, die darauf hinweisen, dass die Partei Ciudadanos unter den Trümmern des selbst ausgelösten politischen Erdbebens begraben werden könnte. In Murcia und in ganz Spanien.
Zweimal Popcorn bitte
Zwei politische Kräfte können die Show genießen: Vox, die mit Recht darauf spekulieren kann, Ciudadanos viele Wähler abspenstig zu machen, braucht eigentlich gar nichts zu tun, als Popcorn zu bestellen. Und die PSOE samt Regierungschef Sánchez: Dessen Leute hatten den Aufstand der Ciudadanos in Murcia diskret mitgeplant.
Für Sánchez eröffnet sich auf nationaler Ebene eine neue Koalitionsoption im Lager der Mitte. Diese wirkt wie ein Zaunpfahl gen des immer widerborstigeren Koalitionspartners Unidas Podemos und dessen auf Krawall gebürsteten Chef Pablo Iglesias, der Sánchez durch seine kompromisslosen und nicht selten auch ideologisch befrachteten Projekte das Regieren schwer macht. Des Widerspenstigen Zähmung dürfte leichter fallen, wenn ein neuer Koalitionspartner in der Tür steht.
Vorausgesetzt, die Wähler folgen dieser Idee. Denen bleiben alle Beteiligten noch Wesentliches schuldig: Konkrete Politik, die ihr Leben verbessert. Bisher sehen sie nur eine Show um die Macht.